Kraft durch Speed

Die Pervitin®-Connection: Wie die Nazis das Metamphetamin einsetzten und verbreiteten. Von Hans-Christian Dany

Einige Monate nach dem Ende des Ersten Weltkrieges liest er einen Artikel über Henry Fords seriell hergestelltes Auto. Er entdeckt ihn in einer Zeitung, die auf der Straße liegt. Weil er nicht glauben will, was da steht, bohrt sich sein Blick noch einmal in jedes Wort, während seine Zigarette vor lauter Aufregung zwischen den Mundwinkeln hin- und herwandert.

Das Bild aus Stahl und mechanisch schwitzenden Männern verfolgt ihn über Monate, Jahre. Als Revolutionär, der nicht nur einer von vielen sein will, malt er an seinem eigenen Bild vom Aufstand. Die Auszeit eines Gefängnisaufenthalts nutzt er, seinen mehrere hundert Seiten umfassenden Plan und seine Weltsicht zu Papier zu bringen. In die schnell verfasste Collage baut er die Idee einer durch das Fließband mobilisierten Masse ein.

Jahre später werden sich Verehrer und Vorbild über den Serienwagen hinaus als Kameraden im Geist erkennen. Neben der Vorstellung von Macht durch Massenproduktion teilen die beiden die Ideen des Antisemitismus. Henry Ford erpresst sogar Händler jüdischen Glaubens, ein von ihm herausgegebenes, antijüdisches Magazin in ihren Geschäften auszulegen, wenn sie Autos seiner Marke verkaufen wollen. Und er hat selbstverständlich kein Problem damit, im »Dritten Reich« bis in den Krieg hinein Autos fabrizieren zu lassen. Sein Verehrer, Adolf Hitler, will aber von Anfang an nicht nur den importierten Serienwagen, sondern das deutsche Auto für alle. Sein Wunsch braucht einen Techniker.

Ferdinand Porsche, ein deutscher Staringenieur und späterer Obersturmbannführer, arbeitet schon an so einer Maschine. Gemeinsam mit der Firma Zündapp hat er erste Prototypen entwickelt. Im frisch ermächtigten Führer erkennt er den geeigneten Geldgeber für die Verwirklichung seiner Vision und schickt ihm den Entwurf. Als Hitler seinen Traum vom Fahrzeug für die Volksmotorisierung auf dem Papier wiedererkennt, erteilt er Porsche postwendend den Auftrag, ein Auto für das deutsche Volk zu entwickeln.

In seinem Willen zur Herrschaft über die Straße ordnet der Führer im nächsten Schritt den Neubau einer ganzen Stadt an. Sie soll »Stadt des Kraft-durch-Freude-Wagens« heißen und sich ausschließlich der Fertigung des Volksautos widmen. Mitten in Deutschland, auf dem flachen Land, stechen Arbeiter die Spaten in den Boden. Nördlich des Mittellandkanals soll in Zukunft gearbeitet und nach Feierabend am anderen Ufer geschlafen werden. Die Bauarbeiter der aus dem Boden gestampften Stadt reichen sich noch Steine und rühren den Kalk, als der Volkswagen 1938 erstmals zwischen den Rohbauten in Serie vom Band läuft.

Da Autos ohne Straßen nicht weit kommen, wird auf Hochtouren an der großen Autobahn gearbeitet. Es soll das größte deutsche Bauwerk aller Zeiten werden, ein ausgewalztes Stück Architektur ohne Zierrat und Ornament. Am Horizont werden hunderttausend deutsche Familien sichtbar, die strahlend in die Sommerfrische fahren.

Über Nacht kommt aber alles anders: Einem Maschinenbauer fällt auf, wie gut die Afrikakorps mit dem robusten Fahrzeug in der Wüste kämpfen könnten. Innerhalb kürzester Zeit gestalten Ingenieure das Freizeitfahrzeug zu einem jeepähnlichen Kübelwagen um, der als Militärfahrzeug erneut in Serie geht. Statt ans Meer fahren die Männer bald ohne Frau und Kind in die weite Welt hinaus.

Die militärische Zweckentfremdung des Freizeitautos zur Waffe tut der Weltkarriere des Fahrzeugs mit dem zackigen Logo keinen Abbruch. Zwei Jahre nach Kriegsende wird das seltsam halburbane Gebilde, das bis dahin »Stadt des Kraft-durch-Freude-Wagens« hieß, in »Wolfsburg« umbenannt, und der ins Zivilleben zurückgeholte Volkswagen läuft wieder vom Band. Bereits 1955 kann die Fertigung des millionsten Volkswagens gefeiert werden. Das Auto der nationalsozialistischen Mobilmachung entwickelt sich nicht nur zu einem der erfolgreichsten Serienwagen aller Zeiten, sondern bekommt die Aura des besonders menschlichen und sozialdemokratischen Kraftwagens. Mit ihm können sogar im Umgang mit Technik nur bedingt begabte Bewohner der »Dritten Welt« massenhaft auf vier Räder gesetzt werden.

