Wenn’s schnell gehen muss

» … five minutes later« in den Kunstwerken zeigt Arbeiten, die in nur fünf Minuten entstanden sind. von Elisabeth R. Hager

Es hätte eine großartige Sache werden können. Ein Befreiungsschlag für alle Flüchtigkeitsfreaks, Hinrotzer und Kurzzeitgenies. Eine Absage an das angestaubte Kunstverständnis des »Gut-Ding-braucht-Weile«. Es hätte so schön sein können.

Der Großteil der Werke der Gruppenausstellung » … five minutes later« in den Kunstwerken in Berlin sei binnen fünf Minuten entstanden, hieß es im Ankündigungstext auf der Homepage. Das klang verheißungsvoll. Das ließ für wenige Momente die Hoffnung aufblitzen, dass dem hierzulande noch immer gängigen Klischee des jahrelang vor sich hinsiechenden Künstlergenies, das sich mit letzter Kraft sein Opus Magnum aus dem Rippen schneidet, endlich mal etwas entgegengesetzt wird. Das klang irgendwie nach Werken, die sich leichtfüßig um Genieattitüden nicht zu scheren brauchen und stattdessen ein kraftvolles Hinrotzen propagieren; ein Ausspucken dessen, was unverzüglich und ungebremst aus dem Körper geschleudert zu werden verlangt. Statt allerdings den Mief der Elfenbeintürmelei mit einer frech hingewischten Geste wegzufegen, ist » … five minutes later« genau so langweilig wie das derzeitige Gros der Ausstellungen in der seit Jahren gähnend und selbstgefällig vor sich hinmüffelnden Mitte Berlins.

Ein dicker weißer Strich holt einen am Eingangsbereich ab und windet sich in weiterer Folge in ausladenden Mäandern durch die Halle im Erdgeschoss der Kunstwerke. Die Arbeit des pakistanischen Künstlers Ceal Floyer trägt den programmatischen Titel »Taking a line for a 5 minute walk«. Wie es scheint, ist dieses mini­malistische Angebot aber schon fast zu viel der Publikumseinbindung, denn kaum jemand kommt der Aufforderung an diesem Nachmittag nach. Lässt man den Blick durch die Halle schwei­fen, finden sich noch andere Appelle an die performativen Kraftreserven der Besucher. So hängen an den weißen Wänden auch insgesamt fünf von Andreas Slominski angebrachte Malerpinsel, die der antiseptischen Kühle des Raumes zumindest etwas Aktionistisches verleihen. Und über der ganzen Szene thront in fetten schwarzen Lettern eine weitere Aufforderung, die unbetitelte Arbeit des US-amerikanischen Konzeptkünstlers Robert Barry.

Barrys Arbeitsinteresse verlagerte sich im Laufe seiner Karriere immer weiter hin zum Unsicht­baren und Immateriellen, bis er in den siebziger Jahren schließlich zur Schrift als Medium für weiterführende Konzepte gelangte. Seine in den Kunstwerken ausgestellte Arbeit »Visitors can contemplate for 5 minutes the invisible aspects of the visual art in the exhibition« ist die konsequente Weiterführung dieser Tendenz.

Über dieser auffällig weißen Kunststerilität geht ein wichtiges Detail der Ausstellung in der großen Halle fast verloren. Etwas abgewandt vom Betrachter sitzt eine junge Frau mit Korkenzieherlocken bedächtig auf einem schwarzen Holzstuhl und liest ein Buch. Ihre durchweg bürgerliche Erscheinung wird nur von einer dünnen tätowierten Linie gebrochen, die sich wie ein abgerissenes Stück Kette um ihren Nacken legt. Es handelt sich dabei um die Arbeit des schottischen Künstlers Douglas Gordon. Der Tätowierer hatte genau fünf Minuten Zeit, um die Vorstellungen des Künstlers um den Hals der jungen Frau zu ritzen. Das Ergebnis ist mager und ergiebig zugleich, macht es doch wieder einmal deutlich, wie konsequent und plastisch der Kunstmarkt die Regeln des Kapitalismus durchexerziert. Ein von Gordon geschossenes Foto des Tattoos hat heute einen Wert von 20 000 Euro. In einem Studio könnte man für so eine halbfertige Linie im besten Fall noch etwas Schmerzensgeld rausholen. Das Exponat zeigt, dass nicht nur der jahrhundertealte Streit zwischen pittura und disegno, der genuinen Skizze und dem ausformulierten Meisterwerk, den ideologischen Überbau der Ausstellung bildet, denn neben der Frage nach der Priorität von Konzept oder Umsetzung stellt sich hier auch die Frage, wessen Konzepte zur Kunst erklärt werden und wessen nicht.

