Viele Vermittler, keine Kompromisse

Die Massaker in Kenia dauern an. Trotz der Bemühungen hochrangiger Unterhändler ist der Konflikt zwischen Odinga und Kibaki einer Lösung nicht näher gekommen. von maria njema

In Kenia finden die gewaltsamen Vertreibungen und das Morden kein Ende. Kofi Annan, ehemaliger Generalsekretär der Uno, und sein amtierender Nachfolger Ban Ki-moon warnen vor einer noch größeren Krise. Jugendgangs, Sicherheitskräfte, Polizei, militärische Spezialeinheiten und marodierende Gruppen sind an den Gewalttaten beteiligt, die häufig den Charakter organisierter lokaler Massaker an Angehörigen anderer Bevölkerungsgruppen annehmen. Mehr als 1000 Menschen wurden seit Ende Dezember getötet.

Für die Eskalation werden Mwai Kibaki, bisheriger und kurz nach der Wahl erneut vereidigter Präsident, und Raila Odinga, Oppositionsführer des Orange Democratic Movement (ODM), gleicher­maßen verantwortlich gemacht. Viele Kenianer bedauern es wohl mittlerweile, für einen der Kampfhähne gestimmt zu haben. Seit Dezember werfen die Kontrahenten einander vor, zur Gewalt anzustacheln, und tragen damit erheblich zur Aufwiegelung gewaltbereiter Gruppen bei.

Kurz nachdem Kibaki ein neues Kabinett vereidigt hatte und noch bevor die Anschuldigungen des Wahlbetruges durch eine erneute Auszählung hätten überprüft werden können, versuchte der südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu vergeblich, die zerstrittenen Parteien zusammenzubringen. Ihm folgte, ebenfalls erfolglos, der Präsident der Afrikanischen Union, John Kufuor. Anfang Februar traf Ban Ki-moon ein, um Kofi Annan, der nun seit drei Wochen im Land weilt, symbolisch Rückhalt zu gewähren. Zu Annans Team gehören Garça Machel, ehemalige Bildungsministerin Mosambiks, sowie William Mkapa, ehemaliger tansanischer Präsident. Der Gewerkschafter und ehemalige Verhandlungsführer des südafrikanischen ANC, Cyril Ramaphosa, den Annan um Unterstützung bat, reiste wieder ab, weil Kibaki ihn nicht akzeptierte.

Trotz der Anwesenheit hochrangiger Vermittler ist keine Lösung des Konflikts zwischen Kibaki und Odinga in Sicht. Dabei hatten sie vor einigen Jahren zusammengearbeitet, als sie gegen die Partei des autokratisch regierenden Präsidenten Daniel Arap Moi in den Wahlkampf gingen. Im Jahr 2002 war die Wahl Kibakis mit der Zuversicht verbunden, nicht nur einen Schritt hin zu demokratischeren Strukturen, sondern auch zur Überwindung ethnischer Spaltungen getan zu haben.

Zuvor war spätestens seit der Einführung des Mehrparteiensystems 1991 jede Wahl von Unruhen, Morden und Vertreibungen begleitet worden. Lange Jahre hatten sich die Parteien in Kenia, von einigen kleineren Gruppierungen abgesehen, nahezu ausschließlich nach ethnischer Zugehörigkeit formiert und einen ausgeprägten Klientelismus bei der Verteilung der Staatsgüter organisiert. Kibaki hingegen hatte die Bekämpfung der Korruption angekündigt, und Odinga symbolisierte nach einem unermüdlichen, 20 Jahre währenden Einsatz für das Mehrparteiensystem den demokratischen Wandel. Als Odinga, ein Luo, im Wahlkampf 2002 gemeinsame Sache mit Kibaki, einem Kikuyu, machte und dieser in einem Memorandum of Understanding seinem Mitstreiter den Posten eines Ministerpräsidenten und damit eine Aufteilung der Macht versprach, schien die Demokratie über den Tribalismus zu siegen.

Doch das Vertrauen in Kibaki, der die Wahl 2002 mit 62 Prozent der Stimmen gewann, war schnell erschüttert. So belegte Kenia drei Jahre nach seinem Amtsantritt auf der Liste von Transparency International noch immer Platz 144 von 159 der korruptesten Staaten. John Githongo, Mitbegründer der Vertretung von Transparency International in Kenia und Leiter der Antikorruptionskommission, verließ fluchtartig das Land, weil er nach der Aufdeckung des Anglo-Leasing-Skandals, in den auch Mitglieder des damaligen Kabinetts Kibakis verstrickt waren, um sein Leben fürchtete. Drei Minister, die sich an Kontrakten mit der britischen Firma bereichert haben sollen und zurücktraten, setzte Kibaki umgehend wieder ein. Der von ihm ernannte Generalstaatsanwalt Amos Wako entschied, gegen 15 Verdächtige, darunter der Vizepräsident und zwei Kabinettsmitglieder, keine strafrechtlichen Schritte einzuleiten.

Von den weitreichenden Machtbefugnissen, die ein kenianischer Präsident gemäß der Verfassung hat, machte der Nachfolger Mois häufig Gebrauch. Dazu gehören neben der Befehlsgewalt über die Streitkräfte die Ernennung des Wahlkommissars (der nun willig die »Unstimmigkeiten« verwaltet hat), des Generalstaatsanwalts und des Obersten Richters, der seinerseits die Geschworenen sowohl des Oberen Gerichts als auch des Berufungsgerichts benennt und selber beiden Instanzen vorsteht. Dass sowohl die Richter- als auch Ministerposten in der vorigen Regierungsperiode zu einem erheblichen Teil an Kikuyu vergeben wurden, ist für Odinga nun ein guter Grund, auf die von Kibaki vorgeschlagene Klage gegen das Wahlergebnis vor dem Höchsten Gericht mit dem Hinweis zu verzichten, der Justiz unter Kibakis Einfluss sei nicht zu trauen.