Den Erfolg verdankt der Käfer in erster Linie seinem Motor, der bei jedem Wind und Wetter anspringt. »Er läuft und läuft und läuft«, heißt deshalb die berühmte, vom Werbekünstler Charles Wilp nach dem Krieg entwickelte Volkswagen-Kampagne. Die Vorstellung vom ununterbrochenen Weiter bekommt einen beredten Beiklang angesichts einer zeitgleich zum Kraft- durch-Freude-Auto entwickelten Tablette.

Völkische Entgiftung

Die ungefähre Vorstellung dürfte zunächst gewesen sein, ein Mittel gegen Asthma oder melancholische Verstimmungen zu entwickeln. Dass daraus einmal ein biochemischer Motor werden sollte, der die deutschen Sturmtruppen ungebremst laufen ließ, war nicht geplant. Bei den 1934 in zivilen Zusammenhängen aufgenommenen Forschungsarbeiten an einem neuen Arzneimittel handelt es sich um eine Fortsetzung der erstmals in Japan 1919 synthetisierten Urformel von Metamphetamin. Ziel der Deutschen ist die Entwicklung eines preisgünstigen Alternativprodukts zum in den USA erfolgreichen Benzedrine®.

Einem Team von Chemikern gelingt die Entwicklung eines Verfahrens, mit dem Abfälle der Großchemie zu Metamphetamin recycelt werden können. Die Recyclingmethode, die 1937 als Patent Nr. 767 186 mit dem Titel »Verfahren zur Herstellung von Aminen« angemeldet wird, funktioniert effizienter und preisgünstiger als die aus Japan bekannte Methode zur Herstellung des Stoffes, die noch den natürlichen Rohstoff Ephedrin als Ausgangsmaterial nutzt.

Gleichzeitig mit dem pharmazeutischen Projekt bereitet das »Tausendjährige Reich« seinen großen Feldzug vor, was zur Folge hat, dass nahezu alle zivilen Forschungsvorhaben auf ihre militärische Verwertbarkeit hin untersucht werden. Der für die Kriegsmaschine interessante Aspekt der neuen Droge besteht zuerst darin, die Versorgung des rohstoffarmen deutschen Hinterlandes im Falle einer militärischen Isolation durch künstlichen Ersatz zu gewährleisten. Kunststoffe wie synthetisches Öl, Poly­amid 6, die Grundlage von Perlon, oder eben Metamphetamin werden vor diesem Bedarf zu Symbolen der Blut-und-Boden-Politik stilisiert.

Die Innovation Metamphetamin entpuppt sich tatsächlich als ausgesprochen langlebig. Nach dem Krieg wird die »Nazi method« weltweit übernommen und dient bis heute in illegalen Labors, sei es im ehemaligen Ostblock, bei einigen international aktiven Hell’s Angels oder bei den Guerilleros der United Wa State Army am goldenen Dreieck in Südostasien, als Methode zur Herstellung der Droge. Das immer weiter verfeinerte Produkt heißt mittlerweile in seinen lokalen Varianten in Südostasien »Yaba«, in Ostdeutschland »Pep«, in anderen ehemaligen Ostblockländern »Piko«, in Südafrika »Tik« und in den USA »Speed«, »Meth«, »Crystal«, »Tina« oder »Crank«.

Das in der Frühphase der heute viel gelobten deutschen Kreislaufwirtschaft aus Abfall hergestellte Metamphetamin wird 1938 unter dem Namen Pervitin® auf dem deutschen Markt zugelassen. Der deutsche Hersteller, die Berliner Firma Temmler, empfiehlt das Mittel gegen leichte Depressionen oder zur Aufmunterung von Krebspatienten vor Operationen.

Angestoßen durch massive Werbung, entwickelt sich Pervitin® zu einem großen Erfolg auf dem deutschen Pharmamarkt. Neben geschicktem Marketing begründet sich die große Nachfrage darin, dass Pervitin® in eine politisch bedingte Marktlücke stößt. Dazu ist es gekommen, da die Nationalsozialisten nach der Machtübernahme ihren »Kampf gegen Rauschgift« eröffnet haben, in dessen Verlauf selbst die Werbung für die Lieblingsdroge der Deutschen, das Bier, verboten wird und zahllose Alkoholiker zwangssterilisiert werden. Der nationalsozialistische Krieg gegen Drogen verliert sich aber schnell in Widersprüchen: Bier wie Schnaps bleiben als Rauschmittel verfügbar, und im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs trinken die Deutschen auch ohne Werbung mehr als zuvor. Zu Kokain oder Morphium hat der Normalbürger hingegen kaum noch Zugang. Selbst Geld und entsprechende Kontakte können nur noch gelegentlich helfen. Erst das Gegenrauschgift Pervitin® entspannt die Situation. Der zugelassene Ersatz aus der Apotheke findet reißenden Absatz. Auf dem Beipackzettel steht, Pervitin® gleiche Entzugserscheinungen von Alkohol, Kokain und sogar Opiaten aus. Das Mittel, das Ärzte zur Abstinenz von anderen Drogen empfehlen, bietet aber mehr als einen therapeutischen Ersatz: Entsprechend dosiert, kann das Antirauschgift auch als Rauschmittel verwendet werden.

