Manchmal überfiel sie eine tiefe Traurigkeit

Mit einer Stilmischung aus Kolportage und Propaganda versucht Jutta Ditfurth, die Extremvita der Ulrike Meinhof zu rekonstruieren. Von Uli Krug
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Die Wahrheit über …  – was bereits auf dem Umschlag so angepriesen wird, bietet meist bloße Kol­por­tage; »die Wahrheit« über Lady Dianas Tod beispielsweise oder die über allerlei Verschwörungen. Auch Jutta Ditfurths »Die Wahrheit über Ulrike Meinhof« ist Kolportage: Sie bedient sowohl in sprachlicher wie inhaltlicher Hinsicht hemmungslos die Sehnsucht nach einer mater dolorosa, einer Leidens-Madonna der außerparlamentarischen Bewegungen der ehemaligen Bundesrepublik. So liest sich diese Biografie wie eine Mischung aus Groschenroman (»Nachts drehte sie das Radio auf, bis die Klänge eines Saxofons oder einer Trompete ihre Trauer zerschlugen«), Heldenepos (»Ulrike Meinhof war glücklich über ihren ersten großen politischen Sieg. Das Zentralkomitee der KPD empfing sie mit offenen Armen«), feministischem Kitsch (»Sie sah sich im Traum durch Oldenburg laufen und hatte an jeder Straßenecke das Gefühl, Marie zu spüren«) und sozialistischem Aufbau-Pathos (»Sie arbeitete, diskutierte und organisierte und war voller Optimismus: Am Ende wer­den wir die Welt doch noch verändern«).

Trotz des unfreiwillig komischen Schreib­stils (»Sie legte sich mit mulmigem Gefühl auf den Zahnarztstuhl. Manchmal überfiel sie eine tiefe Traurigkeit. Dann vermisste sie Lothar Wal­lek«) bietet das Werk doch in einer Hinsicht eine Wahr­heit an: die über Jutta Ditfurths Selbst­bild. Nicht umsonst nämlich sind die letzten drei Werke der Autorin Biografien, die, zweimal verdeckt und einmal offen, von Jutta Ditfurth selbst han­deln: einmal inkarniert in ihrer Urgroßmutter, Gertrud Elisabeth von Beust – »Die Himmelsstürme­rin« (1998) –, dann gleich eine Autobiografie – »Durch unsichtbare Mauern. Wie wird so eine links?« (2002) – und nun das Opus Mag­num über »Ulrike«, die offenbar irgendwo zwischen Lieblingskusine und Alter Ego angesiedelt ist. Die Art und Weise, wie Ditfurth sich gegen das allzu Offensichtliche verwahrt, spricht dabei selbst Bände: »(...) sobald Frauen über Frauen schreiben, kommen dann oft so emotionalisier­te Seitenhiebe, die mein Verstand dann nicht ganz versteht, aber die ich dann hinnehme als Problem der Rezensenten. Also, es gibt weder Seelenverwandtschaft noch anderen emotionalen Schmus.« (Originalton Ditfurth in Deutschlandradio Kultur, 29. Novem­ber 2007)

Wo so viel eitle Vereinnahmung der Person Ul­rike Meinhofs herrscht, hat Empathie absolut keinen Platz. Dabei zeigen sich die Konturen der Lebensgeschichte Meinhofs deutlich durch die von Ditfurth stilisierte Heroinen-Vita: Konturen einer zutiefst mitleiderregenden, erst mit dem Selbstmord im Gefängnis endenden Suche des früh alleingelassenen und vernachlässigten Kin­des Ulrike Meinhof auf der Suche nach Anschluss und Anerkennung; eine Odyssee, die Mein­hof zuerst allein durch alle mög­lichen Universitätsstädte und linksoppo­sitio­nel­le Milieus führte und sie schließlich mit zwei Töch­tern im Schlepptau in Westberlin umherziehen ließ. Das einst vernach­lässigte Kind wur­de zur sprunghaften Mutter, ständig schwankend zwischen Überemotionalisierung und Gleich­gül­tig­keit. Ging es darum, An­erkennung in neuen Kreisen zu erlangen, wurden WGs als Waisenheim auf Zeit instrumenta­lisiert, Freunde und die Verwandschaft eingespannt, schließlich wur­de sogar die Unterbringung im palästinensischen Kinder-Asyl erwogen.

Dass sie schlechte Chancen hatte, den Sorgerechtsprozess gegen ihren Ex-Ehemann Klaus-Rainer Röhl zu gewinnen, weil sie das Verfahren aus dem Untergrund betrieb, hatte Meinhof ernsthaft überrascht. Eine Weltfremdheit, die beim Leser Mitgefühl hervorrufen könnte, ja müsste, wird von Ditfurth zur revolutionären Erfüllungsgeschichte umgedeutet: Meinhof als von den Verhältnissen malträtierte Rebellin, sie selber stets und immer die Inkorporation des strahlenden Guten; um sie herum dunkelster Faschismus.

