Politik der ruhigen Hand

Nach dem Gipfeltreffen in Annapolis sind die Erwartungen gering, dass es schnelle Fortschritte bei den israelisch-palästinensi­schen Verhandlungen geben wird. Möglich scheinen nun aber Gespräche mit Syrien. von michael borgstede, tel aviv

An jenem Mittwochabend, als in Washington der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert, der Präsident der Palästinenser, Mahmoud Abbas, und Präsident George W. Bush im Rosengarten des Weißen Hauses offiziell eine neue Runde von Verhandlungen zum Nahen Osten einläuteten, lief am Falafelstand »Die vier Jahreszeiten« in Tel Aviv der Sportkanal 5plus. Zu sehen war die Wiederholung eines Fußballspiels der spanischen Liga aus dem Jahr 2003. Doch als ein Kunde vorsichtig darum bat, auf die Übertragung der Zeremonie in Washington umzuschalten, schlug ihm heftige Empörung entgegen: »Bist du wahnsinnig? Das schöne Spiel. Was soll da in Washington schon herauskommen?« Es gab kaum Widerworte gegen diese Einschätzung, an der Falafelbude wandte man sich schnell wieder dem aufgezeichneten Fußballspiel zu.

Am Kiosk nebenan stapelten sich die Zeitungen in den Ständern. Beide großen Blätter brachten ganzseitige Titelfotos vom Treffen. »Ich habe das Gefühl, heute wurden höhere Auflagen gedruckt«, sagt Ami Wieler, der Besitzer. Aber das sei nun wirk­lich nicht nötig gewesen: »Ich habe heute jedenfalls eher weniger Zeitungen verkauft als an anderen Tagen.« Die Fernseheinschaltquoten der Live-Übertragung aus Annapolis lagen ungefähr auf dem Niveau der täglichen Seifenopern, selbst die Abendnachrichten wollten nicht mehr Zuschauer sehen als an gewöhnlichen Tagen.

Repräsentative Umfragen sollten diese Eindrücke bald bestätigen: 17 Prozent der Israelis halten die Konferenz für einen Erfolg, 42 Prozent bezeichnen das Treffen als Fehlschlag. Ein Viertel der Israelis kann sich noch nicht zu einer Beurteilung des Gipfels durchringen, sie möchten wohl abwarten, was von den vollmundigen Ankündigungen in den kommenden Monaten verwirklicht wird.

Zwar unterstützen 53 Prozent der Israelis eine Zweistaatenlösung und wollen alle Probleme, vom umstrittenen Status Jerusalems bis zur Frage der palästinensischen Flüchtlinge, ein für alle mal ge­löst wissen. Doch scheint die Mehrheit nicht daran zu glauben, dass ausgerechnet das Treffen in Maryland sie ihrem Ziel näher bringen wird. Auch nach dem Nahost-Gipfel will sich in Israel keine rechte Friedensbegeisterung einstellen.

Das mag daran liegen, dass schon zu oft große Hoffnungen enttäuscht wurden. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass viele die Bemühungen in Annapolis als substanzlose Auseinandersetzung zwischen zwei schwachen Politikern sehen. Olmerts Popularität steigt seit einiger Zeit zwar wieder ein wenig, doch ein höchst umstrittenes Friedensabkommen durchzusetzen, das trauen ihm weder seine Freunde noch seine Feinde wirk­lich zu.

Die Reaktionen aus dem rechten Spektrum fielen dann auch sehr unaufgeregt aus. »Die Chan­cen, dass aus dem Treffen irgendetwas hervorgeht, sind sehr gering«, sagte der Likud-Abgeordnete Salman Shoval. Der Vorsitzende der rechten Partei Israel Beiteinu, Avigdor Lieberman, sprach von einer »Cocktailparty und einem Fototermin«. Weder Liebermann, noch der Vorsitzende der sephardisch-orthodoxen Shas-Partei sahen dann auch die Notwendigkeit, die Regierungskoalition zu verlassen – obwohl sie das zuvor wortreich angedroht hatten. Der Shas-Vorsitzende Eli Jishai bezeichnete die Friedenskonferenz als eine »phan­tastische Veranstaltung« und kündigte an, in der Koalition bleiben zu wollen, solange »keine wirkliche Gefahr« bestehe.