Blitzkarriere bei der Wehrmacht

Der Wirkstoff von Pervitin®, Metamphetamin, wird wegen seiner überwältigenden Wirkung oft »das böse Speed« genannt. Physiologisch betrachtet, löst sich Metamphetamin aufgrund seines Methylanteils leichter als gewöhnliches Amphetamin in Fett, dadurch überwindet es die das Gehirn vor Vergiftungen schützende Bluthirnschranke schneller und wirkt direkter auf das zentrale Nervensystem. Die Effekte der Droge gehen mit einer geringeren Blutdrucksteigerung einher, wodurch Metamphetamin anfänglich verträglicher scheint. Pervitin®-Benutzer, die sich zunächst einfach gut fühlen, beobachten an sich aber plötzlich innere Unruhe, peinigendes Getriebensein, Realitätsverlust oder geistige Verwirrung, die bis zu paranoiden Schüben reichen kann. Psychiater stellen zudem fest: Metamphetamin verstärkt bei einigen depressiven Verstimmungen die Symptome.

Trotz der zu diesem Zeitpunkt bekannten Unsicherheitsfaktoren entsteht der Plan, »Arbeits­unwillige«, deren Zahl in den späten Dreißigerjahren rapide steigt, mit der Droge zur Arbeit zu bewegen. Leistung bildet einen Kernwahn der nationalsozialistischen Ideologie.

Zu den zentralen Pflichten des Bürgers im NS-Staat, dem möglichen »Übermenschen«, gehört es, Außergewöhnliches zu leisten. Da die Deutschen ihre größten Taten an der zukünftigen Front planen, interessiert sich bald die Wehrmacht für Pervitin®. Kurz nachdem das Produkt in den Handel gekommen ist, beginnen die ersten Experimente an Studenten der Militärärztlichen Akademie in Berlin. Wissenschaftler stellen bei der Beobachtung studentischer Versuchskräfte fest: Die abendliche Einnahme von neun bis zwölf Milligramm Pervitin® beseitigt das Schlafbedürfnis für die Nacht und den kommenden Tag. Das ist genug Zeit für einen Angriff, in dem, wie der Philosoph Martin Heidegger erklärt, »alle Größe liegt«.

Kritische Stimmen wenden dagegen ein, Pervitin® könne Müdigkeit und Erschöpfung nur unterdrücken, bestenfalls aufschieben, der Körper fordere nach einer zeitlich begrenzten Phase der Beschleunigung längere Erholungsphasen ein. Nicht wenige Militärs glauben, der Einsatz des Wachhaltemittels würde letztlich zu einer Schwächung der Truppen führen. Gegen solche Vorbehalte setzt sich jedoch die Pro-Pervitin®-Fraktion mit ihrer Vorstellung einer chemischen Verbesserung des soldatischen Körpers durch.

Ein günstiges Klima dafür verbreitet das gerade in die Buchläden ausgelieferte Werk »Der totale Krieg« von General Ludendorff. Durch den Ersten Weltkrieg geschult, schreibt der altersweise Stratege darin: »Technische Hilfsmittel können im Kriege, in ihrem Massenverbrauch, viel besser erprobt werden, als je eine Friedensprüfung dies möglich macht.«

Als deutsche Soldaten nach dem Einsatzbefehl »Fall Weiß« am 1.September 1939 im Morgengrauen Polen überfallen, marschieren viele von ihnen unter Einfluss von Pervitin®. In der gesamten frühen Phase des Zweiten Weltkrieges, den »Blitzkriegen« gegen Polen, Frankreich und Dänemark, wird Metamphetamin von der Wehrmacht massenhaft an der Wirklichkeit erprobt.

Nie zuvor hat technologisch ermöglichte Beschleunigung eine so kriegsentscheidende Funktion eingenommen. Tempo soll es den Deutschen erlauben, ihre zahlenmäßige Unterlegenheit auszugleichen und jeden Widerstand zu brechen. Die ungebremste Ausschöpfung und Übersteuerung der soldatischen Kraftreserven eskaliert in einer ungeheuren Explosion der Geschwindigkeit und Gewalt. Die chemisch verstärkten Übermenschen der deutschen Angriffsmaschine überrollen Europa.

Begeistert melden Frontkommandeure faszinierende Effekte. Pervitin® verlängert die Dauer der Aufmerksamkeit und steigert die Reaktionsgeschwindigkeit. Schnell gehört die Droge bei der Wehrmacht zur Standardausrüstung. Allein in der Zeit von April bis Juni 1940 verteilt der Heeressanitätspark 29 Millionen Tabletten an die Truppe.

Ein Jahr nach Kriegsausbruch erscheinen in medizinischen Fachzeitschriften aber die ersten Studien über das Abhängigkeitspotenzial von Metamphetamin. »Sucht«, wie es die Nationalsozialisten nennen, ist im »Dritten Reich« extrem negativ besetzt, gilt als Charakterzug von »Untermenschen«. Ende der dreißiger Jahre kommt es dann immer öfter zu Einlieferungen psychisch verwirrter Pervitin®-Benutzer in Psychiatrien. Führende NS-Ärzte erkennen eine regelrechte »Pervitingefahr«. Die erst seit zwei Jahren auf dem Markt befindliche Droge wird dem Reichsopiumgesetz unterstellt und unterliegt nun einer strengen Rezeptpflicht.

