Der Schwiegersohn mit der Fönfrisur

Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) hat gute Chancen, bei der Landtagswahl am 27. Januar wieder­gewählt zu werden. Er gibt sich staatsmännischer als sein hessischer Amtskollege Roland Koch und hat im SPD-Kandi­daten Wolfgang Jüttner einen schwachen Herausforderer. Von Jan Langehein

Niedersachsen ist derzeit beliebt unter Politikern: Am 27. Januar ist Landtagswahl, weshalb sich die ganze Berliner Politikerschar in der norddeut­schen Tiefebene sehen lässt. Sogar die Kanzlerin war da und warb, unterstützt von Günther, dem Treckerfahrer, vor 9 000 Anhängern in der Braun­schweiger Volkswagenhalle dafür, dass Christian Wulff Ministerpräsident bleibt.

»Gerechtigkeit kommt wieder«, behauptet derweil die SPD und meint damit wohl, ihr Spitzen­kandidat Wolfgang Jüttner werde Wulff bei den Wahlen ablösen. Die Umfragen legen das nicht nahe: Infratest Dimap sah die SPD Anfang Januar zwölf Prozentpunkte hinter der CDU; Wulff läge bei einer Direktwahl 40 Prozentpunkte vor Jüttner. Sollte der SPD also kein Skandal vom Kaliber der Barschel-Affäre mehr zu Hilfe kommen, dürfte die Wahl gelaufen sein.

Der SPD fehlt nicht nur ein populärer Spitzen­kan­didat, ihr fehlen auch Themen, mit denen sie Wulff in Bedrängnis bringen könnte. Auf Bundesebene sitzt sie mit der CDU in der Großen Koalition, und die Kampagne für den Mindestlohn hat seit der Einigung bei den Postdienstleistern an Zugkraft verloren. Und die Landespolitik? Studien­gebühren wären noch im vorigen Jahr ein Thema gewesen, inzwischen aber sind die Proteste an den Universitäten dem Gleichmut gewichen. Die SPD-Wissenschaftspolitikerin Gaby Andretta will die Gebühren zwar abschaffen, stößt aber kaum auf Resonanz – das Thema scheint abgehakt.

Gleiches gilt für die meisten umstrittenen Vorhaben der Regierung Wulff: Die von Korruptionsvorwürfen und Protesten begleitete Privatisierung der Landeskrankenhäuser ist durchgesetzt, die Polizei- und Verwaltungsreformen sind mitt­ler­weile durchgesetzt. Und daran, dass die Kultur zusammengekürzt wurde, haben sich die meisten inzwischen gewöhnt.

Ein Thema allerdings hatte die Landesregierung nicht im Griff: die Schulpolitik. Kultusminister Bernd Busemann (CDU) hasst Gesamtschulen, er­klärte sie zum Auslaufmodell und verbot ihre Neugründung. Außerdem schaffte er die Orientierungsstufe für die 5. und 6. Klasse ab, weshalb jetzt schon Zehnjährige auf Gymnasium, Haupt- und Realschule verteilt werden. Busemann wollte damit die gefährdete, dreigliedrige Schulstruktur retten, gab ihr tatsächlich aber den Rest – als die Schulen im Sommer ihre Anmeldungen zählten, brach das System zusammen. Die Gesamtschulen waren plötzlich heillos überbucht und mussten Tausende von Schülern abweisen, bei den meisten Hauptschulen kam dagegen mangels Interesse keine einzige neue Klasse mehr zustande. Manche Gemeinde deklarierte ihre Hauptschule daraufhin zum Außenposten einer Gesamtschule in der nächsten Großstadt, um den Unterricht noch zu retten.

Die CDU reagiert auf diesen Kollaps in ihrem Wahlprogramm gar nicht. »Wir stehen zum Erhalt des begabungsgerechten, differenzierten und gegliederten Schulwesens«, heißt es dort und: »Weitere Angebotsschulen ergänzen dieses Regelsystem« – was bedeutet, dass es Gesamtschulen auch künftig nur dort geben soll, wo die drei anderen Schulformen schon (oder noch) vorhanden sind.

Die SPD dagegen konnte fertige »Reformen« präsentieren: die »Gemeinsame Schule«, eine mo­dernere Variante der Gesamtschule, die bis zum Jahr 2013 in ganz Niedersachsen eingeführt werden könne. Der Werbespruch im Wahlprogramm lautet: »Wir orientieren uns an erfolgreichen skan­dinavischen Vorbildern.« Aber selbst das Chaos in der Schulpolitik hat der CDU nicht geschadet, geschweige denn dem Ministerpräsidenten.

Wulff, der ewige Wahlverlierer der neunziger Jahre, scheint derzeit unangreifbar zu sein. Früher wirkte er neben Gerhard Schröder wie ein Sparkassenfilialleiter, den selbst die Stammwähler der CDU eher als Schwiegersohn haben wollten denn als Ministerpräsidenten. Im Jahr 2003 kam er dann mit Berliner Hilfe trotzdem an die Macht: Die rot-grüne Bundesregierung befand sich in einer schweren Krise, die niedersächsische SPD konnte gegen den Trend keine Wahlen mehr gewinnen. Wulff übernahm gemeinsam mit der FDP die Regierung, blieb dem Sparkassenanzug treu und behielt auch Fönfrisur und Dauerlächeln bei.

