Respektiert nicht einfach!

Der letzte linke Student Von Jörg Sundermeier

Der letzte linke Student ist erschüttert. Warum ist der letzte linke Student erschüttert? Er ist erschüttert, denn er ist nicht mehr nur der letzte linke Student. Nein, er ist nun auch: einer der ältesten Studenten. Was heißt: er wird gesiezt von den jüngeren Studenten. Und: man macht ihm Platz im Seminarraum. Zwar: genießt der letzte linke Student den Respekt. Aber: den Respekt, den der letzte linke Student erntet, darf er gar nicht ernten. Denn: es ist nicht Respekt für sein Linkssein. Sondern: Respekt vor dem Alter.

Dieser Konflikt birgt daher in sich: die alte Frage nach dem Für und dem Vor. Die Frage nach Zweck und Vergangenheit. Denn: ist es nicht so, dass alles einen Zweck hat? Und ist es nicht auch so, dass wiederum alles eine Vergangenheit hat? Hat nicht selbst das Neugeborene immer eine Vergangenheit als Zelle? Hat aber nicht jede Frage nach dem Zweck eine Intentionalität in die Zukunft? Ist also die Frage nach dem Für nicht immer die progressivere? Weil sie nach vorn weist? Dahin, wo die Revolution ist?

Ja, das stimmt. Daher schreibt der letzte linke Student in sein besonderes Notizbuch: »Ich darf nicht Respekt ernten vor meinem Alter und mei­ner linken Geschichte. In diesem Resp. lauert das Konservative. Der Resp., den ich verdient habe, kann nur der Resp. sein, der mir für mein jetziges Linkssein zuteil wird. Oder, genauer, für mein Nochimmerlinkssein. Im Wort Nochimmer­linkssein ist Geschichte geborgen, aber es ist zudem Zukunft darin. Sehr wichtig!« Das liest der letzte linke Student noch mal und denkt: das ist eine Zehn! Mithin: ein Volltreffer! Weil: wahr. Und auch wir sollten stets wachsam sein und sehen, wie junge Pflänzlein aus altem Torf schießen.