Und wirklich, allzu groß scheint die »Gefahr« nicht zu sein, dass schon in einem Jahr Frieden herrscht. Wohl um seinen rechten Koalitionspartnern entgegenzukommen, bemühte Olmert sich sofort nach seiner Rückkehr darum, die in Annapolis erklärten Ziele zu relativieren. Man werde sich bemühen, bis Ende 2008 ein Abkommen zu schließen, aber das sei »in keinem Fall ein ver­bindlicher Zeitplan«.

Außenministerin Zipi Livni freute sich auf der ersten Kabinettssitzung nach dem Treffen in Anna­polis, dass Fortschritte im Friedensprozess noch immer an die Road Map gebunden seien und man der palästinensischen Regierung deshalb erst mal gar nicht entgegenkommen müsse, solange sie nicht die Terrororganisationen be­kämpfe und entwaffne. Auch Verteidigungsminister Ehud Barak scheint vor allem damit beschäftigt zu sein, ein Friedensabkommen mit aller Macht zu verhindern – zumindest, solange nicht er als dessen Urheber in die Geschichtsbücher eingeht. Noch vor der Abreise nach Maryland hatte Barak einem Knessetausschuss erklärt, der letzte »sinn­volle Kontakt mit den Palästinensern« habe im Jahr 2000 bei den gescheiterten Verhandlungen in Camp David stattgefunden – unter Leitung des damaligen Ministerpräsidenten Barak selbstverständlich.

Das sind genau die Reaktionen, die Präsident Abbas gar nicht brauchen kann. Sie machen es der palästinensischen Führung schwer, die ohnehin bescheidenen Ergebnisse des Gipfels als großen Erfolg zu präsentieren. Einen Erfolg aber hät­te Abbas gebraucht, um überhaupt daran denken zu können, ein in jedem Fall umstrittenes Frie­dens­abkommen durchzusetzen. Bereits jetzt kontrolliert er mit dem Westjordanland nur einen Teil des zukünftigen palästinensischen Staates, und auch das eher schlecht als recht. Zwar neigen derzeit 61 Prozent der Bewohner des von der Hamas kon­trollierten Gaza-Streifens der Regierung von Abbas und Ministerpräsident Salam Fajad zu, doch ist kaum anzunehmen, dass die Islamisten die im Juni eroberte Herrschaft über Gaza freiwillig wieder aufgeben werden.

Für die Israelis liegt der größte Erfolg der Friedenskonferenz wohl in der überraschenden Teilnahme von 16 arabischen Staaten, darunter sogar Saudi-Arabien und Syrien. Deren Repräsentanten machten in Maryland allerdings große Anstrengungen, nicht den Eindruck eines besonders innigen Verhältnisses zum Judenstaat zu erwecken. Nachdem Olmert seine Rede beendet hatte, applaudierten alle Anwesenden artig, wenn auch nicht besonders begeistert. Nur der stellvertreten­de syrische Außenminister Faisal Mekdad saß regungslos auf seinem Platz.

Genau genommen applaudierte auch der saudi-arabische Außenminister Saud al-Faisal nicht, aber als höflicher Mensch bewegte er zumindest die Hände, sorgsam darauf bedacht, mit den Handflächen kein Geräusch zu erzeugen. Allzu große Begeisterung wäre auch nicht angemessen gewesen, hatte al-Faisal die Rede Olmerts doch gar nicht verstehen können, da er zuvor demons­trativ den Ohrstecker zur Übertragung der Simul­tanübersetzung entfernt hatte. Der Syrer immerhin hatte zugehört. Die israelische Zeitung ­Jediot Achronoth fragte sich dann auch am Tag nach dem Gipfel gleich, ob man das schon als »versöhnliche Geste« interpretieren könne.

