There’s no business like …

Anfang November haben Hollywoods Drehbuchautoren das Genre gewechselt. Statt sich neue Gags für die Seifenopern auszudenken, produzieren sie Streikbotschaften für YouTube. Die Resonanz ist enorm. Showmasters wie David Letterman gehen die Witze aus, Frontleute von Rage Against The Machine treten auf Streikversammlungen auf, und sogar Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei zeigen Verständnis für die Streikenden. Sorgt ausgerechnet Hollywood dafür, dass sich in die Fortsetzungstragödie namens US Labor doch wieder zuversichtlichere Töne mischen? von malte meyer

Glaubt man der Statistik des Handelsministeriums, sind die Durchschnittseinkommen in der kalifornischen Film- und Fernsehindustrie mit über 100 000 Dollar jährlich rund zweieinhalb Mal so hoch wie im US-amerikanischen Durchschnitt und gleichzeitig die mit Abstand höchsten im Vergleich zu allen anderen Branchen. Aber was sagt ein Mittelwert schon aus, wenn darin die Millionengage von Nicole Kidman ebenso enthalten ist wie der Lohn des Fahrers, der ihr Kostüm aus der Requisite zum Drehort bringt? Tatsächlich ist der Arbeitsmarkt in und um Hollywood tief gespalten. Below the line tummelt sich das normalsterbliche Personal der Filmcrews, Cateringfirmen, Handwerksunternehmen, Autovermietungen und Materiallager. Above the line dagegen wetteifern weniger als 20 000 Schauspieler, Regisseure und Drehbuchschreiber um die Publikumsgunst. Insgesamt liegt damit die Zahl der Leute, die in der kalifornischen Unterhaltungsindustrie arbeiten, gegenwärtig bei weit über 200 000.

Verglichen mit der Schauspielerprominenz gelten Hollywood-Autoren noch immer als Underdogs unter den Künstlern. Das hängt vielleicht weniger damit zusammen, dass viele von ihnen nach Angaben ihres Verbandes im mehrjährigen Mittel auf ein Jahreseinkommen von doch immerhin 60 000 Dollar kommen. Sondern vielmehr damit, dass sie einfach als eine »gemietete Bande trau­riger Schreiberlinge« gelten, wie Raymond Chandler einmal geflucht hat. Was diese zu fast jeder Kopflangerei bereite Bande über sich ergehen lassen muss, ist eigentlich geeignet, den Begriff des Autors obsolet zu machen. Ohnehin bereits arbeitsteilig angefertigt, werden Drehbücher so lange zurechtgestutzt und weichgeklopft, bis am Ende höchstens noch ein Scriptdoctor weiß, wie es zu dieser herrlichen Katastrophe kommen konnte. Im Abspann einer Fernsehserie taucht der Name vieler Drehbuchschreiber konsequenterweise auch schon kaum mehr auf.

Dass die Filmindustrie die Kreativität der Autoren schamlos ausbeutet, wusste John Howard Lawson, der kommunistische Gründungsvorsitzende der Screen Writers Guild (SWG), bereits in den dreißiger Jahren. Er wusste aber auch, dass die Drehbuchschreiber nicht gerade darben mussten, als die US-Amerikaner vor der Großen Depression massenhaft in die Kinos flüchteten und Holly­wood damit seine so genannte Glanzzeit bescherten. Im Gegenteil: Die Swimmingpools auf den Privatgrundstücken zahlreicher fortschrittlich gesonnener Hollywood-Talente schienen zu beweisen, dass sich Kommunismus und kalifornisches Klima keinesfalls ausschlossen. Vom einst linken Image der Drehbuchautoren ist indes nach den Hexenjagden der McCarthy-Ära kaum etwas übrig geblieben. Dafür hatten nicht zuletzt Schauspieler wie Gary Cooper und Ronald Reagan gesorgt. Letztgenannter stand seit 1947 der Screen Actors Guild (SAG) vor. Linke Kollegen wie die berühmten Hollywood Ten wurden von ihm und seinesgleichen um ihre berufliche Existenz und sogar ins Gefängnis gebracht, weil sie sich geweigert hatten, dem Ausschuss für unamerikanische Umtriebe die Frage zu beantworten, ob sie Mitglied der KP seien.