Inzwischen gilt er als nettestmöglicher CDU-Ministerpräsident der Welt. Sein Rezept zeigt sich vor allem in Abgrenzung zu Roland Koch, dem brutalstmöglichen Kollegen aus Hessen: Koch führt Wahlkampf, indem er sich mit immer schril­leren Forderungen in die Tagesschau boxt; flaut die Debatte über Boot-Camps für Jugendliche ab, will er Kinder in den Knast werfen dürfen. Koch wird geliebt oder gehasst, aber von allen zur Kennt­nis genommen – bis zum Wahltag ist er geradezu omnipräsent. Wulff sagt zum Thema Jugendkriminalität im Kern zwar nichts anderes als Koch; kein rechter Wähler kann ihm vorwerfen, er falle hinter die CDU-Position zurück. Gleichzeitig vermeidet er aber jede Verquickung von Jugend- mit Ausländerpolitik und platziert vor jeden Satz über härtere Strafen ein Bekenntnis zu Integration und Prävention.

Stets schaut Wulff seriös in die Kameras. Jede Geste soll deutlich machen, dass hier jemand spricht, der über Parteienstreit erhaben, ruhig und »kompetent« ist; jemand, dem es einzig um das Problem und seine Lösung geht. Politische Gegner werden väterlich ermahnt: »Ich fordere die Sozialdemokraten auf, nicht wegzuschauen, nicht naiv und nachlässig zu sein« – das sagt Wulff, während Koch gegen »kriminelle Ausländer« hetzt und SPD-Fraktionschef Peter Struck zurückschimpft: »Die Union kann mich mal!«

Selbstverständlich macht auch Wulff nichts als Wahlkampf, aber er gibt dabei den Landesvater und spielt eher den Präsidenten als den Kanzler. Seine scheinbare Distanz zum Wahlkampfschmutz kommt an: Die Rechten können ihn wäh­len, weil er die gleichen Thesen vertritt wie Koch; die Liberaleren wählen ihn, weil er, anders als Koch, die Stimme der Vernunft zu verkör­pern scheint. Und auch manche ehemaligen Wähler von Schröder mögen ihn, weil er nicht so neu und unerfahren wirkt wie Jüttner. Wulff erwirbt Sympathien, weniger mit eigenen, positiven Eigenschaften als durch Distanz zu den negativen Eigenschaften der anderen.

Die SPD findet, er habe »keine Falte, keine Kontur, kein Kampf, kein Leben. Alles glatt«. Das mag ihm zum Problem werden, wenn die Konjunktur sich verschlechtert und die Arbeitslosigkeit steigt. Solange die Stimmung aber Aufschwung vermittelt, solange werden es die Gegner schwer haben, ihn zu packen – nicht obwohl, sondern weil er so glatt ist.

Wenn sich am 27. Januar überhaupt etwas ändert, dann wegen der kleinen Parteien: Die FDP wirkte als Koalitionspartner der CDU in den vergangenen Jahren nicht professionell. Umweltminister Hans-Heinrich Sander etwa fing sich ein Verfahren ein, als er die Abholzung geschützter Wälder im Biosphärenreservat Elbaue anordnete und dabei pressewirksam selbst zur Motorsäge griff. Nun hat die FDP ihren jung-dynamischen Landesvorsitzenden Philipp Rösler als Spitzen­kan­didaten aufgestellt und versucht es offenbar mit einem Personalwechsel.

Gleichzeitig scheint es nicht ausgeschlossen, dass sich die Grünen der CDU ebenfalls als Junior­partner anbieten. Ihr Spitzenkandidat Stephan Wenzel gilt seit langem als Verfechter schwarz-grüner Bündnisse in den Kommunen; sein ei­gener Kreisverband stellt mit der CDU gemeinsam die Mehrheit im Kreistag von Göttingen. Die dritte Variante käme ins Spiel, wenn die Linkspartei in den Landtag einzöge, was bei Umfragewerten zwischen drei und knapp unter fünf Prozent durch­aus möglich erscheint. Solange SPD und Grüne nicht bereit sind, mit der »Linken« zu koalieren, könnte das CDU und SPD dann auch in Nieder­sach­sen zu einer Großen Koalition nötigen – der letzten Koalition, die noch eine Mehrheit zustande bringt.

Vielleicht aber kommt auch alles noch ganz anders, und ein Boulevard-Thema entscheidet über Sieg oder Niederlage. Denn Jüttner hat die Scheidung von Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) zum Thema gemacht. »Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen«, sagte Jüttner der Illustrierten Bunte in Anspielung auf frühere Äußerungen Wulffs über die Trennung Schröders von seiner damaligen Frau Hiltrud. Wulff habe damals gesagt, die Wähler würden sich über »Schrö­ders persönliche und politische Unzuverlässigkeit Gedanken machen«. Nun habe er selbst kein Problem, sich von seiner Frau »Knall auf Fall« zu trennen und gleichzeitig eine neue Frau zu präsentieren. Wulff hatte sich im Sommer 2006 nach 18jähriger Ehe von seiner Frau Christiane getrennt. Mit seiner neuen Lebensgefährtin Bettina Körner erwartet er ein Kind.