28.02.2008

For your pleasure

Kann es so etwas wie einen herrschafts- und hierarchiefreien Porno geben? Filme wie »The Raspberry Reich« und »Shortbus« deuten eine solche Möglichkeit an, sind aber selbst keine Pornos im herkömmlichen Sinne, sondern Spielfilme mit illustrativ eingestreuten Porno-Elementen. Martin Büsser wollte es wissen und ist mit einem Stapel Pornos in Klausur gegangen. Seine Sichtung von Schwulen-, Bi- und Heteroproduktionen lässt zumindest eine Schlussfolgerung zu: Das viel beschworene »Alles ist möglich« kommt im Porno nur selten ohne identitäre Zuschreibungen aus.

»Wer schwule Pornographie kennt (…), dem offenbart heterosexuelle Pornographie auf den ersten Blick die Angst und das Minderwertigkeitsgefühl, das ›normale‹ Männer vor Frauen empfinden: Kaum je inszeniert sie Lust oder Freude am Körper, fast immer Macht; nicht die Maximierung des Vergnügens in gleichberechtigten und austauschbaren Rollen, sondern fast immer, ob krass oder subtil, Erniedrigung – meist der Frau durch den Mann, manchmal auch umgekehrt.«

Joachim Helfer in »Die Verschwulung der Welt«

»Wer heute linksradikal ist, kann eigentlich nicht anti-queer sein. Anders ausgedrückt, wer sich als anti-essentialistische(r) Linksradikale(r) versteht, muss eigentlich zwangsläufig ein positives Interesse an queeren Theorie- und Lebenspraktiken aufbringen. Zwar ist eine Kritik von queer theory vonnöten, insbesondere insoweit sie lediglich dazu verwendet wird, Uni-Seminare der Institute für Geschlechterforschung inhaltlich zu bestücken. Dort lässt sich mittlerweile häufig feststellen, dass theoretisch versierte Studentinnen und Studenten so viel über die Entstehung von Geschlechteridentitäten wissen, dass sie sich mit der Feststellung, ›Geschlechter gäbe es doch gar nicht‹, über die Auseinandersetzung mit real existierender geschlechtlicher Herrschaft längst hinaus wähnen.«

Phase 2, Berlin (in: Phase 2 # 13: »Mehr Geschlecht als recht«)

Ein Junge mit Baseballkappe schlendert durch kalifornische Suburbs auf der Suche nach einem Job. Er bleibt vor einem Aushang stehen, derweil zoomt die Kamera auf seinen Rucksack. In einer Großaufnahme ist darauf zu lesen: »When I die bury my face down so the whole world can kiss my ass«. Diese Szene stammt nicht aus einem neuen Slacker-Film von Gus van Sant oder Larry Clark, sondern aus dem Schwulenporno »Every Poolboy’s Dream«. Bei dem jungen Schauspieler – oder solle man besser sagen: Akteur? – handelt es sich um Brent Corrigan, den Shooting Star der Produktionsfirma Cobra Video. Der Spruch auf dem Rucksack bekommt im Laufe des Films eine humoristische Komponente, da gleich mehrere Jungs scharf darauf sind, Brents Arsch – bereits zu Lebzeiten – zu küssen und zu lecken. In erster Linie signalisiert der Kamerazoom jedoch jenseits jeglicher sexueller Komponente, dass wir es hier mit einem Outlaw zu tun haben, mit jemandem, dem die Mainstream-Gesellschaft im wortwörtlichen Sinne am Arsch vorbeigeht. Eine solche Rahmung wird man im Heteroporno nur schwerlich finden, denn dort soll dem männlichen Betrachter das Gefühl vermittelt werden, sich in einer unantastbaren Machtposition zu befinden – die Macht über die Frauen schließt Teilhabe an der Mainstream-Gesellschaft mit ein. Outlaws sind im Patriarchat nicht vorgesehen.

