Trari, trara, der Mindestlohn ist da

Union und SPD haben sich auf die Einführung eines Mindestlohns bei den Briefzustellern geeinigt. Der private Zusteller Pin AG drohte umgehend mit der Entlassung von Mitarbeitern oder gar mit Insolvenz. Von Winfried Rust

Die Antwort kam prompt: 1 000 Mitarbeiter will die Pin Group AG, der größte private Postzusteller, entlassen, möglicherweise will sie sogar Insolvenz anmelden. Der angegebene Grund ist die Einführung eines Mindestlohns bei der Post. Ende Novem­ber hatten sich die Union und die SPD darauf geeinigt, den neuen Tarifvertrag zwischen der Gewerkschaft Verdi und dem Unternehmerverband Postdienste für allgemeingültig zu erklären und den Post-Mindestlohn in das so genannte Entsendegesetz aufzunehmen. Kurz darauf verkündete die Pin AG ihre Pläne.

Es ist eine unruhige Zeit auf dem deutschen Briefmarkt. Zu seiner vollständigen Liberalisierung stehen neben der Deutschen Post AG verschiedene Anbieter bereit. Nach den Prognosen von Pricewaterhouse Coopers, einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, hätten die neuen Wettbewerber ihren bisherigen Marktanteil im Briefgeschäft bis zum Jahr 2011 auf 20 Prozent verdoppeln können. Mit der geplanten Einführung des Mindestlohns ist diese Rechnung vermutlich überholt. Ein Teil der bisherigen Investitionen ist wahrscheinlich in den Sand gesetzt, denn die Anbieter haben mit Niedriglöhnen kalkuliert.

Nach der Ankündigung der Pin Group AG, hinter der die Verlagsgruppen Axel Springer, Holtzbrinck und WAZ stehen, erklärte sich die Post AG öffentlichkeitswirksam dazu bereit, Mitarbeiter, die von der Pin AG entlassen werden, »zu vernünftigen Löhnen« einzustellen. Das verstellt aber den Blick darauf, dass die Post AG ebenfalls Personal abbauen will. Ein zweiter Aspekt ihrer Personalpolitik ist der Austausch älterer gegen neue Mitarbeiter, die flexibler sind und weniger verdienen.

Die Auseinandersetzung um den Mindestlohn bei der Post ist Teil der politischen Auseinandersetzung um Mindestlöhne im allgemeinen. Lange Zeit wurden Niedriglöhne von den meisten Parteien befürwortet. Unter der rot-grünen Regierung folgte die Arbeitsmarktpolitik dem Motto von Gerhard Schröder: »Jeder Job ist besser als kein Job.« Doch die gelobte Einstiegschance in den Arbeitsmarkt hat eine Kehrseite: Die Löhne sinken. Eine Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) weist aus, dass 5,5 Millionen Menschen für weniger als 7,50 Euro pro Stunde arbeiten. Diese Zahl ist in zwei Jahren um 900 000 Beschäftigte gestiegen. Vielen fällt dieser negative Trend inzwischen auf, oder sie bekommen ihn sogar am eigenen Leib zu spüren.

81 Prozent der Befragten sprachen sich kürzlich in einer »Deutschlandtrend«-Umfrage für den Mindestlohn bei der Post und 78 Prozent für die Einführung von Mindestlöhnen auch in anderen Branchen aus. Die SPD will an dem populären Thema dranbleiben. Als nächstes könnten Mindestlöhne für die Zeitarbeitsbranche, das Bewachungsgewerbe oder die Fleischverarbeitung verhandelt werden.

Selbst in der CDU mehren sich inzwischen Stimmen, die sich für einen allgemeinen Mindestlohn aussprechen. Der frühere Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung, der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Rauen, begründete seinen Meinungswandel mit schlechten Erfahrungen in der Baubranche. Auch der Vorsitzende des Wirtschafts­rats der CDU, Kurt Lauk, kann sich einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn, allerdings von 4,50 Euro, vorstellen.

Der Mindestlohn für Briefzusteller soll acht Euro im Osten und 9,80 Euro im Westen betragen. Wenn man die 9,80 Euro mit den 16 Euro Durchschnittslohn bei der Post AG vergleicht, kommt man einfach gerechnet auf Bruttomonatsgehälter von 1 760 bzw. 2 880 Euro.