Die Maßnahme steht in einem größeren Zusammenhang: Angesichts der verschärften Kriegssituation verordnen die Nationalsozialisten 1941 Gesundheit an der Heimatfront. Der Anbau von Tabak wird eingeschränkt, die Zigarettenindustrie zur Umstellung auf andere Produkte aufgefordert und alle Deutschen werden dazu motiviert, mehr Schwarzbrot zu essen. Bei der Wehrmacht reduziert das Oberkommando die Nutzung von Pervitin®. Bis Kriegsende geben Sanitäter auf Befehl der Truppenkommandeure aber weiterhin die roten Dragees aus. Wie bei Morphium müssen die diensthabenden Sanitätsoffiziere den Einsatz von Metamphetamin nun schriftlich begleiten. In einem der Berichte notiert der Schiffsarzt eines schweren Kreuzers: »Die Suchtgefahr, über die in der Literatur jetzt häufiger berichtet wird, besteht bei der genauen militärärztlichen Kontrollmöglichkeit nicht.« Trotz dieser Gewissheit müssen die uniformierten Beobachter feststellen, dass die schlaflosen Soldaten zu halluzinieren beginnen. Ein Matrose glaubt, eine Krähe wolle ihm von hinten in den Hals hacken: »Ich riss den Kopf herum und sah die grinsenden Motoren einer auf uns zustoßenden Lightning. Im gleichen Augenblick lösten sich zwei schwarze Punkte vom Flugzeugrumpf.«

Nicht nur an der Front, auch in der Rüstungsproduktion und anderen kriegswichtigen Industrien setzen die Deutschen Metamphetamin zur Steigerung der Leistungskraft ein, erhalten Arbeiter und Arbeiterinnen im Rhythmus der Stechuhr Tabletten, um die hoch gesteckten Ziele zu erfüllen. Das Interesse an Met­amphetamin geht über das Praktische hinaus: Synthetische Drogen passen in das nationalsozialistische Konzept einer engen Verbindung von reaktionärer Politik mit moderner Technologie, einer Paarung, die zu den Lebenssymbolen der deutschen Nation erhoben wird. Die Wirkung der Droge wird zu einer völkischen Projektionsfläche für die Vorstellung einer übernatürlich geschaffenen Natur.

Wie beim Auto vom laufenden Band handelt es sich aber auch bei Metamphetamin um eine verfeinerte Übernahme aus dem Ausland und keine Eigenleistung der deutschen Nation. Die wissenschaftlichen Wurzeln des Pharmakons liegen in Japan und in der Erforschung synthetischer Ersatzstoffe, die weit in die Zeit vor dem »Dritten Reich« zurückgeht und über die Grenzen Deutschlands hinausreicht.

Fall eines Fliegers

Ein Käfer kriecht über die flache Ebene. Heftig schwenkt er seine Flügel, als wollte er abheben, doch sie taugen nicht mehr dazu. De Blick aus Weit geöffnete Augen eines auf dem Stuhl hinter dem Tisch sitzenden Mannes klebt an dem kleinen Wesen. Er glaubt, sich in dem Tier wiederzuerkennen. Der da ein Bild von sich sucht, ist Deutschlands erfolgreichster Jagdflieger des Ersten Weltkrieges, zumindest von denen, die überlebten. Nach der Kapitulation hat es ihn 1918 auf den Boden der Tatsachen geworfen. Dort sieht es traurig aus: Die Siegermächte haben ein Luftfahrtverbot verhängt und alle Fluggerätschaften in Deutschland beschlagnahmt.

Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis die Aufnahmen zu Filmen, wie »Die weiße Hölle von Piz Palü«, ihm Gelegenheiten bieten, fliegend Frauen aus dem Eis zu retten, oder er in dem Expeditionsfilm »Fremde Vögel über Afrika« exotische Tierwelten aus der Vogelperspektive katalogisieren kann. Und die Kinobesucher lieben ihn, wenn er mit den Flügeln wackelt, unter Brücken hindurchgleitet oder mit den Tragflächen ein Taschentuch vom Boden aufhebt.

Anfang der dreißiger Jahre reißt der trinkfreudige Flieger Ernst Udet am Tresen noch Witze über die kleinkarierten Nazis, was ihn aber nicht davon abhält, einige Wochen nach der Machtergreifung in die Partei einzutreten. Jetzt dauert es nicht mehr lange, bis der frisch ins Amt gehobene Reichsmarschall Hermann Göring den beliebten Piloten fragt, ob er nicht ganz oben bei der Luftwaffe mit dabei sein wolle. Ernst Udet antwortet prompt: »Gern, gern, kommt bloß drauf an, was Sie bezahlen.«

Nach kurzer Verhandlung einigen sich die beiden Männer auf zwei Curtiss Hawk, das zu dieser Zeit weltbeste sturzflugtaugliche Flugzeug. Udet liebt den Sturz aus der Höhe und hat kein Problem damit, seine Dienstbarkeit für den richtigen Preis zu verkaufen: »Man muss um der Fliegerei willen auch mal mit dem Teufel paktieren … man darf sich nur nicht von ihm fressen lassen.«

Er bekommt den Titel »Generalluftzeugmeister« und sitzt in der Chefetage. Was er an Verwaltungsarbeit im Reichsluftfahrtministerium, einem Bürokratenschloss mit 3 000 Zimmern, zu tun bekommt, überfordert ihn, der nie gelernt hat, sich längere Zeit auf etwas zu konzen­trieren. In seinem Büro entsteht schnell ein Chaos aus unbearbeiteten Akten.