Der Spruch auf dem Rucksack mag auf den ersten Blick nur eine Fußnote darstellen; zudem eine Fußnote, die von den meisten Betrachtern übersehen wird, denn Porno-User spulen bei Nicht-Hardcore-Szenen, die lediglich dem Übergang von einem Sex-Setting zum nächsten dienen, gerne vor oder verwenden das Kapitel-Menü der DVD, das sie direkt zu den Hardcore-Szenen führt. Durch den Kamerazoom wird der Spruch jedoch nicht bloß als Fußnote behandelt, sondern im Sinne eines Mottos betont, welches den ganzen Film rahmt: Die im Folgenden vollzogenen sexuellen Handlungen, signalisiert er, finden zwischen Außenseitern statt, die diese Außenseiterposition bewusst eingenommen haben. Der Betrachter wird darauf hingewiesen, dass die Lust als Lust am Anderen empfunden werden soll, wobei das Andere nicht einfach nur Homosexualität meint, sondern eine damit verbundene Ablehnung gesellschaftlicher Machtverhältnisse – »the whole world can kiss my ass«. Trotz dieser Outlaw-Attitüde spielen die weiteren Szenen von »Every Poolboy’s Dream« nicht auf fleckigen Matratzen in mit Graffiti besprühten Zimmern, sondern in luxuriösen, mit Swimming Pool ausgestatteten Vorstadtvillen. Ähnlich wie in HipHop-Videos wird demons­triert, dass Außenseitertum und Luxus einander nicht ausschließen müssen. Der Slacker genießt seine Privilegien und denkt gar nicht an Verzicht. (1)

Szenenwechsel. Wir befinden uns in einem karg eingerichteten Studio. Kein nennenswertes Accessoire, das vom Fokus auf Hardcore-Sex ablenkt. »Mund auf!« ruft eine Darstellerin der anderen mehrfach im Befehlston zu. Diejenige, die ihren Mund öffnen soll, wird gerade von einem Mann penetriert, während fünf oder sechs andere männliche Akteure hintereinander in ihr Gesicht ejakulieren, das unter der milchigen Flüssigkeit kaum mehr als solches zu erkennen ist. Schließlich folgt sie dem Befehl, die andere Darstellerin spuckt ihr eine gehörige Mischung aus Speichel und Sperma in den Mund, das erniedrigende Ritual der Entindividualisierung ist vollendet.

Die Szene stammt aus dem Heteroporno »­Durch­ge­fickt & Voll­ge­wixt«, einer unter inzwischen mehreren hundert schnell produzierten Gonzo-Pornos der in München ansässigen Firma John Thompson Productions. »Gonzo« hat sich inzwischen als Subgenre-Bezeichnung für (meist besonders harte) Pornos etabliert, die ausschließlich aus Sexszenen bestehen und besondere Authentizität suggerieren. Männliche und weibliche Darsteller sind Amateure, die den Eindruck der »Leute von nebenan« vermitteln; männliche Konsumenten werden auf den DVDs dazu aufgerufen, sich bei der Produktionsfirma zu melden, wenn sie selbst einmal in einem dieser Filme mitspielen wollen. Die zahlreich in diesen Filmen auftretenden männlichen Akteure erhalten im Gegensatz zu den Darstellerinnen kein Honorar; sie sind maskiert oder tragen Sonnenbrillen, so dass ihre Gesichter nicht zu erkennen sind. Anders als im Fall der Akteurinnen bleibt ihre Anonymität weitestgehend gewahrt. Die Maskierung hat allerdings noch einen anderen Zweck: Sie suggeriert eine Massenvergewaltigung. Der Fokus dieser Filme liegt auf der Erniedrigung, die in der »Gesichtsbesamung« der Frau – auch »Bukkake« genannt – mündet, deren Gesichtszüge durch die Besamung grotesk entstellt oder unkenntlich gemacht werden. Eine symbolische Auslöschung.

Filme aus der Gonzo-Reihe Sexbox, die laut Werbung auch noch die »perversesten John-Thompson-Produktionen« übertreffen wollen, warnen daher: »Ein Film für Männer – ein Albtraum für Frauen!« Vergewaltigungsfantasien werden nicht kaschiert, sondern dienen als Kaufanreiz: »Perverse Sexgangster – Frauen, die wie Vieh in Käfigen gehalten werden«, oder »Weiber brauchen Schläge, fette Schwänze und natürlich vollgepisste Titten«, preist die Sexbox-Reihe ihre Produktionen an. »Wir fragen uns nur, wie lange es noch dauert, bis der Staatsanwalt dem wahnsinnigen Treiben ein Ende setzt«, kommentiert die Redaktion von hc-medien.com einen Porno aus dieser Reihe, was natürlich ebenfalls unter Reklame zu verbuchen ist, heißt es doch nur wenige Zeilen später: »Mit herkömmlichem HC hat das nichts mehr zu tun. Und dennoch: irgendwie fesselnd … «.