Für weniger einflussreiche Kenianer ist es noch schwieriger, juristisch vorzugehen. So kostet es mehr als ein Monatsgehalt, einen Fall vor Gericht zu bringen. Angeklagte haben kein gesetzlich garantiertes Anrecht auf freie Rechtsberatung, es sei denn, es geht um ein Kapitaldelikt. Strafverteidiger erhalten nur bedingt Akteneinsicht, die häufig durch eine Staatssicherheitsklausel untersagt wird.

Nicht zuletzt deswegen wurden die Verwicklungen der staatlichen Sicherheitskräfte und Milizen in die Vertreibungen und Gewalttaten unmittelbar nach den Wahlen von 1992, 1997 und 2002, die ebenfalls mehrere tausend Tote gefordert und mehrere hunderttausend Binnenflüchtlinge zur Folge hatten, kaum aufgearbeitet. So berichtet Amnesty International, dass die Behörden Vorwürfen über Folterungen, ungesetzliche Tötungen und andere Menschenrechtsverletzungen seitens der Polizei häufig nicht nachgingen. Auch aus diesem Grund setzte Kofi Annan jetzt eine Wahrheitskommission, die solche Fälle untersuchen soll, auf seine Liste. Tatsächlich ist das Gewaltpotenzial nicht erst seit der Wahl im Dezember gewachsen, sondern seit den frühen neunziger Jahren. Damals war George Saitoti, der nun zum Minister für Innere Sicherheit ernannt wurde, Vize­präsident unter Moi. Er kann sich der Loyalität der Sicherheitskräfte noch aus alten Tagen sicher sein.

Derlei personelle Sicherheiten braucht Kibaki jetzt, denn bei der Vorbereitung seines Machterhalts hatte er offensichtlich reichlich Pech gehabt. So wurde in einem Referendum 2005 gegen eine von ihm vorgeschlagene Verfassungsänderung gestimmt, die keineswegs den erhofften Abbau der autokratischen Strukturen bewirkt, sondern vielmehr seine Macht gefestigt hätte. Ein beliebtes Mittel, um sich Wählerstimmen zu sichern, ist ein entsprechender Zuschnitt der Wahlbezirke. So hatte die von Kibaki ernannte Kommission wenige Monate vor der Wahl vorgeschlagen, 46 Wahlbe­zirke zu teilen, elf zusätzliche zu schaffen und die Zahl der Abgeordneten im Parlament von 222 auf 260 zu erhöhen. Auf der Liste der zu teilenden Bezirke standen nicht wenige, in denen der Opposition gute Chancen prophezeit wurden. Die notwendige Zweidrittelmehrheit für das Durchwinken des Erlasses kam jedoch nicht zustande, weil nicht genügend Abgeordnete anwesend waren.

Verloren hat Kibakis Party for National Unity (PNU) die Parlamentswahlen, die gleichzeitig mit den Präsidentschaftswahlen stattfanden. Seine Partei erhielt 43 Mandate und das ODM 99. So konnte sich am 15. Januar Kenneth Marende als Kandidat der Opposition für den Vorsitz des Parlaments mit knapper Mehrheit gegen den Kandidaten der Regierung Kibakis durchsetzen.

Umso mehr kämpft nun Odinga, der seine Anhängerschaft auf einen Sieg einschwor, um den Nimbus als Volksheld. Eine Aufteilung der Regierungsgeschäfte, wie sie Annan vorgeschlagen hatte – Kibaki als Präsident und Odinga als Premierminister –, ist für ihn nicht länger diskutabel. Den Streit mit Kibaki kostet Odinga, dessen politische Karriere jahrzehntelang von Niederlagen gekennzeichnet war, nun geradezu aus und genießt die internationale Aufmerksamkeit. Der Erfolg war selten so nahe. Geschickt hatte Odinga vor zwei Jahren die Forderungen des Bamako-Aufrufs des Afrikanischen Sozialforums auch zu seinem politischen Ziel erklärt und auch beim Weltsozial­forum in Nairobi im vergangenen Jahr viele junge Leute auf seine Seite gezogen. So konnte er auch jene für sich gewinnen, die eine radikalere Umstrukturierung der Gesellschaft wollen. Viele, die Odinga wählten, erhofften sich das Ende des Klientelismus und der Zuteilung von Macht und Ressourcen entsprechend der Zugehörigkeit zu bestimmten Bevölkerungsgruppen.

Selten war für Odinga die Gelegenheit, seine demokratische Gesinnung unter Beweis zu stellen, so gut wie jetzt. Annans Vorschlag, dem neu gewählten Parlamentsvorsitzenden Kenneth Marende die Regierungsgeschäfte zu übergeben, sollte Odingas proklamiertem Demokratieverständnis eigentlich entgegenkommen. Doch auf den Appell an ethnische Loyalitäten hat Odinga letztlich nicht verzichtet. Statt deutlich zu sagen und zu verurteilen, dass von den Gewaltexzessen und Vertreibungen dieser Tage vorwiegend Kikuyu betroffen sind, beklagt er Opfer aus »seiner« Bevölkerungsgruppe. Nach der Ermordung der oppositionellen Parlamentarier Mugabe Were und David Kimutai Too schaltet er von starrsinnig auf stur. Wer wie er in der derzeitigen Situation zu Demonstrationen aufruft, wohl wissend, dass dies zu Massakern führen kann, wird als Machthaber nur das Personal austauschen, aber nicht die Verhältnisse ändern.