Daran gewöhnt, aus jeder Situation als strahlender Held hervorzugehen, gleicht der 40jährige sein Versagen als Bürokrat des Flugwesens aus, indem er in einem fort Möglichkeiten fliegender Wunderwaffen entwirft. Besessen füllt er Seite um Seite seines Skizzenbuchs mit ungeahnten Vorstellungen der Zerstörung. Vieles von dem, was Udets aufgedrehter Fantasie entspringt, formen Waffenbauer innerhalb kürzester Zeit zu realen Prototypen.

Seine bekannteste Erfindung wird der »Stuka«, ein Sturzkampfbomber, der sich mit dem ohrenbetäubenden Geheul einer am Flugzeug angebrachten Motorsirene, der »Jericho-Trompete«, in die Tiefe stürzen kann. Im senkrechten Flug nach unten erreicht der Bomberpilot die direkteste Perspektive auf das zu erobernde Gelände, um den Tod punktgenau ins Ziel zu tragen. Hat er abgedrückt, dreht er sich im letzten Moment wieder zurück in den Himmel.

Mit Hilfe des Flugzeugkonstrukteurs Ernst Heinkel verwirklicht Udet seine Vorstellungen. Zuerst heißt dies, Bomber zu bauen, die sich schnell genug bewegen, um die zugespitzten Angriffsmanöver auszuführen. Die technische Herausforderung versetzt die beiden Männer in einen Rausch der Geschwindigkeit. Eigenhändig bricht der Generalluftzeugmeister den Rekord über hundert Kilometer. Als Nächstes soll die beste Kurzstreckenleistung am Himmel überholt werden. Auf dem Testgelände startet eine He 100 mit einem Motor von Daimler-Benz, den die Ingenieure auf 1 800 Pferdestärken frisiert haben, womit er ein Drittel über der normalen Höchstleistung des Motors liegt. Die Maschine schießt mit einem Tempo von 746 km/h über das Versuchsfeld und übertrifft damit den bisherigen Weltrekord.

Bei all dem hat sich Udet schon lange an ein halbes Dutzend Pervitin® vor dem Frühstück gewöhnt. Den bitteren Geschmack der Tabletten spült er mit Cognac runter. Der Ehrgeizige will noch schneller werden und der Überforderte pusht sich nach vorn. In einen inneren Kampf aus Besessenheit und Verzweiflung verstrickt, rüstet Udet jetzt selbst schwere Langstreckenbomber zu Stukas um.

Die mit Pervitin® aufgepeitschten Bomber­piloten in den Stukas können anfänglich noch Erfolge wie die Zerstörung Warschaus melden. Nach der bitteren Luftschlacht um England zeich­nen sich die Schwächen aber immer deutlicher ab. Selbst noch mehr Pervitin®, verwischt vom Alkohol, kann Udets angstbeschleunigten Blick nicht darüber hinwegtäuschen: Die Verlustziffern steigen. Als wäre die Situation nicht schon kompliziert genug, kommt es wegen mangelnder Organisation zu Nachschubproblemen an Material für die Kriegsmaschine.

Immer lauter brabbeln Stimmen in seinem Kopf, die ihm für alles die Verantwortung geben. Auch die Leute außerhalb seines Kopfes scheinen froh, dass sich ein Schuldiger für das Unglück gefunden hat. Um sich den Vorwürfen zu entziehen, hält er sich mit noch mehr Pervitin® am Laufen. Es verwandelt ihn über die Monate in ein verhuschtes Gespenst in Uniform. Die Mög­lichkeit, eine Illusion zu leben, fällt als Selbstlüge in sich zusammen. Blau angelaufen, mit Blutstürzen und irren Augen bringt ihn eine Ambulanz ins Spital. Einige Tage später überweisen ihn die Ärzte in ein Sanatorium im Schwarzwald.

Als Udet nach der mehrwöchigen Kur in die Reichshauptstadt zurückkehrt, wollen ihn nur noch wenige kennen. Völlig überdreht redet er wild auf die verbliebenen Freunde ein und tanzt bald, stramm wie eine Haubitze, mit steilen Fuchtelbewegungen. Inge Bleyle, Udets Geliebte, fürchtet den Fall nach dem Hoch, sie kennt das und weigert sich, die Nacht gemeinsam mit ihm zu verbringen. Beide gehen getrennt nach Hause.

Am Morgen weckt das Telefon sie um acht. Sie nimmt den Hörer ab. Aus der Muschel hämmert eine gnadenlose Anklage, die gar nicht aufhören will, bis ein Schuss am anderen Ende der Leitung zu hören ist, noch ein unklares Geräusch und dann Stille.