Dass die Extrem-Pornos von John Thompson Productions, Sexbox oder Inflagranti auch als »Independent Pornos« bezeichnet werden, mag diejenigen verwundern, die den Begriff »Independent« bislang vorwiegend aus dem Bereich der Musik kannten und mit ihm eine positive Anti-Mainstream-Haltung verbinden. Doch in gewisser Hinsicht positionieren sich solche Formen des Indie-Pornos ebenfalls außerhalb des Mainstreams, zumindest markieren sie eine Grenze der Legitimität, die mit den männlichen Sexualfantasien im Hardcore-Rap vergleichbar ist: Sie bilden den gesellschaftlichen Mainstream patriarchaler Machtansprüche in einer Drastik ab, die der öffentliche Diskurs als nicht legitim empfindet, weil hier nichts kaschiert wird. Die männlichen Vergewaltigungsfantasien werden »rein« ausgelebt und befriedigt, was auf ästhetischer Ebene dem Versprechen von »Reinheit« oder »Echtheit« ähnelt, das Indie in der Musik wird gegenüber den als »artifiziell« resp. »unehrlich« verschmähten Major-Produktionen beansprucht. Indie behauptet in der Musik eben jene nachbarschaftliche Nähe und Authentizität, die auch der Gonzo-Porno inszeniert – mit dem Unterschied, dass dies im musikalischen Kontext aus einer eher linken Perspektive als besonders menschlich, kommunikativ oder unverstellt empfunden wird, während das vermeintlich Unverstellte im Gonzo-Porno lediglich darin besteht, die dem Patriarchat zugrunde liegende Erniedrigungskonstellation offen darzustellen. Natürlich besitzt dies nichts Aufklärerisches, nicht einmal etwas Entlarvendes, sondern stellt nur die Zuspitzung jener Rollenmuster dar, die auch im Mainstream-Hetero­porno vorherrschen. Die Indie-Produktionen folgen damit der kapitalistischen Überbietungslogik, die auch für die Indie-Mainstream-Konstellation in der Musik gilt: Das als zu extrem Empfundene bleibt den Indies überlassen, weicht aber als Extrem nicht notwendig von vor­herrschenden Ideologien ab. »Indie-Unschuld« ist ein Mythos.

Wie aber verhält es sich mit dem Schwulenporno? »Schwule Pornos sind Filme von Fans für Fans«, schreibt Anna Voswinckel. »Man könnte sie daher in Anlehnung an Fanzines ›Fanporn‹ nennen. Gay Porn ist ein selbstverständlicher Bestandteil der Community.« (2) Ist der Schwulenporno als Produktion für eine Minderheit also nicht schon per se immer »Indie«? – Wenn für Indie allerdings das oben angesprochene Versprechen von Authentizität, Echtheit und Unverstelltheit charakteristisch ist, dann muss mit einem eindeutigen »Jein« geantwortet werden. Der Schwulenporno kennt keine eindeutig festgelegten Machtpositionen, diese sind vielmehr spielerisch variabel. Insofern spielt das Artifizielle und Inszenierte, das gemeinhin eher für Major- als für Indie-Produktionen charakteristisch ist, eine entscheidende Rolle. Auf der anderen Seite sind Schwulenpornos dann aber doch meist authentischer inszeniert als Heteropornos, kommen »echtem« sexuellen Agieren jenseits des Bildschirms näher: So lange Kusseinstellungen wie in Schwulenpornos wird man auf dem Hetero-Markt kaum finden. »Authentischer« Austausch von Zärtlichkeit und offenkundige Inszenierung schließen sich hier nicht aus, vielmehr zieht der Schwulenporno seine subversive Note gerade aus dem Zusammenspiel von Authentizitätsversprechen und inszenatorischen Rahmungen, die entweder einen für gewöhnlich heterosexuellen Kontext »verschwulen« oder latent homoerotische Stoffe vereindeutigen. Letztgenanntes gilt zum Beispiel für den Film »Kleine Strolche« aus der Reihe »Action Boys«, der an Charles Dickens’ Roman »Oliver Twist« angelehnt ist. In »Kleine Strolche« tritt ein ominöser Mister Dickens auf, der im London des 19. Jahrhunderts Jungs von der Straße holt, sie bei sich aufnimmt, zu Taschendieben ausbildet und sich zugleich sexuell mit ihnen vergnügt. Ein wichtiges Arbeitsfeld der Queer Studies besteht darin, Stoffe der Weltliteratur auf ihren queeren Subtext hin zu lesen; nichts anderes haben die Produzenten von »Kleine Strolche« auf dreiste Weise mit »Oliver Twist« getan.

