Der beste Weg zur Bombe

Ein US-Geheimdienstbericht stellt fest, dass der Iran sein militärisches Atomprogramm gestoppt hat. Doch dem Regime bleibt die Möglichkeit, die Infrastruktur für die Bombenproduktion aufzubauen. von jörn schulz

Die US-Geheimdienstler sind vorsichtig geworden. Bevor sie in ihrem gemeinsamen Bericht »Iran: Nuclear Intentions and Capabilities« zur Sache kommen, erläutern die 16 Geheimdienste deshalb: »Einschätzungen und Urteile implizieren nicht, dass wir einen ›Beweis‹ haben, der etwas als Tatsache kennzeichnet.« Selbst ein mit »hoher Zuversicht« getroffenes Urteil »birgt noch das Risiko, falsch zu sein«.

Wer in Tel Aviv lebt, wird sich daher vielleicht nicht auf die von »hoher Zuversicht« getragene Einschätzung verlassen wollen, dass der Iran sein Atomwaffenprogramm im Herbst 2003 gestoppt hat. Zumal die US-Geheimdienste mit »mäßiger bis hoher Zuversicht« feststellen, dass »die Op­tion zur Entwicklung nuklearer Waffen« erhalten bleibt. Die Quellen der Erkenntnisse, den Berichten der US-Medien zufolge überwiegend Aussagen hochrangiger Überläufer, kann kein Außenstehender prüfen. Für die Richtigkeit der neuen Einschätzung spricht, dass die Erhaltung der »Option« auf Nuklearwaffen der beste Weg zur Bombe ist.

Das iranische Regime hat zwei Möglichkeiten. Entweder versuchen die Atomtechniker, so schnell wie möglich hoch angereichertes Uran herzustellen. Angesichts der Probleme bei der Installation von 50 000 empfindlichen Zentrifugen in Kaskaden würde es wahrscheinlich einige Jahre dauern, Material für eine Bombe herzustellen. Das Risiko einer Entdeckung dieser Aktivitäten und damit eines Militärschlages wäre hoch.

Oder aber man arbeitet geduldig am Aufbau einer nuklearen Infrastruktur und sammelt Er­fah­run­gen bei der Urananreicherung auf die für Brennstäbe von Atomkraftwerken erforderlichen drei bis fünf Prozent. Sind die Anlagen erst einmal fertig, kann die Atombombenproduktion im geeigneten Moment weit effektiver anlaufen. Prä­­sident Mahmoud Ahmadinejad erweckte durch seine apokalyptische Rhetorik den Eindruck, ihm fehle die Geduld für ein solches Vorgehen. Am Ende aber obliegt die Kontrolle über das Atom­programm dem religiösen Führer Ali Khamenei, der höchsten Autorität in zivilen und militärischen Fragen. Er scheint sich, »als Reaktion auf zunehmende internationale Überwachung und wachsenden Druck«, wie die US-Geheimdienste meinen, für den langsameren Weg zur Bombe entschieden zu haben.

Gegen ein solches Atomprogramm gibt es kaum eine Handhabe. Eigentlich müsste die »internatio­nale Gemeinschaft« den Iranern sogar helfen, denn im Atomwaffensperrvertrag verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten, »den weitestmög­lichen Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kern­ener­gie zu erleichtern«. Allerdings hat das iranische Regime durch die Geheimhaltung von Nu­klear­anlagen und die Behinderung von Inspektionen gegen die Bestimmungen des Atomwaffensperrvertrags und die gegenüber der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) eingegangenen Verpflichtungen verstoßen.

Allein diese Verstöße sind die juristische Grund­lage für Sanktionen. Die Regierungen der USA und der EU haben angekündigt, im UN-Sicherheits­rat weiterhin auf schärfere Sanktionen zu drängen. Die europäischen Regierungen wollen auch Vergünstigungen anbieten, wenn das iranische Regime sich bereit erklärt, die Urananreicherung zu stoppen. In den USA wächst der Druck, offizielle Verhandlungen mit dem Iran aufzunehmen. »Wir müssen anfangen, mit ihnen zu reden«, sagte der republikanische Senator Chuck Hagel am Sonntag.

Zu einem Angriff auf den Iran dürfte es jedenfalls in den nächsten Jahren nicht kommen. Noch Mitte Oktober hatte Präsident George W. Bush gewarnt, es drohe ein Dritter Weltkrieg, wenn das iranische Atomprogramm nicht gestoppt werde. Die neuen Einschätzungen habe er damals nicht gekannt, behauptet er nun. Dass CIA und FBI ebenso wie die Geheimdienste aller Waffengattun­gen und der Ministerien, sogar des von Bush selbst gegründeten Department of Homeland Security, ihm in den Rücken fallen, zeigt, wie gering der Rückhalt des Präsidenten im Staatsapparat geworden ist.

Der Geheimdienstbericht war ein Präventivschlag gegen eventuelle Angriffspläne, die vor allem Vize­präsident Dick Cheney und seinem Umfeld zugeschrieben werden. Ob zu recht, wissen wahr­scheinlich auch die Geheimdienstler nicht. Offen­bar wollen sehr einflussreiche Kräfte im politischen Establishment jedoch sichergehen, dass Bush in seinem letzten Amtsjahr nicht noch einen Krieg beginnt. Der ausdrückliche Hinweis auf die Wirksamkeit diplomatischen Drucks stärkt zudem jene, die Verhandlungen mit dem Iran fordern.

Fraglich ist allerdings, ob solche Verhandlungen das Atomprogramm stoppen können. Von jenen Regierungen, die ohnehin nichts von Sanktionen halten, dürfte der US-Geheimdienstbericht als Freispruch für den Iran interpretiert werden. »Es gibt kein militärisches Element in ihrem Nuklear­programm«, meint der russische Außeminister Sergej Lawrow.

Wenn das iranische Regime die im letzten, am 15. November veröffentlichten Bericht der IAEA, erhobenen Forderungen erfüllt, Auskunft über mögliche noch unbekannte Aspekte des Atomprogramms gibt und »weiter Vertrauen aufbaut«, dürfte es schwer fallen, eine juristisch haltbare Begründung für schärfere Sanktionen zu finden. Politische Kriterien, etwa die Erwägung, dass bei einer antisemitischen Diktatur auch die »Op­tion«, sie könnte in Zukunft Atomwaffen herstellen, eine Gefahr ist, spielen im internationalen Recht keine Rolle. Die fiktive Unterscheidung zwi­schen ziviler und militärischer Nutzung der Atom­kraft könnte es dem Iran ermöglichen, ganz legal eine nukleare Infrastruktur aufzubauen.