Der Klangbefreier

Platte Buch Von Thomas Blum

Für die Hitparaden- und Dudelradiofraktion wird es auch künftig unverständlicher Krach bleiben, für andere ist es ein von jeder Konven­tion befreiter, lieblicher Klang. Das hat der Free Jazz mit dem elektronischen Noise gemeinsam.

Mitte der sechziger Jahre, als der Jazz sich end­gültig von liebgewonnenen Traditionen löste, war der Trompeter Bill Dixon ein Befreier des Klangs, eine Art Mentor für die New Yorker Jazz-Avantgarde und den sich allmählich ent­wickelnden Free Jazz, war beteiligt an der so genannten »October Revolution in Jazz«. Musiker sollten sich die Produktionsmittel ihrer Musik aneignen, sich von ökonomischen Zwängen eben­so befreien wie von ästhetischen Vorgaben. Ende der Sechziger verschwand Dixon leider für Jahrzehnte als Musiklehrer an ein College und ward fortan nicht mehr gesehen. »Er wollte seine Musik nicht kommerziell ausschlach­ten lassen.« (Christian Broecking) Jetzt ist er überraschend wieder aus der Versenkung aufgetaucht und hat mit Rob Mazurek, einem der talentiertesten und wagemutigsten Jazzkomponisten und -trompeter der Gegenwart, der mit jungen Radikalen ebenso zusammenarbeitet wie mit den Postrockern von Tortoise und dessen Musik sich überall bedient, aber nirgendwo zuhause ist, ein Album aufgenommen, das klingt, als musiziere das von einer mir unbekannten Droge beflügelte Sun Ra Arkestra. Vor einiger Zeit gab Mazureks Chicago Underground Trio in einem kleinen Berliner Club ein stundenlanges, denkwürdiges Konzert. Wer dort war, wird mich verstehen.

Bill Dixon with Exploding Star Orchestra: Bill Dixon with Exploding Star Orchestra (Thrill ­Jockey/Rough Trade)