Am Vormittag meldet das Deutsche Nachrichten-Büro: »Der Generalluftzeugmeister, Generaloberst Ernst Udet, erlitt am 17. November 1941 bei der Erprobung einer neuen Waffe einen so schweren Unglücksfall, dass er auf dem Transport an den Verletzungen verschied.« Am Nachmittag ordnet Hitler ein Staatsbegräbnis an. Plötzlich haben alle in Udet wieder einen guten Kameraden gehabt.

Als sei der Legendenbildung noch nicht genug gedient, nimmt der emigrierte Schriftsteller Carl Zuckmayer seinen alten Münchner Tresenfreund als Vorlage für den Flieger Harras, die Hauptfigur in »Des Teufels General«. Das erfolgreiche Theaterstück verfilmt der Regisseur Helmut Käutner 1954 mit Curd Jürgens in der Haupt­rolle. Harras alias Udet wird darin zum gutgläubigen, gelegentlich eine Pille mit Sekt hinunterspülenden Opfer einer Verschwörung der SS.

Mit der rührend ausgemalten Lebenslüge des deutschen Vorzeigedrogenkonsumenten – der sich im Grunde seines Herzens gar nicht als richtiger Nazi fühlt, sondern nur fliegen will – findet sich ein augenwischender Mythos für alle, die im »Dritten Reich« doch nur das tun wollten, was sie immer getan hatten, und sich plötzlich als Gefangene in den Händen böser Mächte oder Substanzen glaubten.

Zerebraloszillationen und Pillenpatrouille

Fünf Monate vor Udets Freitod hat die Wehrmacht entlang einer 3 000 Kilometer langen Front die Sowjetunion angegriffen. Innerhalb weniger Wochen töten die deutschen Landser eine Million Feinde, um »Lebensraum« im Osten zu schaffen. Als Schneeflocken in zauberhaft schönen Bögen langsam vom Himmel fallen, gerät der Angriff ins Stocken. Im Hinterland drehen die Dirigenten des Angriffs im Führerhauptquartier den Ton des Volksempfängers leiser, wenn die eigene Propaganda »Rauschgift« als Teil einer »jüdischen Weltverschwörung« anprangert. Warum sollen ihnen die modernen Apparate mit ihren entsetzlichen Strahlen beim Drogenschlucken ein schlechtes Gewissen einflüstern?

An einem anderen Ort in Deutschland sitzt ein kahlköpfiger Mann an einem Schreibtisch und nennt das einen »isolierten Posten«. Von ihm aus beleuchtet der Stabsarzt der Heeres­sanitätsinspektion 1942 in einem Essay, dem er den Titel »Provoziertes Leben« gibt, zahlreiche Drogen und kommt dabei zu überraschenden Einsichten. Gottfried Benn, der schon das Verschwinden des Schlafes geahnt hat, stellt sich jetzt pädagogisch wertvolle Experimente mit Metamphetamin vor: »Pervitin könnte, statt es Bomberpiloten und Bunkerpionieren einzupumpen, zielbewusst für Zerebraloszillationen in höheren Schulen angesetzt werden. Das klingt wahrscheinlich manchem abwegig, ist aber nur die natürliche Fortführung einer Menschheitsidee. Ob Rhythmus, ob Droge, ob das moderne autogene Training – es ist das uralte Menschheitsverlangen nach Überwindung unerträglich gewordener Spannungen, solcher zwischen Außen und Innen, zwischen Gott und Nicht-Gott, zwischen Ich und Wirklichkeit – und die alte und neue Menschheitserfahrung, über diese Überwindung zu verfügen.« Benns Vorstellung der »Zerebraloszillationen« bedeutet übersetzt ungefähr Schaukeln des Kleinhirns, worunter man sich eine Art neurochemischer Synapsenmassage vorzustellen hat.

Die Fantasie des Lyrikers von einem Gehirntraining mit Drogen wird erst nach Kriegsende veröffentlicht. Die chemische Verbesserung des jugendlichen Lernvermögens durch Drogen findet zwar eine informelle Praxis, wird in Hinblick auf ihre Anwendung aber erst sehr viel später offen diskutiert. Erst Anfang des 21. Jahrhunderts erfährt das drogengestützte Lernen durch den Aufschwung der Hirnforschung einen Boom. Benn wird jetzt als poetischer Avantgardist der wissenschaftlichen Einsicht in die Synapsen gehandelt, während Optimierungswilde wie der Hirntheoretiker Wolf Singer die Möglichkeiten beschwören, mithilfe pharmakologischer Maßnahmen die Lernfähigkeit zu verbessern. Die milde Vorstellung vom Schaukeln des Kleinhirns mausert sich mit dem Ehrgeiz der deutschen Hirnforscher zu einer genauen Vorstellung der optimierten Organisation des Denkens: »Man kennt die biochemischen Kaskaden recht gut, die beim Lernen zur Veränderung der synaptischen Übertragung führen. Durch Steigerung der Effizienz dieser Mechanismen erhofft man sich eine Verbesserung der Lernfähigkeit.«

