Ein Gespräch mit der französischen Schriftstellerin und Regisseurin Virginie Despentes

»Porno bedroht die männliche Sexualität«

Seit dem Zensurskandal um den Film »Baise-moi – Fick mich« (2000), den Virginie Despentes gemeinsam mit Coralie Trin-Thi drehte, ist die Schriftstellerin über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt geworden. Im Vordergrund ihrer Romane steht nicht der Tabubruch, sondern die bedingungslose Identifikation mit proletarischen Figuren, die zwischen Wohnungs-, Arbeitslosigkeit und Freundschaft ums Überleben kämpfen. Despentes’ neues Buch »King-Kong-Theorie« ist eine Essaysammlung zu den Debatten um Feminismus und Pornographie, Vergewaltigung und Sexarbeit.

Ihr Buch »King-Kong-Theorie« ist sehr biographisch und gleichzeitig an politische Debatten um Pornographie, Sexarbeit, Vergewaltigung und proletarische Weiblichkeit adressiert. Was hat Sie dazu gebracht, das Buch zu schreiben?

Letztlich geht das auf »Baise-moi« zurück. Den Film haben wir ohne jedes intellektuelle Konzept gemacht. Doch die Fragen, mit denen wir damals konfrontiert wurden, brachten mich dazu, ein Buch zu schreiben. Dann wurde auch noch Elisabeth Badinters Feminismus-Reflexion »Fausse Route« 2003 in Frankreich veröffentlicht, worin viele dieser Fragen auf anachronistische Weise behandelt werden. Die meisten Texte des Pro-Sex-Feminismus sind nie ins Französische übersetzt worden. Aus dem einseitigen Blick auf den amerikanischen Feminismus durch die Rezeption Badinters ergab sich das unter französischen Intellektuellen gerne zelebrierte Vorurteil, dass alle amerikanischen Feministinnen bescheuert seien. Diese Überzeugung war für mich eine Motivation, einen Essay zum Feminismus zu schreiben.

Die »King-Kong-Theorie« geht über akademische Debatten hinaus. Dabei ist die Sprache sehr direkt, was für feministische Debatten eher unüblich ist.

Als ich das Buch schrieb, lebte ich in einem Haus­halt mit einem 13jährigen Mädchen. Wir schauten Fernsehen und hörten viel Musik, und mir fiel auf, dass niemand mit Teenager-Mädchen über Feminismus spricht. Ich weiß, dass viele meiner Leserinnen Jugendliche sind, deswegen wollte ich eine Form entwickeln, die sie direkt anspricht. Hinzu kommt, dass ich es nicht gewöhnt bin, Begriffe und Konzepte zu produzieren. Ich brauche narrative Ideen, aus denen ich etwas entwickeln kann, also wählte ich Geschichten aus meinem eigenen Leben. Es ist nicht so, dass ich dieses Vorgehen besonders genieße. Es ist eine Entblößung, die auch bedrohlich sein kann. Doch es ist der für mich angemessenste Weg.

Sie betonen in Ihrem Buch, dass es nicht immer die schlechteste Option sein muss, ein Sexsymbol zu sein.

Ich habe Pornostars immer geliebt. In der europäischen Kultur wird von Porno-Darstellerinnen nach wie vor verlangt, Opfer zu bringen. Sie müs­sen für das Tabu, das sie überschreiten, bezahlen, ihren Schmerz eingestehen und die Bürde ihrer Sünden tragen. Der Job an sich muss aber nicht schmerzhaft oder traurig sein. Doch für die bürgerliche Gesellschaft ist klar, dass jemand, der pornographisch gearbeitet hat, traumatisiert sein muss. Normalerweise arbeitet eine Porno-Darstellerin vier bis fünf Jahre, und meistens beginnt sie damit in sehr jungem Alter. Sie hat weder die Zeit noch die Erfahrung, sich um bessere Bezahlung und berufliche Rechte zu kümmern. Daraus entwickelt sich ein Teufelskreis. Darstellerinnen verlassen das Business früh, werden von allen gefragt, ob sie es bereuen, und werden nicht in Frieden gelassen, bis sie gestehen.

In Deutschland hat die konservative Feministin Alice Schwarzer eine neue PorNO-Kampagne lanciert. Die Veröffentlichung von »King-Kong-Theorie« in Deutschland könnte viele blinde Flecken dieses Diskurses benennen. Wie ist das Buch in Frankreich aufgenommen worden?

Die Franzosen sind es nicht gewohnt, über Themen wie Sexarbeit, Pornographie oder Vergewaltigung zu diskutieren. Das Buch wurde wegen seines Stils gewürdigt, aber politisch wurde es kaum diskutiert. Anders als in Deutschland gibt es in Frankreich keine großen Kampagnen von Feministinnen gegen Pornographie. Zynischerweise gibt es in Frankreich überhaupt keine Kam­pagnen gegen irgendwas, die von Feministinnen organisiert werden. Da es nur einige Feministinnen gibt, die eine Anti-Porno-Position einnehmen, habe ich es leicht, eine Pro-Porno-Position zu beziehen.

Vom sexuellen Objekt zum sexuellen Subjekt zu werden, ist eine der wichtigsten roten Linien in Ihrem Werk. Wie bewerten Sie die Stärken und Grenzen Ihrer Ansicht, dass Sexualisierung nicht Machtlosigkeit bedeuten muss?

