Das Geheimnis des Misserfolgs

Zu Unrecht vergessene Musik, Teil vier: maurice summen erkennt in der Band NRBQ die Simpsons der Rockmusik

NRBQ sind die glorreiche Antithese zu allem, an dem die Rolling Stones schuld sind. Wir erinnern uns: Britische Bands hatten den afroamerikanischen Rhythm &Blues für sich entdeckt, und die Beat-Invasion wurde nach Elvis Presley als das erste globale Pop-Phänomen abgefeiert. Aus Beatmusik wurde Rock, aus Rock wurde Progrock, als Antithese zu Progrock entstand Punkrock, und am Ende stand Grungerock und Yoko Ono hieß plötzlich Courtney Love.

Welche Rolle spielen die Stones in diesem Zusammenhang? Die Rolling Stones sind der ursprünglichen Idee immer treu geblieben: »Weiße Jungs spielen schwarzen Rhythm & Blues.« Sie hatten eigentlich nur einen Fehler. Sie wurden zu Superstars auf Ewigkeit. Es kann offenbar nur einen von jeder Sorte geben: einen King, eine Madonna, eine M.I.A. oder, in der Dorf-Eisdiele: nur eine Best-Of-CD von Eros Ramazzotti.

Selbst wenn heutzutage alte Hits von Them, der alten Band von Van Morrison (»Gloria«), im Radio laufen, hört man den besoffenen Kneipenbesucher aus dem Raucherzimmer grölen: »Hey, geil! Mach mal lauter: die Stones!« Zum Verwechseln komisch.

NRBQ sind gar keine britische Band, sondern eine amerikanische aus Miami, Florida. Von allen Gruppen, die von der britischen Invasion gleichermaßen inspiriert sind wie vom amerikanischen Country & Western, sind sie die versierteste. NRBQ hätten mit ihren wunderbaren Songs theoretisch das Potenzial gehabt, auf den Radio-Hitwellen bis nach Hannover getragen zu werden, aber es kam anders. Das, was diese Band auf ihren 34 Alben veröffentlicht hat, gehört dennoch zu den schönsten, vielseitigsten und humorvollsten Beispielen, bei denen sich Rhythm & Blues und Redneck-Hillbilly treffen.

NRBQ wurden 1972, nach zwei Alben, von Columbia-Records wegen ihrer Erfolglosigkeit fallengelassen. Sie gründeten ihr eigenes Musik­label, »Scraps« war die erste Veröffentlichung. Gemessen an den Rolling Stones sollte man das Wort »Erfolg« im betriebswirtschaftlichen Sinne im Zusammenhang mit NRBQ besser vergessen. Es geht um die Musik: »Scraps« wirkt noch heutzutage, nachdem wir sämtliche Stufen der Rockmusik hinter uns gebracht haben, wie ein liebevoll zusammengestelltes Buffet. Da gibt es die Popsongs, die der Bassist Joey Spampinato geschrieben hat, der Jahre später übrigens als Gast auf »Talk is cheap«, dem Solodebüt von Keith Richards, zu hören ist. Da sind sie wieder: die Rolling Stones! Dann bestechen NRBQ auch mit den an Thelonious Monk erinnernden Atonalitäten des wirren Keyboarders Terry Adams. Bei keiner anderen Band hört man größere Freude am Spielen.

Ergänzt werden Adams und Spampinato von Al Anderson an der Gitarre, Tom Ardolino am Schlagzeug und Frank Gadler, dem Sänger. Er verließ die Band zwar wenig später, aber NRBQ, das »New Rhythm & Blues Quintet«, bestanden in der restlichen Besetzung bis 1994.

»Scraps« ist nicht einmal das beste Album der Band. Es ist einfach eines von vielen großartigen Alben. Aber mit »Scraps« begann eine einzigartige, produktive Phase, die über 20 Jahre lang dauerte.

Auf Youtube findet man einige Livevideos von NRBQ. Sie spielen irgendwo in der Einöde, nachmittags auf Volksfesten vor desinteressierten Gestalten, die sich an Biertischen festhalten. Man kennt solche Ereignisse auch in Deutschland. So stellt man sich das gruselige Ende einer Bandkarriere vor: der Auftritt auf dem Volksfest, zur Eröffnung eines Baumarkts, auf dem Stadtfest in Schwerte, beim örtlichen Fernsehsender. Doch in den Videos auf Youtube kann man hören und sehen, welch überwältigende Band spielt. Da verliert auch das triste Szenario vollkommen an Bedeutung. Ich rutsche jedes Mal vor Ehrfurcht unter die Bürotischplatte.

Den größten Respekt, den NRBQ bis heute in den Medien erfahren durften, war ihr Auftritt in der beliebten Comic-Sitcom »The Simpsons«. Und wenn man es sich genau überlegt: NRBQ sind die Simpsons der Rockmusik.

NRBQ: Scraps (Red Rooster Records 1972)