Jede Haut hat jemanden, der sie trägt. Hier sitzt eine junge Frau ganz selbstverständlich als Exponat in einer Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Man könnte meinen, der ganze Kampf um die Befreiung der Frau aus der Gewalt­herrschaft des männlichen Blicks hätte gar nie statt gefunden. Vielleicht besteht allerdings genau darin eine wesentliche Errungenschaft der im vorigen Jahrhundert ausgetragenen feministischen Kämpfe, dass man als Frau heutzutage auch sich selbst ausstellen kann, ohne zwangsläufig auf den Objektstatus reduziert zu werden. Gefragt, ob sie eine Botschaft an die Leser dieses Artikels habe, meinte sie nur beiläufig, dass es nicht mehr zu sagen gebe, als dass sie die Tätowierung noch nicht bereue. Vielleicht wird die brave Dame, die sich ihren Job mit einem ebenfalls tätowierten Herrn teilt, im Verlauf des Ausstellungszeitraums ja noch ein wenig wilder im Umgang mit dem Publikum werden. Derzeit spiegelt ihre gelangweilte Haltung allerdings den Eindruck wider, den die gesamte Schau hinterlässt.

Die Farbe Weiß dominiert auch die beiden Obergeschosse. Hans Peter Feldmanns aufge­wühl­tes Bett, dessen Titel der Ausstellung den Namen gibt, ist eines der wenigen Werke, auf die sich Robert Barrys Angebot auch anlegen lässt. Arbiträre Sinnangebote machen auch Albrecht Schäfers unbetitelte Dachlatten, deren elliptische Anordnung die unendliche Dehnung einer Zeitlichkeit fernab des Minutentaktes visualisiert, und Ulla von Brandenburgs 55-Sekunden-Loop »Geist«. Eine in der Bildmitte platzierte silberne Glaskugel wirft nicht nur das Bild eines wandelnden Geistes zurück in das Auge der Kamera, sondern auch die auf einem Stativ befindliche Kamera. Der derartig gelenkte Blick legt seine eigene Konstruktionsmechanismen frei und dekonstruiert sich gleichsam selbst.

Wattestäbchen, Tampons, Servietten, Puderzucker, Badekappe, Mehrfachsteckdosen, Notizblöcke, Wolle, Pappteller, Unterwäsche, Styropor­flocken, Kleiderbügel, Tischtennisbälle, feiner Zucker und Tennissocken sind nur einige der Komponenten der Arbeit des Bildhauers Thomas Reitmeister, die, allein schon wegen ihrer Ausmaße, den Ausstellungsraum im zweiten Obergeschoss dominiert. Reitmeister arbeitet seit geraumer Zeit mit organischen und anorganischen Materialien des täglichen Lebens und kontrastiert diese zumeist mit großer formaler Strenge. Es hat ganz bestimmt großen Spaß gemacht, den ganzen weißen Haufen in so kurzer Zeit so durcheinander zu schmeißen. Und auch, wenn sich einem nicht alle Dimensionen dieser Materialschlacht auf den ersten Blick entbergen, die Kraft, die aus den zerfetzten Papptellern und ausgeleerten Zuckertüten spricht, hebt sich angenehm ab von der Trägheit, die sich in den übrigen Stockwerken der Ausstellung breit macht.

Also wieder einmal die Bestätigung erhalten für die alte Weisheit, dass man sich in Mitte gar keine Ausstellungen mehr anzuschauen braucht. Das liegt allerdings nicht nur an den unifarbenen Kunstwerken, sondern vor allem an der Unaufgeregtheit eines Publikums, dem nichts ferner zu liegen scheint, als nachhaltig von einem Werk berührt werden zu wollen.

» … five minutes later«. Kunstwerke, Berlin. Bis 9. März