Ditfurth entstellt aber nicht nur die Person Meinhof zu einem revolutionären Abziehbild, sondern auch die politische Schriftstellerin – und verpasst hier das Wichtigste: Wie sehr sich bei Meinhof exemplarisch der Wille zum Guten, zum Bruch mit dem, was deutsch ist, mit unangenehmster Deutschtümelei überkreuzte, der Deutschtümelei nämlich, wie sie in der KPD seit 1930, seit dem »Kampfprogramm zur na­tionalen und sozialen Befreiung Deutschlands«, vorherrschte. Dieser Widerspruch zog sich von Anfang an durch Meinhofs Publizistik. Einerseits zeigte sie Anteilnahme für die Opfer des Warschauer Ghettos und brachte andererseits 1972 mit der Rechtfertigung des palästinensischen Überfalls auf israelische Olympia-Teilnehmer in München den wohl drastischsten Antisemitismus zu Papier, zu dem Linke fähig sind. Es ist ebenso ein- und dieselbe Meinhof, die bereits 1965 für Konkret im NPD-Stil Dresden mit Ausch­witz gleichsetzt, aber 1967 davor warnt, Israel zum propagandistischen Abschuss freizugeben, weil sie noch eine Ahnung davon bewahrt hat, warum der Staat der Juden bestehen muss. Die Programmatik der RAF schließlich löste diese Widersprüche in Richtung der alten KPD auf, also: in antisemitische Klischees und völkische Rhetorik.

Ditfurth aber tut so, als ob ausgerechnet dies die angemessene Antwort gewesen wäre auf die Probleme der späten Sechziger: auf alte Nazis in den Ämtern der Bundesrepublik oder den Westberliner Polizeiterror, der für johlendes Vergnügen beim Großteil der eingeborenen Bevölkerung sorgte, die sich als nun wirklich faschistischer Lynch-Mob erwies. Die tra­gische Groteske der Neuen Linken und der RAF, diesem Volk dienen und dabei dennoch subjektiv antifaschistisch bleiben zu wollen, erfasst Ditfurth dabei nicht: Hier wird nur beschönigt, weggelassen, gerechtfertigt. Ein Höhepunkt in dieser Hinsicht stellt die Darstellung der PLO und des jordanischen Camps dar, in dem sich die Gründergruppe der RAF ausbilden ließ: Mein­hof habe von deren engen historischen Verbindungen zum Nationalsozialismus nichts gewusst, behauptet Ditfurth. Die in diesen Camps üblichen Zeichen einer Hitler-Verehrung wie Hitler-Bilder und der auch RAF-Mitgliedern entbotene »Deutsche Gruß« sollen ausgerechnet Ulrike Meinhof verborgen geblieben sein? Aber auch da weiß Ditfurth Antwort; denn die Palästinenser wurden erst richtige Judenhasser, nachdem Meinhof schon nicht mehr im Ausbildungscamp war: »Jedoch wuchs in den folgen­den (!) Jahren in den palästinensischen Ausbildungslagern der Hass auf die Juden enorm.«

Ansonsten hat man eine derart verlogene Idyl­lisierung der DDR als dem Reich des Antifaschis­mus und der Volksbildung, in dem auf fröhlichen Künstlerfesten der Wodka floss, wäh­rend in der Bundesrepublik überall Agenten schnüffelten und alles geradezu ungeheuer reak­tionär war, schon lange nicht mehr gelesen. Und nicht nur das: Das seinen Mitgliedern gegen­über völlig verantwortungslose Sozialistische Patienten­kollektiv Heidelberg wird zu einer net­ten Selbst­hilfegruppe, der rüde Macho Baader zu einem etwas zu direkt argumentierenden G­e­nossen; das konspirative Apartment zu einem zartfühlenden Coming-Out-Setting für bisexuelle Jungstudentinnen; die tatsächlich für Mein­hofs labi­len Seelenzustand zu harten Haftbedin­gungen wieder mal zur »Weißen Folter«.

Dieses Buch wird nicht, wie die Autorin glaubt, »eine Zeit lang wahrscheinlich sehr stark dastehen« (Originalton Ditfurth in Deutschlandradio Kultur, 29.11.07). Denn es ist schlicht und einfach: großer Schrott.

Jutta Ditfurth: Ulrike Meinhof. Die Biografie. Ullstein, ­Berlin 2007, 22,90 Euro, 479 Seiten