Die Welt der krummen Dinger

Nichts wird auf der Welt so häufig gewaschen wie Geld. Mit der so genannten Globalisierung haben sich illegale Ökonomien rasant ausgebreitet und arbeiten mit den legalen eng zusammen. von michael r. krätke

Ihr Angebot an Waren und Dienstleistungen ist etwas sonderbar: Erpressungen, Menschenhandel, Prostitution, Drogen, das Eintreiben von Schutz­geld und der Handel mit geschmuggelten und gefälschten minderwertigen Waren aller Art. Dennoch ist die Mafia mit einem Jahresumsatz von wenigstens 90 Milliarden Euro der profitabelste Konzern Italiens.

Allein sechs Milliarden nimmt sie jedes Jahr an Schutzgeld ein, nicht nur im Süden des Landes, das Doppelte verdient sie mit überhöhten Zinsen, die mit brutalster Gewalt eingetrieben werden. Gut eine Milliarde Euro pro Jahr wirft der schwung­hafte Handel mit Lebensmitteln unter falscher Marke ab, die sich oft genug als gesundheitsschädlich erweisen. Gut sieben Prozent des italienischen Bruttosozialprodukts entspricht dem, was die Mafia mit Raub, Mord, Erpressung und vor allem illegalen Geschäften in großem Stil Jahr für Jahr zusammenwirtschaftet. In etlichen Regionen des Landes beherrscht sie nicht nur die Schattenwirtschaft, sondern große Teile der offiziellen Ökonomie gleich mit – vergleichbar nur mit den Zuständen in zahlreichen Ländern der früher so genannten Dritten Welt, wo die organisierte Kriminalität die Wirtschaft vieler Großstädte und Regionen bestimmt.

Weltweit blüht das organisierte Verbrechen – dank der so genannten Globalisierung. Früher ging der Schwarzhandel in geringerem Umfang und sorgfältig abgeschieden von der offiziellen Ökonomie des Weltmarktes vor sich. Heute ist das anders. Die schwarzen Märkte und die dazu gehörigen Unternehmen, die überwiegend oder zum großen Teil von kriminellen Geschäften leben, sind heute in die legale, weiße Ökonomie eingebettet, bilden einen integralen Bestandteil der kapitalistischen Weltökonomie. Nicht nur, weil die Mafias so gut organisiert sind und sich überaus erfolgreich aus den Unterwelten heraus- und in die Zentren der legalen Weltökonomie hin­ein­begeben haben, sondern auch, weil die legalen Unternehmen aller Arten und aller Größenordnungen mittlerweile immer ungenierter von dubiosen bis eindeutig kriminellen Methoden Gebrauch machen. Das fängt mit Steuerhinterziehung und Warenfälschung an und hört damit noch lange nicht auf.

Dank der geschickt organisierten Mischung von Gewalt, Erpressung und Bestechung, die die kriminellen Unternehmen anwenden, gelingt es ihnen immer wieder, ganze Gebiete unter ihre Kontrolle zu bekommen, die ihnen als Stütz- und Durchgangspunkt für ihre Geschäfte dienen. So sind zum Beispiel die karibischen Inseln St. Maarten und Curacao, ehemals holländische Kolonien und bis heute offiziell Teile der Niederlande, fest in der Hand der internationalen organisierten Kriminalität. Sie bilden Knotenpunkte im internationalen Drogenhandel, Hochburgen des illegalen Glücksspiels, der Prostitution und vor allem der internationalen Geldwäsche. Banden und Unternehmen aus allen Teilen der Welt nutzen die speziellen Finanzdienstleistungen, welche die Inseln zu bieten haben, gerne und erfolgreich. Gegen die Steuerhinterziehung in größtem Stil, von der die beiden karibischen »Finanzplätze« unter anderem leben, ist der niederländische Fiskus machtlos.

