Das wird nicht billig

Die internationale Finanzkrise hat Deutsch­land erreicht: An der Frankfurter Börse herrscht Panik. Groß-, Landes- und mittelständische Banken müssen schon längst hohe Verluste eingestehen. von michael r. krätke

Was im Sommer 2007 Form annahm, schien auf den ersten Blick eine US-amerikanische Hypothekenkrise zu sein. Doch sie hat sich rasch zu einer internationalen Krise entwickelt, die alle wichtigen Finanzmärkte weltweit betrifft. Sie ist längst in Europa und Asien angekommen. Am Montag herrschte Panik an der Frankfurter Börse, der Kurs des deutschen Aktienindex fiel so stark wie zuletzt am 11.September 2001. Alle Rettungsversuche der Zentralbanken haben bisher nichts genützt, auch die letzte und spektakulärste konzertierte Aktion der größten Zentralbanken von Mitte Dezember konnte den Fortgang des Malheurs nicht verhindern. So dürfte der Höhepunkt der Finanzkrise in den kommenden Monaten noch bevorstehen.

Seit Anfang Januar verschlechtert sich die Lage an den großen Weltbörsen schneller. Denn nun stellen die Großbanken und Finanzkonzerne ihre Jahresabschlüsse vor, das ganze Ausmaß der Verluste wird allen Tricks zum Trotz sichtbar. Hektisch haben die Banken begonnen, Hedgefonds und andere spekulative »Zweckgesellschaften« aufzulösen, aber die Verluste bleiben. Und sie stei­gen ständig, auch wenn die Banken alles versuchen, um die enorme Masse fauler Kredite und mittlerweile unverkäuflicher Kreditderivate voreinander und vor ihren Aktionären zu verheim­lichen.

Das Erstaunen war groß, als im Sommer 2007 be­kannt wurde, dass sich auch eine mittelständische deutsche Bank wie die IKB Deutsche Industriebank im Geschäft mit Kreditderivaten aus den USA verspekuliert hatte und am Rande des Bankrotts stand. Sie war nicht die einzige. Auch die deutschen Großbanken hatten unter Verwendung recht abenteuerlicher Geschäftsmodelle und »Zweckgesellschaften« mitgemischt. Josef Ackermann, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, und Menschen in ähnlichen Positionen beteuern ihre Ahnungslosigkeit. Auch wenn in Deutschland in absehbarer Zeit keine Hypothe­kenkrise droht, trifft die internationale Krise den deutschen Banken- und Finanzsektor außerordentlich. Die deutsche Exportwirtschaft wird zudem von der wohl beginnenden Rezession in den USA und anderswo sehr bald in Mitleidenschaft gezogen werden.

In den vergangenen Tagen folgte eine misera­ble Nachricht der anderen, die größten US-ameri­kanischen Banken mussten Verluste in zweistel­liger Milliardenhöhe offenbaren. Das Minus inter­national tätiger Banken und Investmentfonds, das offiziell eingestanden wird, beträgt mittlerweile schon etwa 145 Milliarden Dollar. Das ist aber erst der Anfang, in den nächsten Wochen und Monaten dürfte sich diese Summe vervielfachen, da die Finanzkrise nicht nur anhält, sondern sich immer weiter ausbreitet. Die Immobilienkrise in den USA, mit der das Ganze begann, wird ihren Höhepunkt erst noch erreichen. Denn die Hypothekenzinsen sind variabel, sie werden regelmäßig angehoben, eine rasant wachsende Zahl von Hypothekenschuldnern kann die Lasten nicht mehr tragen, die Zahl der Zwangsversteigerungen schießt in die Höhe, die Immobilienpreise fallen, der Bausektor und der gesamte Immobilienmarkt brechen ein.