Die offene Verschwulung von latent homo­erotischen Stoffen, Konstellationen und Milieus kennt keine Grenzen: Märchen aus 1001 Nacht, Klassenfahrt, Skiurlaub, Camping, Internat, Biker, Skater, Surfer, Fitness-Studio, Gefängnis, Militär … und natürlich auch Skinheads. (3) Im Gegensatz zu den Settings im Heteroporno (besonders beliebt: Krankenhaus und Krankenschwestern) genügt es im Schwulenporno nicht, allseits vorhandene Männerfantasien einfach nur zuzuspitzen, sondern er muss immer erst einmal alles Vorgefundene umcodieren und von der Heteronormativität befreien, die stets vorausgesetzt wird. Dieser Akt der Selbstaneignung ist von entscheidender Bedeutung, denn nur selten spielen Schwulenpornos an klassischen schwulen Orten (Toiletten, Parks), viel beliebter sind homoerotisch aufgeladene Räume wie Militärkasernen, Klöster oder Schiffskajüten (für all das, was Foucault als Beispiel für »andere Räume« aufgeführt hat, dürfte sich ein Beispiel im gay porn finden), wo die Überschreitung zum real vollzogenen Sex noch immer ein gesellschaftliches Tabu darstellt.

Natürlich sind auch Schwulenpornos nicht immer frei von Macht-, Gewalt- oder Erniedrigungsfantasien. Entscheidend sind aber auch hier die Rahmung und der ausgewiesen inszenatorische Charakter. In einer Episode des Films »Bareback Road Trip« der Produktionsfirma Punkz Productions halten zwei »Polizisten« einen Mopedfahrer an, der sich nicht ausweisen kann. Sie nehmen ihn mit aufs Präsidium und vergewaltigen ihn im Duo. Während sich der eine »Polizist« einen blasen lässt, führt der andere dem Jungen erst einmal anal einen Gummiknüppel ein. Der Betrachter dieser Episode weiß, dass es sich nicht um zwei richtige Polizisten handelt, sondern um ein Spiel, das auf reale Polizeigewalt verweist: Die Filmepisode reinszeniert auf lustvolle Weise ein in der Realität meist auf Homophobie aufbauendes Gewaltszenario (Vergewaltigung durch Polizisten oder Gefängniswärter, die vorgeben, damit ihre Verachtung gegenüber Schwulen zum Ausdruck zu bringen). Der »vergewaltigte« Junge lacht am Ende der Episode und gibt sich damit als Spielteilnehmer zu erkennen. Dieses Lachen ist deshalb nicht der Gefahr ausgesetzt, Vergewaltigung unter dem Vorwand zu legitimieren, dass das Opfer diese ja »selbst gewollt« habe, da die gesamte Episode von Anfang an als fiktionale Inszenierung ausgewiesen ist. Schwule Traumata werden darin verarbeitet, Angst wird über ein ritualisiertes SM-Spiel abgebaut. Heterosexuelle Gang-Bang-Episoden sind dagegen für weibliche Betrachterinnen ungeeignet, um Ängste zu verarbeiten, da ihre Perspektive in ihnen gar nicht vorkommt. Anna Voswinckel sieht die Frau darin als sprachlos und gefügig gemachte Sexarbeiterin: »Anpassung, permanente Überwachung, Verlust von Solidarität, fortwährendes ›Arbeiten‹ an sich, Angst vor ›feindlichen Übernahmen‹, alles brav ›schlucken‹ müssen.« (4)