Auch die Writers Guild of America (WGA), die den derzeitigen Streik in Hollywood organisiert, tauschte wie viele andere Gewerkschaften im Kalten Krieg politisches Selbstbewusstsein gegen materielles Fortkommen. Ihre Streikfähigkeit konnte sie allerdings deutlich länger erhalten. 1960 ging es den Autoren in einem fünfmonatigen Ausstand darum, sich ihren Anteil am boomenden Fernsehgeschäft zu sichern. Der Streik von 1988 dauerte zwar sogar noch einen Tag länger, endete aber mit einer Niederlage. Aus Mangel an geeigneten Drehbüchern erfanden die Medien­unternehmen kurzerhand das Reality-TV und ahnten wohl auch besser als die Gewerkschaft, dass mit Homevideos in Zukunft fünfmal so viel Geld verdient werden würde wie mit dem Verkauf von Kinokarten. Deshalb bekommen die Autoren von den 20 Dollar, die eine neue Spielfilm-DVD gegenwärtig im amerikanischen Handel kostet, gerade einmal vier Cent.

Die WGA hat aber noch mit weiteren Schwierigkeiten zu kämpfen. Wegen der Verlagerung von Filmproduktionen nach Kanada und Übersee (vielleicht aber auch wegen der hohen Aufnahmegebühr von 2500 Dollar) ist zum einen die Zahl ihrer Mitgliede seit einiger Zeit rückläufig. 12 000 Autoren gehören ihr noch an, davon rund 9 000 alleine an der Westküste. Zum anderen kann das hochkonzentrierte Kapital, dem die Studios inzwischen genauso gehören wie Fernsehanstalten, Verlage und Themenparks, über Streiks auch sehr viel leichter hinweggehen.

Trotz­dem oder gerade deswegen will der gegenwärtige Streik den Fehler von 1988 wieder gutmachen, ehe die Filmbranche das gleiche Schicksal ereilt wie die von Tauschbörsen gebeutelte Musikindustrie. Die WGA-Mitglieder sollen einen Anteil an der nachgelagerten Verwertung ihrer Produkte im Bereich digitaler Medien sowie einen verdoppelten Anteil am DVD-Verkauf erhalten. Der Unternehmerverband AMPTP – er vertritt gegenüber den Streikenden die Profitinteressen der sechs verbliebenen Medienkonzerne Time-Warner, Viacom, Fox, Sony, Disney und NBC Universal – verstieg sich angesichts dieser Forderung zu der Behauptung, im Internet ließe sich mit bewegten Bildern kein Geld verdienen. Folglich sei auch keines zu verteilen. Würden die Gagschreiber der AMPTP-Unternehmen nicht streiken, wären die Witze ihrer PR-Abteilungen vermutlich etwas gelungener ausgefallen.

In Meinungsumfragen stoßen die Tarifforderungen auch vor dem Hintergrund der hohen Branchenprofite auf große Sympathie. George Clooney spendete 28 000 Dollar für die Streikkasse, und die Los Angeles Times merkte an, dass allein die 60 Millionen, die der gefeuerte Viacom-Chef Tom Freston im Jahr 2006 als Abfindung erhielt, mühelos die Summe aller DVD-Tantiemen übertroffen hätte, die im gleichen Jahr an die 12 000 WGA-Mitglieder ausgezahlt wurden. Dennoch sind die hohen kalifornischen Lebenshaltungskosten und die spezifischen Risiken projekt­basierter Arbeit in der Kulturindustrie nicht die Probleme prekärer Arbeit, die spanischsprachige Jobber, arme Rednecks und schwarze Ghetto-­Jugendliche haben. Diese Lebenswelten haben wohl nur insofern miteinander zu tun, als auch einige der speziell für diese Zielgruppen konzipierten TV-Formate gegenwärtig auf Eis liegen. Eher schon als um Prekarisierung geht es bei der Auseinandersetzung um die politisch kaum weniger brisante Frage von Copyright und Copyleft. Vor diese Alternative gestellt sehen sich die meisten Autoren weniger als gesellschaftliche Produzenten denn als geistige Eigentümer, die die allerbesten Kontakte haben und auch wissen, wie man im Kampf um die Verwertung der eigenen Ideen möglicherweise sogar innerhalb eines Medienimperiums Boden gut machen kann.

