Mehr Spirit, weniger Kunden

Die Finanzkrise in den USA schadet offenbar den Geschäften von Starbucks. Auch gewerkschaftliche Aktivitäten bereiten dem Konzern Probleme. von heiner stuhlfauth

Der 7. Januar sollte eigentlich die Wende für den einstigen Börsenliebling Starbucks bringen, die US-Kette, die auch deutsche Innenstädte seit zwei Jahren mit Filialen bepflastert. An jenem Tag kehrte Howard Schultz zurück auf den Posten des Geschäftsführers (CEO). Der Unternehmensgründer, der in den USA sehr bekannt ist und von man­chen als »charismatisch« bezeichnet wird, auf andere allerdings eher schmierig wirkt, soll den verloren geglaubten »Spirit« zurück in das Unternehmen bringen. Zuvor hatte McDonald’s angekündigt, Starbucks mit der Einrichtung eigener Kaffee-Bars auf dem US-Markt zu attackieren. Die »McCafes« waren in Übersee, u.a. in Deutschland, an bislang 300 Orten, getestet und für gut befunden worden.

Die Starbucks-Aktie erholte sich nach der Rück­kehr von Schultz kurzfristig, nachdem der Kurs innerhalb eines Jahres um 48 Prozent gesunken war. Zum Jahreswechsel hatte die Rating­agentur Bear Sterns & Co. ihre Empfehlung von »gleichblei­bend« (peer perform) zu »abstoßen« (outperform) geändert. Joseph Buckley, der Analyst von Bear, begründete seine Skepsis einem Bericht der Agen­tur Bloomberg zufolge u.a. damit, Starbucks habe durch stetige Expansion seine Kundenbasis auch auf »weniger wohlhabende Kunden erweitert, die jetzt auf wirtschaftliche Belastungen reagieren«.

Der Niedergang der US-Finanzmärkte, der mit dem Platzen der Hypothekenblase begann und sich inzwischen zu einer dramatischen Krise der Banken und des Dollars gesteigert hat, vergällt den Büroangestellten in den Innenstädten offenbar den Geschmack an Frappuccino Latte on ice und anderen Kreationen mit albernen Namen. Deren Preise (bis sechs Dollar) lassen sich hauptsächlich aus dem Image der Marke Starbucks erklären.

Am 15. November musste Starbucks erstmals einen Rückgang der Kundenzahlen in den USA bekannt geben, obwohl ständig neue Filialen eröffnet wurden. Somit dürfte auch Starbucks zu den Opfern der derzeitigen Finanzkrise zählen und wäre das erste von der Krise betroffene Großunter­nehmen, dessen Geschäftsfeld, anders als bei den bisher betroffenen Banken, außerhalb von Immobilienspekulation und Kreditvergabe liegt.

Doch es gibt noch die Faktoren Mensch und Arbeit, die ebenfalls ihren Beitrag zum Wertverlust der Starbucks-Aktie geleistet haben dürften. Sie startete im Juni 1992 mit 17 Dollar, am 5. Mai 2006 erreichte sie mit 39,63 Dollar ihren Höchststand und rutschte seitdem bis zum 2. Januar dieses Jahres auf 19,31 Dollar ab.

Im August 2006 hatte das Allgemeine Exekutiv­komitee einer kleinen Gewerkschaft, der Industrial Workers of the World (IWW), zum Boykott von Starbucks aufgerufen. Seitdem gab es mehrere Aktionstage gegen die Kaffeehauskette, die in den USA weithin erfolgreich waren und auch in Groß­britannien, Frankreich und Deutschland ihren Wi­der­hall fanden. Es ging darum, das Unternehmen zu einer Abkehr von seinen gewerkschaftsfeindlichen Praktiken zu bewegen und die Wiedereinstellung von gefeuerten organizers der IWW zu erzwingen. Der letzte Protest stand am 21. Januar an. Die Gewerkschaft forderte Zuschläge für den MLK-Day, den Todestag Martin Luther Kings, der von der Hälfte der US-Unternehmen als Feiertag bezahlt wird – nicht aber bei Starbucks.