Ohne diese schwarze Weltökonomie gäbe es keinen internationalen Terrorismus, wären die Kriegs- und Schattenwirtschaften in den Kriegs- und Bürgerkriegsregionen der Welt – Afghanistan, Irak, Sudan, Zaire, um nur einige zu nennen – nicht lebensfähig. Die »neuen Kriege« sind von der kriminellen Ökonomie abhängig und umgekehrt.

Allerdings wird die kriminelle Ökonomie schon lange nicht mehr von traditionellen Mafias, Verbrechersyndikaten oder Gangsterclans beherrscht, obwohl die keineswegs verschwunden sind. Heute herrscht der Typ des multinationalen Unternehmers vor, und die Manager der »Unterwelt« sind gebildet, wohl informiert, bestens organisiert und verfügen über internationale Kontakte. Die italienischen, russischen, US-amerikanischen Mafias, die chinesischen Triaden, die japanische Yakuza arbeiten wie Unternehmensholdings, betreiben alle möglichen kriminellen Geschäfte zugleich und beschäftigen weltweit Millionen von Menschen.

Auch die kriminellen Unternehmen versuchen, etwa im Drogengeschäft, möglichst sämtliche Stationen der Wertschöpfungskette, von der Rohstoffproduktion über die Verarbeitung und Ver­edelung bis zum Transport und Absatz, unter Kon­trolle zu bekommen. Oft genug gelingt ihnen das mit Hilfe grenzüberschreitender, strategischer Allianzen, wie sie in der weißen, legalen Ökonomie an der Tagesordnung sind. Wie dort sind Outsourcing, die Verlagerung von Produktionsstätten und die Beschäftigung von Subunternehmen gang und gäbe, gelegentliche Umstrukturierungen und die Reorganisation ganzer Geschäftsbereiche inklusive. Es kommt durchaus vor, dass sich eine kriminelle Unternehmensgruppe aus einem Geschäftsbereich zurückzieht und stattdessen neue Sparten aufbaut bzw. neue Märkte erobert.

So hat die Camorra in Neapel schon vor einigen Jahren die Prostitution nigerianischen Banden überlassen, während sie in großem Stil in die Markenpiraterie eingestiegen ist. Die großen, erfolgreichen Clans, die sich längst in Familienunternehmen bzw. regelrechte multinationale Konzerne verwandelt haben, lassen den Banden, seit jeher organisiert auf ethnischer und religiöser Grundlage, durchaus noch Spielraum bzw. spannen sie als Subunternehmen für ihre internationalen Geschäfte ein. In einigen Regionen bzw. Großstädten der Welt wie Mexiko-Stadt, Bombay oder Rio de Janeiro beherrschen die Banden das Feld. In einigen Fällen haben sie, wie in Kolumbien, den Drogenhandel von den Kartellen zurückerobert.

Nach wie gehören Drogen- und Waffenhandel zu den lukrativsten Wirtschaftszweigen der Welt. Der Drogenhandel ist hoch profitabel und relativ riskant, aber dennoch in einigen Ländern und Regionen der Erde beherrschend. Kolumbiens Wirtschaft ist vom Drogenhandel weitgehend abhängig, die Afghanistans zu über 60 Prozent. Offiziell hat die Regierung dem Opium den Kampf angesagt, aber nur den Taliban gelang es zeitweilig, den Anbau zurückzudrängen. Obwohl die afghanischen Bauern nur einen winzigen Bruchteil dessen verdienen, was das Opium auf den Drogenmärkten in Europa und Nordamerika einbringt, ist sein Anbau noch immer die mit Abstand lukrativste Form der Landwirtschaft in diesem bitterarmen Land. Labore, in denen Roh­opium zu Heroin verarbeitet wird, entstehen in vielen Teilen des Landes, die afghanischen Warlords sind clevere Unternehmer genug, um statt des Rohopiums immer häufiger bereits veredelte Drogen auf den rasch expandierenden Weltmarkt zu werfen.