Das Tagesgeschäft des »Dritten Reiches« hat bei der Verbesserung des Menschen durch Drogen noch ganz andere Motive. So beobachtet der im Konzentrationslager Sachsenhausen in Oranienburg inhaftierte norwegische Architekt Odd Nansen, ein Sohn des Polarforschers Fridtjof Nansen, seltsame Manöver, über die er 1944 in sein Tagebuch schreibt: »Eine merkwürdige Patrouille marschiert zur Zeit ständig um den Appellplatz herum, ähnlich wie der ›Schuhtrupp‹. Sie tragen alle Gepäck und singen und pfeifen, während sie gehen. Das ist die ›Pillenpatrouille‹. Sie sind Versuchskaninchen für eine neuerfundene Energiepille. Es wird an ihnen ausprobiert, wie lange sie sich nach dem Genuss dieser Pillen halten können. Nach den ersten vierundzwanzig Stunden hatten die meisten es aufgegeben und waren zusammengebrochen, obwohl es heißt, dass man mit diesen Pillen Unglaubliches leisten könne, ohne die übliche Reaktion. Ja, die Deutschen werden solche Pillen nötig haben.« Als Nansen seine Beobachtungen macht, arbeitet die Wehrmacht gerade an einer Energietablette mit dem Projektnamen »D-IX«, einer Mischung aus Kokain, dem Schmerzmittel Eukadol® und Pervitin®.

Mir können keine Drogen mehr helfen

Bis heute erzählen sich Speed-Freaks wilde Geschichten über Adolf Hitlers Hang zu Metamphetamin. Fraglos schätzte der Führer der Deutschen die Droge. Anfänglich hielt er sie wohl, wie es allgemein in der von ihm erfundenen Wirklichkeit behauptet wurde, für ein Mittel, um die eigene Leistung zu erhöhen. Wie im Vorübergehen genoss er dabei ein seltsames Gehirngeräusch als erfreulichen Nebeneffekt.

Die Aufzeichnungen seines Leibarztes Theo Morell lesen sich so, als habe Hitler nach der Niederlage der 6. Armee im Kessel von Stalingrad 1943 einen Dauerrausch angetreten. Damit der nicht unterbrochen wird, versorgt Morell den Führer laufend mit Strychnin, Glucosetabletten und Pervitin®.

Den schillernden Doktor kennen die Leser der Berliner Klatschspalten als Prominentenarzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, in dessen Praxis am Kurfürstendamm sich Stars und Sternchen einfinden. Neider lästern über den Kollegen, er sei ein Quacksalber. Nicht wenige höhnen über die mangelnde Hygiene in seiner Praxis. »Patient A«, wie Hitler in Morells Datei heißt, scheint sich an dem Dreck nicht zu stören, er lässt sich vom Mann seines Vertrauens oft gleich mehrere Spritzen mit Sulfonamiden, Drüsenstoffen, Traubenzucker und Hormonen auf einmal verabreichen. Pervitin® verwendet Morell in dem exklusiv für Hitler hergestellten Wundermittel »Vitamultin«, einer eigenwilligen Zusammenpressung recht unterschiedlicher Wirkstoffe zu Oblaten, die der Großmannssucht des Führers täglich neues Leben einhauchen sollen.

Nach der verlorenen Schlacht um Stalingrad wird der Wille zur Macht schleichend schwächer, Hitlers Innenbilder von der Weltherrschaft verdunkeln sich. Nach außen wird ein linksseitiges Zittern des Oberkörpers sichtbar und seine Handschrift wird immer unkontrollierter. Den chemiegesteuerten Körper des Führers durchzucken Tics, als wäre er ein Autist. Ein ausgreifender Gedächtnisschwund führt zu Wiederholungen gerade erst ausgesprochener Befehle.

Joachim C. Fest schildert in seiner Hitler-Biografie, wie Morell in kürzer werdenden Abständen zu stärkeren Dosierungen greift. Hitlers Nerven beginnen von den vielen Aufputschmitteln zu flattern. Um sie zu beruhigen, verordnet Morell wiederum beruhigende Drogen. Durch die bis zum Äußersten ausgereizte Wechselwirkung wird Hitler empfindlich gegen Licht. Schon natürliche Tagesbeleuchtung quält seine empfindlichen Augen. Wie so viele chronische Amphetaminnutzer lernt er die Dunkelheit lieben. Ins Freie geht er nur noch selten. Für die wenigen Ausgänge lässt er sich eine Mütze mit übergroßem Schirm anfertigen. Durch den Rückzug ins Halbdunkel des Bunkers entfallen die Massenansprachen. Fest mutmaßt, Hitler habe das verlorene Hochgefühl des Machterlebnisses beim Reden vor Publikum durch chemische Rauschzustände aufgefangen.

