Der Wille zum Konsens

Ihre Einigkeit hat der GDL im Arbeitskampf kurzfristig einen Erfolg beschert. Die auf Mäßigung bedachte Führung der Gewerkschaft wird ihn auf lange Sicht jedoch untergraben. kommentar von felix klopotek

Man wird den Konflikt zwischen der Bahn und der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) später als eine Konfrontation betrachten, die mit großer Härte angegangen wurde, bei der aber zugleich alle Beteiligten auf Mäßigung achteten: bloß den Gegner nicht allzu sehr schädigen, Demütigungen des anderen bitte vermeiden!

Mäßigung ist das Ziel jedes gewerkschaftlich geführten Klassenkampfs, so lautet das Kalendersprüchlein. Der derzeitige Klassenkampf ist ein gutes Beispiel dafür: Ständig schien eine Eskalation bevorzustehen, die aber doch immer vermieden wurde. Im Sommer fühlte Hartmut Meh­dorn vor, ob er die Lokführer mit Terroristen ver­gleichen dürfe. Ein Arbeitsgericht sprach ein Streikverbot aus. Im Herbst kamen die markigen Sprüche von Claus Weselsky, dem stellvertretenden Vorsitzenden der GDL: Man könne streiken bis Februar, die Streikkasse sei gefüllt. Sogar ein Streik über Weihnachten schien kein Tabu zu sein. Dann handelte Mehdorn wieder: Er verriet sein Tarifangebot vorzeitig der Presse, führte die GDL vor und zwang sie in die nächste Verhandlungsrunde. Das war vor zwei Wochen. Aber immer galt: Keine Drohung wurde vollständig in die Tat umgesetzt. Auch die Gerichte zogen mit, denn letztlich haben sie dem Streikbegehren Recht gegeben.

Viel Geplänkel, aber wofür? Am 4. Dezember traten nach zweitägigen Verhandlungen Mehdorn und der Vorsitzende der GDL, Manfred Schell, vor die Presse. Da ging es nicht mehr ums Vorführen hier und Androhen weiterer Streiks da. »Der Einstieg ist geschafft«, sagte Meh­dorn. »Ein solides Fundament« sei gelegt, meinte Schell. Bis Januar wird nicht gestreikt, und in den nächsten Wochen erhalten die Lokführer eine Abschlagszahlung von 800 Euro auf den noch zu vereinbarenden Tarif. Die GDL wird die von ihr geforderte tarifliche Eigenständigkeit bekommen, die Bahn dafür die Garantie, dass der GDL-Tarif »konflikt- und widerspruchsfrei« in das Gesamtgefüge passt. Soll heißen: Die GDL verhandelt künftig über ihren Tarif, muss sich aber mit den Konkurrenzgewerkschaften GDBA und Transnet vorher abstimmen.

Der Weg zur endgültigen Einigung ist noch lang, und keiner wird sich wundern, wenn es im Januar wieder Krach gibt. Dennoch ist der Wille zum Konsens da. Für die Bereitschaft, sich zu einigen, spricht auch das Handeln Mehdorns, seine indirekte Anerkennung der Macht der Lokführer. Man lässt der GDL den Spielraum, gesteht ihr einen vordergründig eigenständigen Tarifvertrag zu. Der Spielraum mag groß sein, aber solange seine Grenzen klar gesetzt sind, ist garantiert, dass auch der nächste Arbeitskampf geregelt abläuft.

Schon wird die Kampfstärke der GDL zu einem Mythos aufgeblasen. »Natürlich fänden wir das auch schön, wenn wir so eine Art Lokführer hätten, und dann müsste man einige wenige Hundert in Streik rufen, und schon passiert es«, phan­tasierte die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Margret Mönig-Raane im Interview mit dem Deutschlandradio. So reden Leute, die sich vor dem Klassenkampf drücken und dabei noch ihren Untergebenen einreden, sie könnten nicht so effektiv kämp­fen wie die Lokführer. Der kurzfristige Erfolg der Lokführer rührt aber aus ihrer Einigkeit, nicht aus ihrer wichtigen infrastrukturellen Position. Und ihr langfristiger Misserfolg wird darin liegen, dass sie ihre Einigkeit immer wieder dem Verhandlungsgeschick der Gewerkschafts­führung unterordnen.