Populismus von oben

Die Liechtenstein-Kampagne ist vor allem Propaganda für den autoritären Volks­staat. von felix baum

Ein Wink aus dem Staatsapparat lockte Kamerateams des deutschen Fernsehens vor die Villa des Post-Managers Klaus Zumwinkel, als dieser unlängst von Steuerfahndern abgeführt wurde. Bereits mit diesem ersten Akt war klar, dass es bei der derzeitigen Fahndung nach superreichen Steuerhinterziehern nicht um gewöhnliche Strafverfolgung geht, sondern um eine politische Kampagne. Auch andere Details – der Ankauf gestohlener Bankdaten, der Einsatz des Auslandsgeheimdienstes BND bei der Steuerfahndung – rücken die Geschichte in die Nähe eines Polit-Thrillers.

Doch die Motive der Kampagne werden in der deutschen Presse zu offenherzig diskutiert, um Stoff für Verschwörungstheorien zu bieten. »Die Botschaft der rot-grünen Agenda-Jahre war«, erläutert die Zeit, »dass sich alle mehr anstrengen müssen. Dass Sozialschmarotzer keine Chance mehr haben. Wie aber soll die Regierung den Druck nach unten rechtfertigen, wenn sich die Oberschicht ihrer Verantwortung erfolgreich ent­zieht?«

Die Rechtfertigung des Drucks nach unten ist in letzter Zeit schwieriger geworden. Gegen den Vormarsch der Linkspartei scheint auch die Erzeugung antikommunistischer Hysterie, die den sozialdemokratischen Wahlverein zur kommunistischen Gefahr für den Staat stilisiert, wenig ausrichten zu können, während der offensive Lok­führerstreik Signalwirkung für andere Arbeitskämpfe gewinnt. Der ungewöhnlich harte Warnstreik etwa, den Verdi kürzlich im Berliner Nahverkehr durchführte, war nach den Worten der verantwortlichen Gewerkschaftsfunktionärin das einzige Mittel, um die Belegschaft von wilden Streiks abzuhalten. Für Linke noch kein Anlass zu Revolutionseuphorie, für die Sachwalter der herrschenden Ordnung aber allemal einer zur Sorge, zumal ungewiss ist, ob die Konjunktur, die zuletzt wenigstens kosmetische Korrekturen am Kurs der »Agenda-Jahre« erlaubte, nicht bald wie­der schlapp machen wird.

In dieser Situation tritt das politische Personal auf, als hätten sich seine PR-Berater die Einsicht von Joseph Goebbels zu eigen gemacht, der­zufolge eine Lüge umso eher geglaubt wird, je un­verschämter sie ist. Zumwinkel und seinesgleichen werden zum Abschuss freigegeben, damit die, die in den vergangenen Jahren federführend bei den sozialen Angriffen auf die Lohnabhängigen waren, in die Rolle von deren Anwälten schlüp­fen können. »Es ist unglaublich, mit welcher Unverschämtheit über die Interessen eines Volkes hinweggegangen wird, wie man gegenüber den so genannten kleinen Leuten argumentiert, sie müssten immer noch auf etwas verzichten, und selber, obwohl man Millionen verdient, nicht mal bereit ist, dafür Steuern zu zahlen«, ereiferte sich ausgerechnet Kurt Beck. »Diese reine Gier nach Geld muss in unserer Gesellschaft eingedämmt werden.«

Überhaupt stellt die Sozialdemokratie, bemüht um die Rückgewinnung verprellter Wähler aus den unteren Schichten, die Speerspitze der ganzen Kampagne dar, wobei sie eine Ahnung davon gibt, welch autoritäres Potenzial sie bei Bedarf abzurufen bereit ist. Mit Blick auf die du­biose Rolle des BND erklärte Beck freimütig: »Um diesen Sumpf trocken zu legen, darf man auch unorthodoxe Maßnahmen anwenden. Das war ungeheuer wichtig, um präventiv und erzieherisch wirken zu können.«

Der augenzwinkernde Verweis auf »unorthodoxe Maßnahmen« gibt zu verstehen, dass sich der Staat keineswegs an seine eigenen Gesetze gebunden fühlt, wenn Gefahr für das Gemeinwesen droht. Aus jedem Satz des SPD-Vorsitzenden spricht der klassische autoritäre Charakter. Die »deutschen Gerichte« dürften sich nicht auf »Deals« wie die Einstellung von Verfahren gegen Geldbuße einlassen, denn diese Praxis verstoße gegen »das wirklich gesunde Rechtsempfinden einer großen Mehrheit«. Die Schuldigen müssten »in aller Öffentlichkeit« verurteilt werden.

Die Linke aber setzt noch eins drauf. Sie erkennt in der Hatz auf die vaterlandslosen Gesellen aus der Managerkaste nicht etwa Propaganda für den autoritären Volksstaat, sondern einen Etappensieg im Ringen um »soziale Gerechtigkeit«. Wobei der freundlich unterstellte Unterschied zwischen beidem am Ende allenfalls ein geringer sein könnte. Anstatt die staatsoffizielle Empörung über unmoralische Kapitalisten als Sabotage des Klassenbewusstseins zurückzuweisen, herrscht lautes Einvernehmen mit den Staatsorganen. »Dicke Fische zappeln an der Angel«, meldete das Neue Deutschland, über »Stress­tage für Betrüger« freute sich die junge Welt, »Sanktionen gegen Liechtenstein« verlangten Attac-Aktivisten auf einer Kund­gebung vor dem Reichstagsgebäude. Für die Links­partei forderte Ulrich Maurer, dass »Deutsch­land im Alleingang« gegen Steueroasen vorgehen solle, während Sven Giegold von Attac die Bundesregierung zu noch aggressiverem National­chauvinismus aufforderte: Auf EU-Ebene müsse »Deutschland ganz klar sagen: ›Wir als größte Nettozahler in der EU lassen uns beim Thema Steuern nicht mehr so abzocken.‹«

Wenn die nächste Weltmarktkrise hereinbricht und den autoritären Staat, dessen Fingerübungen zurzeit zu beobachten sind, mit ganzer Macht auf den Plan rufen wird, dürfte von diesen Linken nichts Gutes zu erwarten sein.