Die Auswirkungen werden sich deshalb auch für die deutschen Großbanken immer stärker bemerkbar machen. Nach der IKB gerieten im vergangenen Sommer bereits einige Landesbanken in Schwierigkeiten, die auf besonders abenteuerliche Weise international spekulative Gewinne erzielen wollten. Im Vertrauen auf die Bürgschafts­verpflichtung der Länder, die als Miteigen­tümer für Verluste haften, haben sich die Vorstände der Landesbank Sachsen (SachsenLB), der Westdeutschen Landesbank (WestLB) und vermutlich etlicher anderer Landesbanken auf das Spiel mit riskanten Kreditderivaten eingelassen und dabei verloren. Die SachsenLB stand schon vor dem Kollaps, die Übernahme durch die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) erschien als die letzte Rettung. Als das Ausmaß der Verluste deutlich wurde, weigerte sich die LBBW, die Verlustrisiken der SachsenLB von fast 30 Milliarden Euro zu übernehmen. Nach der SachsenLB musste nun auch die WestLB mindestens zwei Milliarden Euro Verluste durch Fehlspekulationen eingestehen. Das Land Nordrhein-Westfalen und die Sparkassen­verbände könnten die Bank retten – allerdings verlangen sie eine rasche Sanierung, die allein in Deutschland mindestens 1 000 Stellen kosten dürfte.

Noch größer war der Schock, als vor wenigen Tagen die Müncher Hypo Real Estate 400 Millionen Euro von den einst mit 1,5 Milliarden Euro bewerteten Kreditderivaten in ihrem Portefeuille als Verlust abschreiben musste – vorerst. Als »grund­solide« galt diese Tochter der Hypo-Vereins­bank, nun zeigte sich, dass auch ihre Kredite nicht sonderlich sicher waren. Ihre Aktien verloren an einem Tag fast 40 Prozent ihres Werts.

Die Folgen sind klar. Die Kreditkrise dauert an, die Banken werden ihre Kreditbedingungen weiter verschärfen und Geld zurückhalten, die Geldmarktzinsen bleiben hoch. Damit werden auch Unternehmen getroffen, die sich an den internationalen Geschäften nicht beteiligt haben. Zudem droht die Krise auch in Deutschland von einem Sektor des Finanzmarkts auf den nächsten überzugreifen, wie es weltweit schon der Fall ist, und eine Bank nach der anderen muss Milliardenverluste abschreiben.

In anderen europäischen Ländern sieht es ähn­lich aus, in Spanien, in Großbritannien, in Irland, in Belgien, sogar in Skandinavien. Ganz ähnlich wie im Fall der US-Hypothekenkrise haben in den europäischen Nachbarländern schnell steigende Immobilienpreise und stetig wachsende Hypothekendarlehen, die großzügig an Hausbesit­zer vergeben wurden, einen Konsumboom erzeugt. Auf Pump haben wohlhabende Briten inzwischen halb Südfrankreich aufgekauft, investie­ren ausländische Privatinvestoren auch in Städten wie Berlin, wo es noch viele billige Immobilien gibt. Wie in den USA häufen sich in ­Europa die Symptome, die auf eine ganz große Immobilienkrise hinweisen.

Wenn sie kommt, werden die Folgen für die deut­schen Banken und für die deutsche Exportwirtschaft noch weit gravierender sein als eine Rezes­sion in den USA. Eine altbekannte Lehre gilt es zu beherzigen: Finanzkrisen werden teuer. Nicht nur für die Banker und Investoren, sondern auch für die Steuerzahler und Normalverdiener, die die Kosten der »Krisenbereinigung« zu tragen haben. Denn keine Regierung eines kapitalistischen Lan­des hat es bisher gewagt, im Krisenfall dem Markt tatsächlich freies Spiel zu lassen. Der Zusammen­bruch des Bankensystems ist bisher immer verhindert worden – mit hohen Investitionen, die teils von Kapitalgebern aus dem Ausland, nicht zuletzt von den verteufelten »Staatsfonds« aus Asien oder dem Mittleren Osten kommen, zum größten Teil aber von den Steuerzahlern, die für die Verluste gerade zu stehen haben.