»Zuweilen folgt dem Coming out die Vergewaltigung«

Kamilia Manaf und Imelda Taurina Mandala, indonesische Genderaktivistinnen

In Indonesien wächst der Einfluss funda­men­talistischer islamischer Strömungen. Trotzdem treten Schwule, Lesben und Transgender immer selbstbewusster auf. Ein Gespräch mit den indonesischen Ak­tivistinnen Kamilia Manaf und Imelda Taurina Mandala über Homophobie und Islam, Rollbacks und Hoffnungsschimmer.

Kamilia Manaf ist die Gründerin der indonesischen Nichtregierungsorganisation Institut Pelangi Perempuan (Frauen-Regen­bogen-Institut), die speziell jungen lesbischen Frauen als Anlaufstelle dient. Imelda Taurina Mandala arbeitet seit sechs Jahren bei dem international renommierten Q-Filmfestival in Jakarta mit, das jährlich zahlreiche Filme über Lesben, Schwule, Bi­sexuelle und Transgender (LGBT) zeigt. interview: florian krauß

Wie ist die Situation für Lesben, Schwule, Bi­sexuelle und Transgender in Indonesien?

Kamilia: Es gibt kein Gesetz, das Homosexualität ausdrücklich verbietet, allerdings werden LGBT-Themen in der indonesischen Gesellschaft weitgehend tabuisiert. Wer sein Coming out als Schwu­ler, Lesbe oder queere Person erlebt, ist in der Regel von Diskriminierungen betroffen – in Form von verbaler oder körperlicher Gewalt.

Seit wann existieren lesbische und schwule Emanzipationsbewegungen in Indonesien?

Kamilia: Bereits in den frühen achtziger Jahren formierte sich eine Schwulenbewegung in Indonesien. Eine lesbische Bewegung existiert erst seit 1995. Wie in vielen anderen Ländern ist die schwule Community in verschiedener Hinsicht größer und sichtbarer. Das ist natürlich auch ein globales Phänomen.

Warum sind Lesben weniger sichtbar als Schwule?

Kamilia: Die mangelnde Präsenz hängt mit patriarchalen Strukturen zusammen, die in der indonesischen Gesellschaft besonders ausgeprägt sind. Männer, und damit auch Schwule, befinden sich in einer privilegierten Position. Das fängt bereits in der Erziehung an: Jungs wird vermittelt, offensiv und aggressiv aufzutreten, Mädchen sollen sich höflich und zurückhaltend benehmen.

Imelda: Lesbische Frauen treffen sich meist nur an privaten Orten. Immer wieder gibt es die Angst, mit der Szene assoziiert zu werden, von jemandem gesehen zu werden, Fragen gestellt zu bekom­men …

Mit welchen Problemen sehen sich junge Lesben in Indonesien konfrontiert, die die Zielgruppe des Frauen-Regenbogen-Instituts bilden?

Kamilia: Häufig erleben sie sowohl im Privaten als auch in der Schule oder an der Universität Ge­walt. Es gibt Fälle, in denen Lesben durch eine psy­chiatrische Behandlung »geheilt« werden sollen. Sehr viele jungen Lesben werden gezwungen zu heiraten. Hin und wieder reagiert die Fami­lie auf das Coming out auch mit Vergewaltigungen durch männliche Verwandte. Das Mädchen soll durch die Vergewaltigung »heterosexuell gemacht« werden. Viele junge Lesben werden aus dem Elternhaus verstoßen. Wenn sie obdach­los werden, sind sie häufig sexueller Gewalt ausgesetzt.

Wie gehen Lesben in Indonesien mit den Problemen im familiären Umfeld um?

Kamilia: Viele Lesben entscheiden sich für eine Heirat, denn die Familie hat in der indonesischen Gesellschaft einen sehr großen Stellenwert. Hier spielt auch immer wieder der Gedanke eine Rolle, die Eltern glücklich zu machen und Kinder zu bekommen. Mit einem Mann verheirate Lesben leben ihre Homosexualität höchstens heimlich. Un­ter Besucherinnen unserer Einrichtung ist das ein eifrig diskutiertes Thema: Soll ich einen Mann heiraten oder nicht?

Imelda: Die Meinung, derzufolge Sex der Reproduktion zu dienen hat, ist weit verbreitet. Dass ein Leben jenseits der heterosexuellen Familie möglich ist, ist für viele eine Neuigkeit.