Den angeblich 20 000 gefährdeten Arbeitsstellen bei den neuen Briefdienstleistern stehen angeblich 30 000 Arbeitsstellen bei der Post AG gegenüber, die deren Vorsitzender, Klaus Zumwinkel, bei einer Liberalisierung des Briefmarkts ohne Mindestlohn als gefährdet bezeichnete. Es geht derzeit also nicht darum, ob, sondern welche Stellen wegfallen.

Die neuen Wettbewerber im Briefgeschäft haben bislang große Kreativität bewiesen, um mit Tricks und Sozialdumping die Post AG in der Kostenkalkulation zu unterbieten. Die Unternehmer könnten nun versuchen, den Mindestlohn durch Auslagerungen, Subunternehmertum oder Zeitarbeit zu umgehen. Nach einem Bericht der Financial Times Deutschland will die Pin AG Zusteller von Zeitungsverlagen und regionalen Briefdiensten einsetzen. Diese fallen oftmals nicht unter die geplante Mindestlohnregelung.

Höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen werden sich also nicht von selbst einstellen. Im Gegenteil, die Unternehmen werden weiter daran arbeiten, die Löhne so niedrig wie möglich zu halten. Ein besonderes Beispiel hierfür ist die »Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste« (GNBZ). Geleitet wird sie von einem ehemaligen Mitglied der Geschäftsleitung von Tengelmann, Arno Doll. Inzwischen ist der pensionierte Manager hauptamtlicher Vorstand der Gewerkschaft. Dass er unabhängig von den Unternehmern handelt, ist unwahrscheinlich. Wovon die neue, kleine Gruppe Gehälter oder ihre Büroräume bezahlt, wollte Doll der Frankfurter Rundschau zum Beispiel nicht verraten.

Vieles erinnert bei der GNBZ an »gelbe« Gewerkschaften wie etwa die »Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger« (AUB) bei Siemens. Diese wurde vom Unternehmen selbst gegründet, um die Belegschaft zu spalten. Ob sich die GNBZ zu Recht eine »Gewerkschaft« nennt, ist zweifelhaft. Über den Mindestlohn schreibt sie auf ihrer Homepage: »Das ist Staatsinterventionismus nach sozialistischem Muster. Staatlich verordnete Zwangslöhne (richtiger als der Begriff Mindestlöhne) schaffen faktisch die Tarifautonomie ab. Das ist Planwirtschaft nach DDR-Vorbild.«

Dabei hat schon lange keine Demonstration mehr so sehr an die glorreichen Umzüge der DDR gemahnt wie die am 9. Oktober in Berlin. In der Einladung zur Kundgebung gegen den Mindestlohn bei der Post war zu lesen, es protestierten »die Berliner Zustellerinnen und Zusteller der Pin Mail AG und der TNT Post gemeinsam mit ihren Arbeitgebern«. Auf der Demonstration wurde der Text zu einem Lied verteilt, das den Titel hatte: »Eins, zwei und vor, wir sind der Briefdienstchor!« Die erste Strophe lautete so: »Wir sind heute hier versammelt/haben ganz schön viel Bammel/wir wollen alle arbeiten gehen/auch für weniger ist es schön.«

Es fällt sicherlich schwer, die GNBZ als einen Angriff auf die gewerkschaftliche Organisierung allzu ernst zu nehmen. Aber die bisherigen Schwie­rigkeiten bei dem Versuch, in Berlin eine Interessenorganisation bei Pin aufzubauen, zeigt auch, wie wichtig es dem Konzern ist, eine starke gewerkschaftliche Vertretung im Betrieb zu verhindern. Die Teilnehmer an Gewerkschafts­treffen erhielten Kündigungen, wie in dem kürzlich erschienenen Buch »Das Lohndumping-Kartell« von Uli Röhm und Wil­fried Voigt zu lesen ist. Später trat den Autoren zufolge eine von der Unternehmensleitung gestützte Liste auf, die sich »Wir sind Pin« nennt.

Von einer durchgängig unabhängigen gewerkschaftlichen Vertretung kann bei Pin in Berlin derzeit – selbst da, wo Betriebsratswahlen stattfinden – keine Rede sein. Auch nach der Einführung des Mindestlohns gibt es genügend Gründe, die neue Welt der Briefdienstleister kritisch im Auge zu behalten.