Manchen liegt es in den Genen

Flüchtlinge sind in weit stärkerem Maße als die übrige Bevölkerung dazu verpflichtet, dem Staat ihre persönlichsten Daten preiszugeben. Um etwa gegen so genannte Scheinehen vorzugehen oder die Staatsbürgerschaft von Flüchtlingen zu klären, werden auch Gentests vorgenommen. Von Matthias Lehnert

Um juristische Denkakrobatik zu beobachten, reicht beizeiten ein Besuch in einer ganz normalen deutschen Stadt mit einer ganz normalen Ausländerbehörde. Kempen am Niederrhein im Kreis Viersen ist eine solche Stadt. Dorthin war im Jahr 2006 eine Türkin gezogen. Ihr Mann war zunächst in der Türkei geblieben, folgte ihr aber nach Deutschland nach, als im Januar 2007 das gemeinsame Kind geboren wurde. Er erhielt eine befristete Aufenthaltserlaubnis.

Als es schließ­lich um deren Verlängerung ging, zweifelte die Ausländerbehörde des Kreises Viersen an der gemeinsamen Lebensführung der Eheleute und verlangte von dem Mann zum Nachweis, dass eine »richtige« Familie vorliege, also dass das Kind von ihm war, einen Gentest. Als er diesen verweigerte, erstattete die Ausländerbehörde Strafanzeige gegen die beiden Eheleute wegen »unrichtiger Angaben zur Beschaffung eines Aufenthaltstitels« – kurzum: wegen einer angeblichen Scheinehe.

Die Staatsanwaltschaft ließ sich dies nicht zweimal sagen und legte sofort los, indem sie bei dem Kind im vergangenen September schon mal eine DNA-Analyse vornahm. Die Zustimmung zu diesem Test gab ein Ergänzungspfleger für das Kind, der mal eben für diesen Zweck bestellt worden war.

Diese Umstände sind insofern erstaunlich, als dass einem Kind ein Verweigerungsrecht zusteht, wenn es um ein Strafverfahren gegen seine Eltern geht. Dieses Recht umfasst auch Blut­entnah­men zum Zweck der DNA-Analyse. Der dagegen eingelegten Beschwerde wurde schließlich kurz vor Weihnachten stattgegeben. Erstaunlich ist jedoch die Tatsache, dass für einen so weitgehenden Eingriff wie einen Gentest noch immer keine Rechts­grundlage existiert.

Vorgänge dieser Art häufen sich. Im September des vergangenen Jahres entschied das Verwaltungsgericht Berlin im Fall eines Flüchtlings aus Birma, dass der Nachzug seiner Familie auch ohne Gentest möglich sei, nachdem die Ausländerbehörde zuvor das Gegenteil behauptet hatte. In vielen Fällen lassen die Behörden Gentests vornehmen, ohne dass es geahndet wird. Es ist davon auszugehen, dass jährlich Tausende von DNA-Abstammungsgutachten erstellt werden. Allein aus drei Labors in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Hessen ist bekannt, dass dort insgesamt ungefähr 500 Tests pro Jahr durch­geführt werden, wie die Frankfurter Rundschau berichtet. Im Rahmen einer Anfrage der Bundestagsfraktion der FDP wurde diese Praxis von der Bundesregierung im vergangenen November bestätigt.

Allerdings existieren keine Bestimmungen da­rüber, wann die Daten gelöscht werden müssen oder welche Behörden auf die Informationen zugreifen können. Nach Angaben der Bundesregierung werden die Testergebnisse bis zu 30 Jahre in den Labors gespeichert. Teilweise werden die Tests auch schon in den deutschen Botschaften der Herkunftsländer verlangt. In Afghanistan ist dies nach einer internen Anweisung des Auswärtigen Amtes der Regelfall.

Dabei versuchen die Behörden, nicht offen gegen das Gesetz zu verstoßen. Vielmehr legen sie die juristische Lage nach eigenem Gusto aus. Die Ausländerbehörden und die Botschaften berufen sich zum Beispiel auf die gesetzlichen Mitwirkungspflichten des Betroffenen und auf die Tatsache, dass die Absolvierung des Tests freiwillig sei. Da in vielen Herkunftsstaaten Geburten häufig nicht erfasst würden oder die Dokumente gefälscht seien, könne man von den Betroffenen verlangen, stichhaltigere Nachweise für die Familienzugehörigkeit vorzuweisen. Das Auswärtige Amt erkennt nach Angaben der Bundesregierung bei insgesamt 41 Staaten, darunter neben Afghanistan der Irak und ein Großteil des afrikanischen Kontinents, die entsprechenden Urkunden (Geburtsurkunden etc.) generell nicht an.

Allerdings kann man aus der »Mitwirkungspflicht«, auf die sich die Behörden berufen, nicht ohne Weiteres eine Pflicht herauslesen, einen solchen genetischen Fingerabdruck abzugeben. In der Theorie ist bei einem derart erheblichen Eingriff in die Rechte der Betroffenen eine ausreichend konkrete rechtliche Grundlage erforderlich. Schließlich ist es auch mit der Freiwilligkeit so eine Sache. Denn die Ablehnung des Tests hat in der Regel, wie auch der Fall des türkischen Vaters zeigt, ein Ende des Bleiberechts zur Folge. Die Kosten für den Test, die sich auf 500 Euro belaufen können, muss der Betroffene selbst tragen.