Die IWW, auch »Wobblies« genannt, sind eine revolutionäre Basisgewerkschaft, die 1905 in Chi­cago gegründet wurde und bis in die zwanziger Jahre zahlreiche Streiks und Kämpfe anführte. Seit 2004 haben sich die Arbeiterinnen und Arbeiter von sechs Filialen in Manhattan in der IWW Starbucksworkers Union organisiert. Weitere Filialen folgten in Chicago und Rockville, Maryland. In vielen Städten wird beharrlich versucht, die Basis zu vergrößern. Angesichts einer Gesamtzahl von mehr als 10 000 Filialen in den USA erscheinen diese Organisierungserfolge vielleicht unbedeutend. Doch die IWW-Filialen sind die einzigen in den gesamten USA, deren Belegschaften eine Gewerkschaftsvertretung vorweisen können. Star­bucks versucht, gewerkschaftliche Selbst­orga­ni­sa­tion zu verhindern, auch in den deutschen Fi­lialen gibt es bislang keine Betriebsräte.

Die Beschäftigten in den USA beklagen, dass sie grundsätzlich nur Teilzeitverträge bekämen, die Arbeitszeiten unsicher seien und häufig wechselten, die Krankenversicherung, in deren Genuss nur 42 Prozent der Beschäftigten kommen, unge­nügend und zu teuer sei, sie von den Vorgesetzen respektlos behandelt würden, es zu viel Stress am Arbeitsplatz gebe und der Lohn (9,16 Dol­lar pro Stunde in New York, 7,80 Dollar in Chicago) nicht zum Leben reiche.

Starbucks steht derweil vor der Nationalen Behörde für Arbeitsbeziehungen der USA (NLRB) un­ter Anklage. Diese Behörde soll u.a. die Beziehungen zwischen Unternehmen und Gewerkschaften regeln, sie hat gerichtliche Befugnisse. Der langwierige Prozess gegen Starbucks, der von der IWW angestrengt wurde, begann im Juli vergangenen Jahres in Manhattan. Es geht um 30 Verstöße gegen Arbeiterrechte, darunter die erwähnten Kündigungen von drei IWW-Mitgliedern in New York. Dem Unternehmen wird vorgeworfen, Gewerkschaftsmitglieder systematisch ausspioniert, schikaniert und unter konstruierten Vorwänden gefeuert zu haben.

Vor Gericht werden die Wobblies vom Anwalt Stuart Lichten vertreten. Mit seiner Hilfe konnten sie bereits im Juni 2007 ein Verfahren gewinnen, als Starbucks gezwungen wurde, die Kündigung des IWW-Mitglieds Isis Saenz zurückzunehmen. Die Angestellte war am 1. November 2006 gefeuert worden, weil sie an einer Protestveranstaltung gegen die Unternehmenspolitik von Starbucks teilgenommen und bei diesem Anlass Jim McDermott, den damaligen Vizepräsidenten des Unternehmens, mit »Jimmy« angesprochen haben soll. Das Schiedsgericht mochte der Argumen­tation nicht folgen, dass in der Verniedlichung von »Jim« zu »Jimmy« ein »respektloses Verhalten« zu sehen sei. Der IWW-Anwalt Lichten sagte: »Es steht außer Frage, dass Starbucks derzeit den unbarmherzigsten Feldzug gegen die Gewerk­schaft in den Vereinigten Staaten führt. Wenn Wal-Mart auf dem Feld der Gewerkschaftszerschla­gung einen Bruder im Geiste hat, dann ist es Starbucks.«

Starbucks nimmt den Prozess vor der NLRB sehr ernst, für die Verhandlung wurde ein Team von sieben Anwälten abgestellt. Das Juristenteam kann jedoch nicht verhindern, dass Informationen über die Auseinandersetzungen mit der IWW in die Medien dringen. So berichtete das Wall Street Journal am 9. Januar von einer internen E-Mail-Korrespondenz zwischen Filialleitern und der Geschäftsführung von Starbucks, aus der her­vorgeht, dass das Unternehmen gezielt Chat­rooms und Internetforen nach bekannten IWW-Mitgliedern durchforsten ließ, um ihr Umfeld auszuspähen. Im konkreten Fall hatte Starbucks die Teilnehmerliste eines Seminars der Cornell University in Manhattan, an dem auch IWW-Mitglieder teilnahmen, mit der Angestelltenliste von Starbucks abgeglichen, um weitere mögliche Unterstützer und Unterstützerinnen der Gewerkschaft herauszufiltern.

Man darf gespannt sein, wie die Börsenkurse auf kommende Urteile der NLRB reagieren werden. Und man darf sich fragen, was Howard Schultz damit meint, wenn er ankündigt, angesichts der Krise nicht nur das Expansionstempo zu drosseln, sondern auch die eine oder andere Starbucks-Filiale schließen zu wollen. Wenn es zufällig um solche Filialen gehen sollte, deren Belegschaften von der IWW vertreten werden, sind weitere Auseinandersetzungen gewiss.