Doch auch die Konkurrenz ist nicht untätig und hat den Drogenhandel in den vergangenen Jahren gründlich umstrukturiert. Heute sind es in wachsendem Maße chemische Kunstdrogen, die die althergebrachten Drogen wie Heroin und Kokain verdrängen. Die neuen Kunstdrogen (wie z.B. Ecstasy, Ketamin, GHB, Rohypnol) lassen sich ohne allzu großen Aufwand praktisch überall auf der Welt in fast beliebigen Mengen erzeugen. Aber auch die Produktion der althergebrachten Drogen hat sich mittlerweile in eine High-Tech-Industrie verwandelt, in der alles, einschließlich der Gentechnologie, eingesetzt wird, was höhere Produktivität und Gewinne verspricht. Haschisch der besten Qualität kommt heutzutage aus speziellen Gewächshäusern in Kanada und den Niederlanden, die den Pflanzen optimale Bedingungen bieten und viele Ernten pro Jahr versprechen.

Globale, grenzüberschreitende kriminelle Geschäfte lassen sich auf Dauer und in großem Stil nur machen, wenn man die legale Ökonomie und zumindest auch den lokalen Staatsapparat unterwandert. Nach Schätzungen zahlen etwa die mexikanischen Drogenkartelle mehr als eine Million Dollar pro Woche an die mexikanischen Zollbeamten. Auf dieser Basis hat sich eine internationale Zusammenarbeit der Drogenkartelle entwickelt: Die kolumbianischen Kartelle (bzw. die heutigen Banden) produzieren den pflanzlichen Rohstoff, in den Nachbarländern findet die Weiterverarbeitung statt, und die mexikanischen Kartelle sorgen für den sicheren Transport auf den US-amerikanischen Drogenmarkt, den größten der Welt.

Die kriminelle Ökonomie hat von den enormen Veränderungen der vergangenen Jahre auf den Finanzmärkten am meisten profitiert. So leisteten die Aufhebung der Devisen- und Kapitalverkehrskontrollen seit den siebziger Jahren, die Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte, die neuen Finanzinstrumente und die neuen Akteure auf den Finanzmärkten, allen voran die Hegdefonds und Investmentbanken, der internationalen organisierten Kriminalität unschätzbare Dienste. Obwohl sich in einigen Fällen und an einigen Orten der Erde eigene schwarze Geldkreisläufe entwickelt haben (wie der Black Market Peso Exchange in Lateinamerika), bleibt das Weißwaschen kriminell erworbenen Geldes das eigentliche Ziel, das sich heute auf vielen Wegen und Umwegen rasch und relativ sicher erreichen lässt. Dank der neuen Welt der internationalen Finanzmärkte ist schwarzes Geld heutzutage viel flexibler, mobiler und unendlich viel schwieriger zu fassen als je zuvor. Daher wächst die Masse der Geldwäschetransaktionen fast jeden Tag – ihr Volumen beläuft sich nach Schätzungen der OECD auf wenigstens 1 500 Milliarden Dollar pro Jahr, nach Schätzungen der Weltbank bzw. der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich auf zwei bis vier Prozent des globalen BSP, also gut zwei bis vier Billionen US-Dollar, Tendenz: rasch steigend. Je turbulenter es auf den Finanzmärkten zugeht, desto besser für die kriminellen Unternehmen, die gerne auch mal erhebliche Verluste in Kauf nehmen, um die Spur ihrer gewaschenen Millionen und Milliarden zu verwischen.

Der Zweck der Geldwäsche ist immer der gleiche: Kriminelle Profite sollen in legales Kapital verwandelt werden. Die italienischen, türkischen, albanischen und russischen Mafias schleusen ihr Geld zu 80 Prozent in legale Geschäfte, sie kaufen sich überall ein – in den Energiesektor, in den Tourismus, in Immobilien. Geld aus vielen höchst dubiosen Quellen wandert seit langem aus Osteuropa und Russland in höchst seriöse Unternehmen, zum Beispiel in Deutschland. Die organisierte Kriminalität breitet sich aus und nutzt die Fassaden legaler, respektabler Unternehmen in vielen Ländern. Sie hat inzwischen die gesamte globale Ökonomie erfasst.