So viel kämpferische Orientierung lässt sich längst nicht allen Versuchen nachsagen, kreative Leute zu organisieren. Die 1995 unter dem Namen Working Today gegründete Freelancers Union (FU) hat gegenwärtig zwar allein in New York rund 12 000 Mitglieder und versucht, den Profis der Kultur- und Medienbranchen, die häufig und gar nicht mal ungern als Selbständige arbeiten, ein größeres Maß an sozialer Sicherheit zu verschaffen. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich bei der FU jedoch weniger um eine Gewerkschaft, die am Aufbau sozialer Gegenmacht interessiert ist, als vielmehr um eine Serviceagentur, die für ihre zwar relativ gut, aber eben doch unregelmäßig verdienenden Mitglieder Großkundenrabatte bei privaten Krankenversicherern, Autovermietungen, Buchhandelsketten und – »Sorry, dass ich gestern so kurzfristig absagen musste« – Blumenläden herausschlägt. Das Modell nennt sich Portable Benefits Network (PBN) und erinnert an das auch in Europa diskutierte »Flexicurity«-Konzept. Sozialleistungen, zu denen Unternehmen auch beitragen müssen, gelten angesichts häufiger Jobwechsel als hof­f­nungs­los veraltet, und Kämpfe am Arbeitsplatz am Ende aber wohl auch. Sabotageaktionen, und seien sie noch so kreativ, würden auch kaum zum Erscheinungsbild einer Organisation passen, die ausgerechnet drei um den Stock schwirrende Arbeitsbienen im Logo führt und unter anderem von J.P. Morgan Chase, dem United Hospital Fund, der Rockefeller-Stiftung oder Spitzenpolitikerinnen wie Hillary Clinton unterstützt wird. Diese Leute dürften einigen Gefallen daran finden, dass FU-Gründerin Sara Horowitz den Freelancern »Marketing Bootcamps« anbietet, Seminare zur Verhandlungstechnik und Hilfen beim Ausfüllen der Steuerklärung.

Horowitz’ Großvater war zur Zeit des New Deal übrigens ein hoher Funktionär der New Yorker Textilarbeiterinnengewerkschaft ILGWU, deren Schicksal symptomatisch für das großer Teile der US-amerikanischen Gewerkschaftsszene ist. Die ILGWU ist zwischenzeitlich in einer undefinierbaren Multibranchenkoalition namens ­Unite-here aufgegangen, ohne dass damit der Verfall des gewerkschaftlichen Organisationsgrades im privatwirtschaftlichen Sektor der Vereinigten Staaten auch nur irgendwie aufgehalten worden wäre. Er liegt gegenwärtig bei 7,4 Prozent. Nachdem Mitte der neunziger Jahre noch einmal Hoffnung aufgekeimt war, das Establishment der US-Gewerkschaften sei möglicherweise in der Lage, sich doch noch zu einer Art »social movement unionism« durchzuringen, muss diese Erneuerungsbewegung inzwischen als geschei­tert angesehen werden. Linke Gewerkschaftskenner wie Kim Moody raten deshalb lieber zum nüchternen Studium konkreter Streikauseinandersetzungen. Ein nicht gerade unspektakuläres Beispiel hierfür ist der inzwischen sechs Wochen dauernde Ausstand der Drehbuchautoren. Er kann morgen beendet sein, sich aber auch noch bis ins nächste Jahr hinziehen.