Gib mir noch ’ne Flasche Bier, Flasche Bier!

Sekt macht dick, und man kriegt kein Pfand zurück. Auf das neue Jahr sollte man mit dem wichtigsten zivilisatorischen Kulturgut anstoßen: Bier. von ivo bozic
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Um gleich eines klar zu stellen: Komm’ mir nicht mit der Champagner-Nummer! Von wegen: Sekt, naja gut, aber Champagner, das ist doch das Wah­re. Nein. Champagner ist Sekt, Sekt ist Cham­pag­ner, wer etwas anderes behauptet, ist ein Nazi. Ja, denn er erkennt den Versailler Vertrag nicht an. Im dortigen »Champagnerparagraphen« (Artikel 274 und 275) wird nämlich der einzige Unterschied zwischen jenen beiden Getränken definiert: Cham­­pagner aus Deutschland darf nicht Champagner heißen, die Kriegsverlierer haben sich gefälligst einen eigenen Namen auszudenken. Möchte man hingegen in den USA einen Sekt, darf und sollte man »Champagne« ordern, in der Türkei »S¸am­panya«, in Vietnam »Sâm-Banh«. Am Ende ist es eh alles dasselbe: Schaumwein. Reden wir in der Folge also in Anerkennung der deutschen Kriegsniederlage 1919 neutral von Schaumwein. Mit der Schaumweinsteuer wurden im Übrigen auch sämtliche deutschen Kriege finanziert, aber wir wollen ja nicht politisch werden.

Selbstverständlich mag es besseren und schlech­teren Schaumwein geben, so wie es auch besseres und schlechteres Bier gibt – aber es bleibt: Weiß­wein mit Luftbläschen. Eines hat der Schaum­wein dem Bier sicherlich voraus, er prickelt besser in deine Bauchnabel, doch dies kann ja wohl kaum ein ernst zu nehmendes Argument für ein Lebensmittel sein.

Ansonsten spricht alles gegen Schaumwein. Er verursacht Sodbrennen und Kopfschmerzen, verträgt sich nicht mit Jägermeister und Wodka, kostet zu viel, man kann ihn nur schwer aus der Flasche trinken, und er hat doppelt so viele Kalorien wie Bier. »Ein Glas Sekt« ergibt 79 900 ­Google-Treffer, »eine Flasche Sekt« nur 70 200. Was soll man von einem Getränk halten, bei dem es sogar Liebhaber vorziehen, davon nur ein Glas zu trinken?

Wer trotzdem Schaumwein trinkt, der hat es wirklich nötig. Der sagt auch »Stößchen«, wenn er auf der Betriebsweihnachtsfeier mit seinen »Piccolöchen« anstößt, der freut sich, wenn er das Wort »Prosecco« ausspricht, so sehr über seine vermeintliche Weltläufigkeit, dass er bei der zwei­ten Silbe stimmlich die Wohnungsdecke streift. Oder er raunt ganz bedeutungsschwer »Schampannja«, um für alle Umstehenden klar zu machen, dass er mit diesem Schluck, den er nun gleich zu nehmen beabsichtigt, endgültig all das Pack hinter sich lassen wird, mit dem er sich ges­tern noch bei Lidl um den Einkaufswagen geprügelt hat. »Prösterchen« kann man da nur sagen.

Wer nur ein wenig Stil und Kultur besitzt, der bleibt auch Silvester beim Bier. Denn Schaumwein ist ganz und gar nicht der Höhepunkt der kulturel­len Entwicklung, wie manche meinen – das Bier ist es. Seit Menschengedenken ist die Verbesserung des Bieres die Triebfeder zivilisa­torischen Fortschritts. Untrennbar gehören etwa die Erfindung von Kältemaschinen und die des Pils zusam­men. Hätten sich die Menschen mit dem Konsum von Wein und Schnaps zufrieden gegeben, gäbe es womöglich heute noch keine Kühlschränke.

Genau genommen wird der Mensch erst zum Men­schen dank des Bieres. Das erste, was die Menschheit schriftlich niederlegte, waren Ge­schich­ten rund ums Bier. Den Sumerern zufolge hatte beispielsweise die Biergöttin Ninkasi den Men­schen das Bier unter der Bedingung überlassen, von ihnen regelmäßig eine größere Menge Bier spendiert zu bekommen. Das älteste bekannte literarische Werk der Menschheit, das altbabylonische Gilgamesch-Epos, beschreibt, wie ein zotteliges Wesen namens Enkidu in der Steppe lebt, Gras frisst und mit den Gazellen umherzieht. Dann aber: »Der wilde Enkidu trank Bier; er trank davon gar an die sieben Mal. Sein Geist ward gelöst, und er ließ sich mit lauter Stimme vernehmen. Wohlbehagen erfüllte seinen Körper und sein Antlitz erstrahlte. Er wusch den zottigen Leib sich mit Wasser, salbte sich den Leib mit Öl – und ward ein Mensch.«

Es wird ja immer wieder gern darüber geredet, was den Menschen vor allem über das Tier erhebt – im Grunde ist es ganz einfach: Vögel bauen Behausungen, Pferde können tanzen, Schim­pan­sen rechnen, Ameisen bilden Staaten, Fische küs­sen sich, und der Brachynus-Käfer hat ein natürliches Kanonenrohr im Arsch, mit dem er Gift­gas verschießen kann. Bier brauen können nur Menschen. Warum also sollten wir gerade an einem Tag wie Silvester nicht mit unserem höchsten zivilisatorischen Kulturgut anstoßen?!

Übrigens: Nach der Party kannst du die Bierflaschen wegbringen und bekommst genügend Pfand zurück für das Katerfrühstück am Neujahrstag. Die leere Sektflasche staubt noch im Februar auf deinem Küchenboden vor sich hin.