Und jetzt alle zusammen gegen Nazis!

Das Konzept sorgte Mitte der neunziger Jahre für Aufregung: Ein heterogenes Bündnis von Konservativen bis hin zu Antifas sollte sich gemeinsam gegen die Neonazis in Ostdeutschland engagieren. Was aus der »Volksfront gegen Neonazis« wurde, beschreibt ein Sammelband am Beispiel Brandenburgs. Von Hannes Püschel

Der ehemalige Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg, Erardo Rautenberg, hatte einmal eine unkonventionelle Idee. Im Jahr 1996 schlug er in einem Interview mit dem Tagesspiegel vor, zur Bekämpfung rechtsextremer Gewalt »eine breite Front, die vom stramm Konservativen bis zum linksautonomen Spektrum reicht«, zu bilden. Für einen Teil der Linken, an die sich dieser Aufruf richtete, war das zunächst einmal nur Anlass festzustellen, dass das Verhältnis zwischen dem deutschen Staat, seinem Repressionsapparat und der neonazistischen Bewegung komplizierter war, als die Parole »Staat und Nazis Hand in Hand« beschrieb.

Rautenberg drückte damals eine politische Zielvorstellung aus, die angesichts der Verhältnisse in Brandenburg – trotz anfänglicher Aufregung über die Formulierung – zumindest mittelfristig weithin konsensfähig war. Rechtsextremer Terror war seit Mitte der neunziger Jahre nicht mehr nur ein Problem seiner unmittelbaren Opfer, sondern wurde von der Landesregierung als ernstes Hindernis für die ökonomische Entwicklung des Landes und als tatsächlicher Angriff auf das staatliche Gewaltmonopol wahrgenommen.

Schon vor dem so genannten Antifasommer im Jahr 2000 wurden neben der systematischen Verschärfung der Repressalien gegen rechtsex­treme Straftäter Programme aufgelegt und Institutionen geschaffen, die den Aufbau von Zivilgesellschaft und demokratischen Strukturen stimulieren sollten. Die außerparlamentarische Linke wurde in diesen Prozess mit einbezogen. Zum einen, weil in den kleinen Städten und Gemeinden oft nur deren Angehörige für die Herstellung demokratisch-liberaler Verhältnisse einzutreten bereit waren. Zum anderen hatte noch die am einfachsten gestrickte Jugendantifa mehr an Expertise zum Thema Rechtsextremismus aufzuweisen als die lokalen Vertreter der Staatsgewalt. Mit »runden Tischen«, an denen Bürgermeister, Polizei und Antifa, Evangelische Gemeinde, Freiwillige Feuerwehr und Sportverein sitzen, wurde Rautenbergs Wunsch wahr.

Eine vollständige Bestandsaufnahme und Selbstdarstellung dieser »Volksfront gegen Rechts« liegt jetzt mit dem am Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrum erstellten Handbuch »Rechtsex­tremismus in Brandenburg« vor. Das mit einem Geleitwort des Brandenburger Innenministers Jörg Schönbohm (CDU) versehene Buch vereint auf 450 Seiten 44 Aufsätze von mehr als 50 Autoren. Darunter befinden sich akademische Rechtsextremismusexperten, Sozialarbeiter, Polizisten, Sportfunktionäre, Verfassungsschützer, Gedenkstättenpädagogen, Theologen, Kommunalpolitiker, Journalisten – die ganze professionelle Zivilgesellschaft mitsamt ihren staatlichen Partnern und Finanziers. Gegliedert in die Abschnitte »Analyse«, »Intervention und Prävention« und einen Serviceteil soll es den Rat suchenden demokratisch gesinnten Bürger(-meister) mit umfassenden Informationen zum Rechtsextremismus in Brandenburg versorgen.

Rechtsextremismus, das heißt angesichts der im Jahr 2008 stattfindenden Kommunalwahlen zuvorderst NPD. Der Analyseteil widmet sich auf teilweise hohem Niveau einer Beschreibung rechts­extremer Gruppierungen und Organisationen, ihrer Milieus, Politik und Subkultur in Brandenburg aus verschiedenen Blickwinkeln. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit rechtsextremer Programmatik und Propaganda findet sich dabei jedoch kaum. Nicht ganz zufällig erscheint der Antikapitalismus der NPD, wenn er denn erwähnt wird, als vorgetäuscht und erlogen. Daneben fehlt ein Aufsatz, der wenigstens die Erklärungsmodelle zum Verhältnis zwischen realsozialistischer Vergangenheit, politischem Umbruch und ostdeutschem Rechtsextremismus zusammenstellt und kritisch bewertet. Angesichts der immer wieder geführten Diskussionen um die Bedeutung der DDR-Geschichte für den gegenwärtigen Rechtsextremismus ist diese Auslassung kein geringer Makel.

Den weitaus größeren zweiten Teil des Buches nehmen die Praxisberichte staatlicher, kommunaler und zivilgesellschaftlicher Akteure des »Toleranten Brandenburgs« ein. Hier loben sich die Vereinsvorsitzenden für ihre erfolgreiche Arbeit, geben die Verwaltungsjuristen Tipps, wie man der NPD mit der Immissionsschutzverordnung das Leben schwer machen kann, und berichten die Sozialtechnologen, wie man in der Agrar­steppe gesellschaftliche Strukturen stützt, deren soziale, ökonomische und historische Voraussetzungen fehlen.

Nicht nur der für Sammelbände üblichen Vielfalt der Autoren ist eine gewisse Widersprüchlichkeit zu verdanken. Da wird an einer Stelle die Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremisten scharf abgelehnt und an anderer Stelle vorgenommen. Ein Autor fordert das Verbot der NPD, und der nächste bezeichnet es als undemokratisch. In einem Aufsatz wird die Antifa als eigentlich ganz annehmbar dargestellt, im nächsten werden Antifas kritisiert, die an die »faschistoide Unterscheidung der RAF zwischen Menschen und Schweinen« anknüpften. Der Verfassungsschutz erscheint als aktiver Unterstützer der Naziszene oder als deren ärgster Feind.

Das Nebeneinander sich gegenseitig ausschließender politischer Einschätzungen und Handlungskonzepte ist kennzeichnend für das heterogene Bündnis gegen die Neonazis. Ebenso typisch ist es, dass eine Austragung dieser Differenzen vermieden wird. Der eine Teil der Protagonisten braucht schließlich jeden Demokraten, der bereit ist, sich etwa bei den Protesten gegen die Naziaufmärsche in Halbe zählen zu lassen. Und der andere Teil wiederum ist auf jeden Cent Fördermittel angewiesen.

Der Feind, auf den sich alle einigen können, steht so weit rechts, dass die Behauptung, es gebe ein »gesamtgesellschaftliches Engagement« dagegen, tatsächlich wahr ist. Folgerichtig erscheint als schwammiges Gegenbild zum Rechtsextremismus eine zu etablierende Zivilgesellschaft, in der die »demokratischen Parteien« den politischen Willen der Bevölkerung zum Ausdruck bringen und russlanddeutsche Jugendliche im Sportverein integriert werden. Das Zusammenwirken aller »couragierten Demokraten«, Pädagogik und ein wenig Repression sind die Maßnahmen, die den Weg dorthin ebnen sollen. Am Erfolg dieses Konzepts darf gezweifelt werden.

Julius H. Schoeps, Gideon Botsch, Christoph Kopke, Lars Rensmann (Hrsg.): Rechtsextremismus in Brandenburg – Handbuch für Analyse, Prävention und Intervention, Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2007, 19,80 Euro