Kamilia: Viele LGBT-Menschen halten ihre sexuelle Identität für eine Sünde und glauben, dass sie heiraten müssen. Religion und LGBT werden oft als Widersprüche aufgefasst.

Welche Rolle spielen Religionen bei der Diskriminierung von LGBT?

Kamilia: Muslimischer Fundamentalismus ist ein zentrales Thema im Indonesien der Gegenwart. Das betrifft nicht nur Rechte von LGBT, sondern auch viele andere Themen wie etwa Frauenrechte im Allgemeinen. Fundamentalistische Tendenzen gibt es in Indonesien nicht nur im Islam, son­dern auch in anderen Religionen. Allerdings sind konservativ-islamistische Strömungen besonders einflussreich und stark …

Imelda: … was vor allem daran liegt, dass die Mehr­heit der Indonesier und Indonesierinnen Muslime sind. Indonesien ist weltweit gesehen das Land mit den meisten Muslimen.

Kamilia: Im Jahr 2000 griffen islamische Fundamentalisten LGBT-Aktivistinnen und -Aktivisten auf einer HIV/Aids-Konferenz in der Nahe von Yogjakarta an. Dieser Vorfall stellt bis heute eine Art Trauma für die LGBT-Bewegung dar. Ein anderes Beispiel: In der Provinz Aceh schlugen im Januar 2007 mehrere Menschen »im Namen des Islam« einen schwulen Mann zusammen. Auf der Polizeistation wurde er erneut misshandelt. Was Islam und LGBT betrifft, muss man allerdings dif­ferenzieren. Es gibt liberale muslimische Orga­nisationen, mit denen wir zusammenarbeiten. Und natürlich sind auch viele indonesische Chris­ten homophob eingestellt.

Inwiefern unterscheidet sich die Situation von LGBT in den einzelnen Provinzen?

Kamilia: Infolge der Dezentralisierung Indonesiens erhielten mehrere Provinzen eine gewisse Autonomie. In Südsumatra hat die Regionalregierung ein Gesetz verabschiedet, das LGBT krimi­nalisiert, in anderen Provinzen wird Frauen vorgeschrieben, ein Kopftuch zu tragen. Ländliche Regionen sind häufig deutlich konservativer, und Informationen zu bekommen, ist dort sehr schwie­rig. Wir, das Frauen-Regenbogen-Institut, haben unseren Sitz in der Hauptstadt Jakarta, bemühen uns aber, ein Netzwerk auch in anderen Regionen aufzubauen.

Sind fundamentalistische Tendenzen eine eher junge Entwicklung in Indonesien?

Kamilia: Man kann zumindest feststellen, dass fundamentalistische Strömungen in der Gesellschaft in den letzten Jahren an Stellenwert gewonnen haben. Die indonesische Regierung verfolgt immer noch ein Gesetzesvorhaben, das vermeintliche Pornographie verbieten soll: Hier wären Darstellungen von Homo- und Heterosexualität in Film- und Fernsehsendungen betroffen, aber auch Küsse und Umarmungen in der Öf­fentlichkeit sollen kriminalisiert werden. An dem Diskurs um das Pornographie-Verbot lässt sich allerdings auch ablesen, wie vielfältig und kontrovers die Meinungen in der indonesischen Gesellschaft sind. Über den Gesetzesentwurf wird seit einem Jahr in der Öffentlichkeit heiß diskutiert.

Was sind die Zukunftspläne des Frauen-Regenbogen-Instituts?

Kamilia: Für unsere Organisation ist es erst mal ein zentrales Anliegen, Frauen das Bewusstsein zu vermitteln, dass ihre sexuelle Orientierung und Identität ihr gutes Recht sind. Viele Lesben, Schwulen und Transgender denken, dass die Diskriminierungen, denen sie ausgesetzt sind, eine Legitimation haben. Außerdem wollen wir mit einer Kampagne die Öffentlichkeit darüber aufklären, dass Homosexualität ein Menschenrecht ist und dass homo- und transphobe hate crimes eine Menschenrechtsverletzung darstellen. Bislang ist es so, dass staatliche Stellen in Indonesien entsprechende Fälle vertuschen und keinen Schutz bieten.

Weitere Informationen zum Frauen-Regenbogen-Institut im Internet unter satupelangi.com (ab Januar 2008 auch auf Englisch). Die Internetseite des Q-Filmfestivals findet sich unter www.qfilmfestival.org/