Als sexualisierte Frau den Schritt vom Objekt zum Subjekt zu machen, ist aufregend. Man beginnt, Männer wieder in ihren jungenhaften Zügen zu entdecken, wodurch sie weniger mächtig und komplex wirken. Sexuelles Subjekt zu sein, ist auch hilfreich, wenn man schnelles Geld verdienen will. Ich komme aus einem Milieu, in dem immer mit dem Körper gearbeitet wurde, um Geld zu verdienen. In diesem Zusammenhang war es mir lieber, gut bezahlt zu werden, anstatt Teil einer Firma zu sein, die mich besitzt. Doch ich habe längst damit aufgehört, endlos die feminine Performance devoter, sexy Weiblichkeit zu wiederholen. Diese Vorstellungen als phantastisch zu bezeichnen, ist absurd. Es gibt wesentlich einfachere und selbstbestimmtere Möglichkeiten, sein Geld zu verdienen. Alle spektakulären, weiblichen Outfits habe ich an dem Tag abgelegt, an dem ich meinen Lebensunterhalt als Autorin zu verdienen begann. Andere Menschen als die, die mir nahe stehen, sexuell zu stimulieren, bedeutet in einer maskulinen Gesellschaft nur Stress. Vieles von der angeblichen weiblichen Macht ist ein Fake. Die Macht liegt in den Händen der Männer. Sie beschweren sich, dass Frauen alles mit ihnen machen könnten. Doch letztlich wählen, entscheiden, benutzen und nehmen sie, was sie wollen. Sie sind die, die zahlen, und wer das Geld hat, hat die Macht.

Wie würden Sie die Rolle von Männern als Darsteller, aber auch als Konsumenten von Pornographie beschreiben?

Männliche Heterosexualität wird durch die Anti-Porno-Bewegung reguliert und aufrechterhalten. Wenn es gesellschaftlich möglich wäre, würde das homosexuelle Begehren der Männer und die Lust, sich als Frau zu identifizieren, viel schneller ausbrechen. Viele Männer wollen sich gerne in Schale schmeißen und sich wie Schlampen benehmen, um Sex mit anderen Männern zu haben. Genau davon handelt ja auch die Pornographie. Es ist die Frau, die im Mittelpunkt steht und als Identifikationsfigur dient. Realpolitisch sind Anti-Porno-Initiativen meistens pro-heterosexuelle Familienbewegungen. Porno bedroht die männliche Sexualität und die maskuline Tradition. Pornosüchtige Männer wollen in den Arsch gefickt werden, das ist ein absoluter Klassiker.

Man muss Porno nicht, wie einige Feministinnen, mit Vergewaltigung gleichsetzen. Aber können Demütigung und Sadismus einfach aus der Diskussion entfernt werden?

Zunächst hat Pornographie für mich wenig damit zu tun, dass Frauen zu Objekten gemacht werden. Pornographie produziert Göttinnen, keine armen Hausfrauen mit schwachem Selbstwertgefühl. Porno hat die stärksten weiblichen Charaktere in der Unterhaltungsindustrie geschaffen. Hollywood oder das europäische Kunstkino ist ja nun nicht gerade für starke, alternative Frauenfiguren bekannt. Porno produziert Frauen, die die Männer gerne wären. Porno ist als Genre dem Horrorfilm sehr nahe, in dem männliche Filmemacher die Frauen, die sie gerne wären, so sadistisch wie möglich ermorden lassen. Diese Filme drehen sich um die gleiche sublimierte Achse: »Wir wollen auch Frauen sein, uns wie Frauen verhalten und wie Frauen genommen werden. Doch das ist verboten. Wir werden verrückt durch die Unterdrückung unserer größten Begehren.« Vergewaltigung ist eine vollkommen andere Geschichte. In Kriegszeiten ist sie quasi legal, in Friedenszeiten wird sie zu einer Waffe des Bürgerkriegs. Vergewaltigten Frauen droht der symbolische Tod, während die Männlichkeit in ihrer Funktion als mächtige und tödliche Waffe bestätigt wird.

In Ihrem Buch plädieren Sie für eine feministische Befreiung, die die Befreiung der Männer einschließt.

Bis heute gibt es von Männern kaum Kritik an Männlichkeit. Es sieht so aus, als wäre das Gefängnis der Männlichkeit außerordentlich stabil gebaut. Männlichkeit ist ein stabiler Fake an Übermacht. Sie beginnt mit einer stark regulierten und kontrollierten Amputation der Gefühle und der Sinnlichkeit, verbindet sich mit hohen Anforderungen an eine souveräne Körperlichkeit, Sexualität und Lebensform. Immer noch sind es in erster Linie Männer, die die Ordnung des Staats, des Alltags und der Armee organisieren. Aus einer weiblichen Perspektive wirkt es, als hätten sie deutlich mehr Angst, ihre Rollen infrage zu stellen. Als Frauen kennen wir das Gefühl, Außenseiter zu sein. Wir sind Scham und Ablehnung gewohnt. Als Mann scheint man noch mehr Nerven zu brauchen, um sich gegen den Strom zu stellen. Ich komme aus einem heterosexuellen Umfeld. Ich bin Männern zu nah, um sie zu hassen. Ich bin neben ihnen aufgewachsen und weiß, wie schwierig es für sie ist, auf eigenen Füßen zu stehen. Und ich weiß, wie kontrolliert sie seit ihrer Jugend sind.