Im Herbst 1944 kauert Hitler nur noch matt auf seinem Sofa und glotzt wie magnetisiert in Richtungen, wo nichts weiter zu erkennen ist. Was seine Untergebenen als zupackendes Temperament kannten, springt nur noch bei Heißhunger auf Schokolade oder in Wutausbrüchen an. Die Lippen zucken. Hinter jedem der von ihnen ausgespuckten Halbsätze tippt er mit der abgekauten Nagelkuppe seines rechten Zeigefingers einen Punkt, während die linke Hand hek­tisch nach wechselnden Körperpartien greift, als wollte sie gequälte Nerven beruhigen. Wenn die Anwandlung von Kraft nachlässt, steht hinter ihm immer noch das Sofa. Er zieht sich wieder zurück und bleibt mit sich allein auf den Kissen, wie ein Bote, der für seine Nachricht keinen Empfänger gefunden hat.

Als sich gegen Kriegsende die feindlichen Trup­pen Berlin nähern, kommt es zu einem letzten Wachwechsel. Selbst Doktor Morell muss jetzt den Führerbunker verlassen. Hitler verabschiedet den Arzt mit den Worten: »Mir können keine Drogen mehr helfen.« Was den Patienten aber nicht davon abhält, sich noch eine Weile an den zurückgelassenen Pillen und Ampullen gütlich zu tun.

Am 30.April 1945 erprobt Hitler eine ihm bisher unvertraute Droge an seinem Schäferhund Blondi. Nach gewünschtem Ausgang des Versuchs nimmt er gemeinsam mit seiner Frau Eva Braun selbst den Stoff mit dem schwachen Geruch von bitteren Mandeln.

Auf Speed vom Krieg in den Frieden

Nicht nur die deutsche Wehrmacht hat im Zweiten Weltkrieg Metamphetamin in großen Mengen eingesetzt, auch die britischen Truppen schluckten 72 Millionen Tabletten. Noch mehr von der Droge verbrauchten die in England stationierten US-Soldaten. Diese wurden von den Briten mitversorgt, da die Regierung der Vereinigten Staaten noch nicht geklärt hatte, ob sie das Mittel für militärisch sinnvoll hielt oder nicht. Mit solchen Fragen verschwendete die japanische Regierung erst gar keine Zeit. Ohne zu zögern, mobilisierte das Ursprungsland von Metamphetamin seine Streitkräfte mit der Droge.

Mochte Hitler, frei nach Heraklit, den Krieg zum Vater allen Fortschritts verklärt haben, trug der militärische Massenverbrauch nur wenig zur technischen Weiterentwicklung von Drogen bei. Unterm Strich handelte es sich um ein einseitiges Tauschverhältnis: Im Zuge der militärischen Vernutzung aller Erneuerungsprozesse wurden Amphetamin und Metamphetamin zwar aufgegriffen und genutzt, genau betrachtet wird ihnen jedoch gerade mal ein neuer Gebrauchswert zugesprochen: die Stärkung und Formung des soldatischen Körpers.

Durch die militärische Nutzung ist die Droge aber noch populärer geworden. Am Ende des Krieges bringen Soldaten ihr chemisches Hilfsmittel von der Front mit nach Hause. Dort, wo die Vernichtung überwältigende Schäden hinterlassen hat, lindert das vielseitige Mittel Angstzustände, Niedergeschlagenheit, Hunger und Entkräftung oder bedient Gewöhnungssymptome.

In Japan verkaufen Militärs in den Wirren der Kapitulation gleich die gesamten Metamphetaminvorräte an die Zivilbevölkerung. Massenweise stürzen sich die Menschen in dem von den Abwürfen der Atombomben zerstörten und traumatisierten Land in künstliche Hochgefühle. Der Ausverkauf der Vorräte bildet die Ausgangslage, auf der Metamphetamin, das in Japan »Shabu« genannt wird, zum führenden Rauschmittel wird. Schon 1954 geht die Gesellschaft japanischer Pharmazeuten von 150 000 Abhängigen im Land aus – eine Zahl, die manche als Erklärung für das »japanische Wunder«, den Aufstieg der asiatischen Industriemacht, heranziehen. Heute hält Shabu auf dem illegalen Drogenmarkt einen Anteil von über 80 Prozent und gehört zu den zentralen Geschäftszweigen der Yakuza, der japanischen Variante organisierter Kriminalität.

In der anderen großen Verlierernation, Deutschland, nutzen Frauen und Männer Reste von aus dem Krieg übrig gebliebenem Pervitin® beim Wiederaufbau des Landes aus den Trümmern. Die Sturmabteilung unter den aufweckenden Aminen heißt bald im alles verniedlichenden Neudeutsch der Umerzogenen »Weckamin«.

Auch in den Ländern der Siegermächte gibt es Tausende Heimkehrer, die ihr Vorkriegsleben nicht weiterführen wollen oder können. Getrieben von der Angst, die nach einem Krieg zurückbleibt, irren sie durch die Städte und übers Land. Amphetamin bietet eine Methode, die Traumatisierungen des Krieges zu ertragen und Albträume aufzuschieben. Bei all diesen Nutzungen stellt sich die Frage, ob Schwerter zu Pflugscharen geschmiedet werden oder die Weiternutzung von Technologien des Krieges diesen in den Frieden verlängert? War es eine Militarisierung des Lebens, oder führen die Umstände eine für den Krieg zweckentfremdete Technologie wieder ihrem ursprünglich zivilen Gebrauch zu?