Bereits im Jahr 1997 hatte die Innenministerkonferenz beschlossen, DNA-Tests im Asylverfahren anzuwenden. Interessanterweise wurde dies beizeiten nicht nur zum Nachweis der Zugehörigkeit zu einer Familie, sondern der Zugehörigkeit zu einer ganzen Nation angewandt. Aufsehen erregte die Stadt Essen im Jahre 2001, als der Verdacht aufkam, dass Migranten aus dem Libanon ursprünglich türkischer Herkunft seien. Der Rechts- und Ordnungsdezernent Ludger Hinsen (CDU) wollte im Wahlkampf noch einmal Stimmung machen und mit den »Verarschungsfällen« aufräumen. Nach einem Erlass des nordrhein-westfälischen Innenministers aus dem Jahr 1991 hatten Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon, die vor dem 31. Dezember 1988 eingereist waren, nämlich ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik. Hinsen und die ihm unterstellte Essener Ausländerbehörde – unterstützt von der Essener Stadtratsmehrheit aus CDU, FDP und von den Republikanern – entdeckten in dieser Regelung ein Schlupfloch für »Asylmissbrauch«. Wegen des Anfangsverdachts »mittelbarer Falschbeurkundung« beantragte die Essener Staatsanwaltschaft schließlich beim Amtsgericht Essen die Durchführung von Speicheltests, um so den »falschen Libanesen« auf die Spur zu kommen. 40 Personen wurden schließlich zum Speichel- und Gentest gezwungen. Wie ein Gentest eine Staatsangehörigkeit belegen kann, konnten die Behörden damals allerdings nicht zeigen. Allen Versuchen zum Trotz wurde das Staatsbürgerschafts-Gen bis heute nicht gefunden.

Auch in anderen europäischen Ländern wird mit Gentests an Flüchtlingen hantiert. Das Schweizer Recht sieht bereits jetzt in Zweifelsfällen einen Gentest vor. Der neu gewählte SVP-Nationalrat Alfred Heer ist jedoch der Ansicht, dass davon zu lasch Gebrauch gemacht werde und verlangt, dass die Antragsteller den Test jeweils bereits in ihrem Herkunftsland ablegen müssen. Der Nationalrat scheint ein weitgereister Mann zu sein: Er behauptet, die Einrichtungen für die Tests seien in allen Ländern vorhanden.

Nicht viel besser sieht die Lage seit kurzem in Frankreich aus. Im Zuge der jüngsten Verschärfung des Einwanderungsrechts wurde im vergangenen Oktober unter der Ägide von Präsident Nicolas Sarkozy beschlossen, dass dem Nachzug von Kindern zukünftig in der Regel ein DNA-Nachweis vorangehen soll. Natürlich beruht der Test auch hier auf reiner Freiwilligkeit.

In Frankreich wurde über die Einführung der Gentests eine kontroverse öffentliche Debatte geführt. Etwa 200 000 Menschen unterzeichneten eine Petition mit dem Titel »Touche pas mon ADN« (»Finger weg von meiner DNA«).

Der entscheidende Ursprung dieses Vorgehens, Gentests an Flüchtlingen vorzunehmen, ist die Annahme, dass diese grundsätzlich zu »Missbrauch« neigten, um sich in die hiesigen Sozialsysteme »einzuschleichen«. Dies liegt auch der so genannten Eurodac-Verordnung des EU-Minister­rates aus dem Jahre 2000 zugrunde. Die Verordnung ist Grundlage einer in Luxemburg stationier­ten Datenbank über Fingerabdrücke. Alle Mitgliedsstaaten sind demnach verpflichtet, von jedem Asylbewerber und von jedem anderen Ausländer, der illegal die EU-Grenzen überschreitet, die Fingerabdrücke aller Finger zu nehmen.

So soll verhindert werden, dass Asylsuchende in mehreren EU-Staaten Asylanträge stellen. Gelegentlich wird der Vorwurf erhoben, dass die Datenbank nicht ausreichend gegen Fälschungen gesichert sei, nachdem es bereits zu einer Vielzahl von Fällen gekommen ist, in denen sich Migranten ihre Finger verstümmelt hatten, um den erneuten Fingerabdruck unmöglich zu machen. Nicht auszuschließen ist daher, dass sie langfristig durch eine Gen-Datei ersetzt wird.

Die Kontrolle und Überwachung von Migranten ist erheblich umfassender als die der übrigen Bevölkerung. Zwar ist der Staat ganz allgemein mit der Verfeinerung seiner Kontrollmechanismen vorangekommen. Die Vorratsdatenspeicherung jedoch ist zumindest partiell auf Widerstand gestoßen. Die Kritik von Bürgerrechtsgruppen beschränkte sich dabei zuweilen auf die Tatsache, dass die generelle Speicherung jeglicher Telefonverbindungen aller Menschen zu weit gehe und ein Generalverdacht nicht mehr angemessen sei. Im vergangenen Herbst versammelten sich in mehreren deutschen Städten Tausende von Menschen, um gegen das Vorhaben zu protestieren.

Dagegen stößt der Generalverdacht des Missbrauchs und Betrugs, dem Migranten anheim­fallen, auf weit weniger gesellschaftlichen Widerstand. Die pausenlose Durchleuchtung von Migranten erfährt insgeheim eine weitgehende Akzep­tanz, es wird schlicht nicht darüber diskutiert. Damit bietet sich dem Staat die Möglichkeit, bislang unerprobte Kontrollmöglichkeiten an einer speziellen Gruppe der Gesellschaft zu testen, ohne auf datenschutzrechtliche Bestimmungen Rücksicht nehmen zu müssen.