Denn obwohl es in Annapolis um den Friedens­prozess zwischen Israelis und Palästinensern gehen sollte, wurde bald gemunkelt, der wahre Wert der Konferenz könne eher darin liegen, Verhandlungen zwischen Israel und Syrien anzubahnen. Bald jagte ein Gerücht das nächste. Barak und Mekdad hätten sich heimlich in einem Hotel in Washington getroffen, berichtete die kuwaitische Tageszeitung al-Jarida. Barak, der nicht an ein schnelles Abkommen mit den Palästinensern glau­be, halte den Konflikt mit Syrien für leichter lösbar.

Die israelische Zeitung Maariv wollte von einem Abkommen gehört haben, das der stellvertretende russische Außenminister Alexander Sultanow erarbeitet haben soll. Demnach soll Israel die Golanhöhen zwar nominell an Syrien zurückgeben, gleichzeitig aber die Möglichkeit bekommen, das Gebiet langfristig zu mieten. Dann müssten immerhin die 18 000 jüdischen Siedler auf dem Golan ihre Häuser nicht räumen. Zweimal soll Sultanow in Damaskus bereits mit Präsident Bashir al-Assad zusammengetroffen sein.

Auch Olmerts kurzfristig angesetzte Reise nach Moskau Anfang November soll mit Geheimverhandlungen zu tun gehabt haben. Da würde es ins Konzept passen, dass die nächste Friedenskonferenz im Frühjahr 2008 in Moskau stattfinden soll. Die libanesische Zeitung al-Akhbar zitierte gar einen syrischen Beamten mit den Worten, man hoffe, die Gespräche in Moskau auf eine andere Ebene zu heben. Israel habe durchaus schon Bereitschaft gezeigt, mit Syrien über den Preis des Friedens zu verhandeln.

Der Preis ist allen Beteiligten bekannt: Während Syrien jeden Zentimeter des Golan fordert, verlangt Israel nicht nur Frieden, sondern ein Ende der syrischen Unterstützung für die Hamas und die Hizbollah sowie eine deutliche Abkehr vom Iran. Noch sind die Israelis in Hinblick auf die Wiederaufnahme von Verhandlungen mit Syrien zurückhaltend. Olmert hatte noch vor der Abreise nach Annapolis vor Journalisten darauf hingewie­sen, dass schon drei israelische Ministerpräsiden­ten ihre Bereitschaft erklärt hatten, den Golan oder den größten Teil des Golan zurückzugeben. Zum Frieden habe es trotzdem nie gereicht. Ob er den Golan aufgeben werde? Olmert lächelte nur: »Das ist eine interessante Frage.« Man werde sich damit befassen, wenn »die Zeit reif« sei.

Dass Syrien reif für ein Abkommen ist, glauben derzeit wohl weder Israel noch die USA. Kurz nach Olmerts allumfassendem Friedensangebot in sei­ner Rede meinte seine Sprecherin im kleinen Kreis, sie glaube nicht, dass erfolgversprechende Verhandlungen mit der gegenwärtigen syrischen Regierung möglich seien. Präsident Bush sieht das ähnlich. Auf die Frage, ob er nun eine Chance für einen Frieden zwischen Syrien und Israel sehe, antwortete er nach dem Treffen wenig begeistert: »Das ist Sache der Israelis und Syrer.« Er glaube, man müsse sich nun auf den israelisch-palästinensischen Konflikt konzentrieren, und das werde auch geschehen. Immerhin war aus Washington zu hören, Außenministerin Condoleezza Rice habe gegen Ende der Konferenz Mekdads Hand geschüttelt und ihm für seine Teilnahme gedankt. Das wäre vor nicht allzu langer Zeit noch vollkommen undenkbar gewesen.