Am Ende einer Episode von »Arrowhead«, einer teuren, fast durchweg unter freiem Himmel gedrehten Heteroporno-Produktion des Konzerns Private, zeigt die Kamera aus der Froschperspektive einen muskulösen Mann. Wie eine Eiche ragt er in den Himmel, ein strotzendes Beispiel für Gesundheit und Kraft. Vier Frauen knien um ihn auf dem Boden, lechzen danach, dass der Mann ihnen ins Gesicht ejakuliert. Peinlich genau achtet der Koloss darauf, dass jede einzelne der Frauen ein paar Tropfen abbekommt. Der facial cumshot ist hier in fast biblischer Symbolsprache als »Samenspende« inszeniert worden. Alle Macht und aller Segen geht vom Mann aus! Ein beinahe rührendes Beispiel dafür, dass selbst dieses fast immer auf Machtkonstellationen zielende Finale ein Spiel von Geben und Nehmen sein kann, findet sich dagegen im eingangs erwähnten »Every Poolboy’s Dream«: Nachdem ein Junge im Gesicht des anderen gekommen ist, beugt er sich über ihn und leckt ihn wieder sauber.

Es ist nicht wirklich legitim, hier anhand von etwa einem Dutzend Filmbeispielen über »den« Schwulen- und »den« Heteroporno zu urteilen und verallgemeinernde Schlüsse zu ziehen. Ein solcher Text kann keinen Anspruch auf empirische Unterfütterung haben; zu jedem Beispiel ließen sich zahllose Gegenbeispiele finden. Ein solcher Text kann lediglich Tendenzen beschreiben. Die Unkenntnis von Ausnahmen immer eingestanden und mitbedacht, lässt sich als Tendenz dennoch – zumindest vorsichtig – behaupten, dass der Schwulenporno durch seinen Verzicht auf klassische Machtverteilung weniger auf Erniedrigung, Angst, Überwältigung, Hierarchisierung und Besitzanspruch ausgerichtet ist und eher ein freies Spiel mehrschichtigen, nicht festgelegten Begehrens zum Ausdruck bringen kann. Doch das löst nicht das Problem, dass Frauen sich bzw. ihr Begehren in Pornos kaum wiederfinden. Im Heteroporno meist auf die willig Schluckende herabgestutzt, im Schwulenporno gar nicht vorkommend, in den lesbischen, für ein heterosexuell männliches Publikum gedrehten Szenen falsch repräsentiert, bleibt der Pornofilm vorwiegend ein für Männer geschaffenes Phänomen. (5) Die gängige These, dass es keinen Markt für »Frauenpornos« gäbe, ist grotesk angesichts der Anzahl an potenziellen Käuferinnen – im Vergleich mit dem riesigen Angebot an Schwulenpornos bei einem wesentlich geringerem Kreis an Interessenten. Dieses Zerrbild von Angebot und Nachfrage suggeriert, dass nahezu jeder Schwule Pornos konsumiert, sich aber so gut wie keine Frau finden würde, die an einem ihr Begehren befriedigenden Porno interessiert wäre. Möglicherweise drückt sich bereits in dieser Hypothese, es gäbe keinen Markt, die Angst der patriarchalen Gesellschaft vor einer selbstbestimmten, selbst gewählten weiblichen Pornographie aus – während der Schwule als »verloren« gilt und insofern akzeptiert wird, da er außerhalb des Machtgefüges der Geschlechter steht, scheint die Vorstellung eines Heteropornos, in dem sowohl Frauen wie Männer anders agieren, in der gesellschaftlichen Vorstellungskraft irgendwo zwischen utopisch, unvorstellbar und furchterregend zu rangieren.

In seinem Beitrag zur »Porno«-Ausgabe von Texte zur Kunst weist Diedrich Diederichsen die These zurück, »der neue Hetero-Porn hätte endlich die Qualitäten des Queer Porn, der schwulen und lesbischen Pornographie, erreicht« und schränkt ein: »Dabei hat er eben eine entscheidende Qualität davon nur sehr selten aufgenommen: dass der Sinn von Erzählungen rund um und über sexuelle Überwältigung nie sein kann, diese in einen Entwurf der Selbstwerdung einzutragen, sondern vom Fremdwerden, Anderswerden handeln muss.« Zu bedenken sei, »dass die Skripthaftigkeit von Sexualität zwar jederzeit dazu einlädt, Skripte zu ändern, zu verwerfen oder zu verbessern, aber nicht glauben machen darf, dieses Skript sei eine adäquate Erzählung von Personen in der Welt«. (6) Diederichsen greift damit einen Gedankengang Foucaults auf, der für die Queer Studies von zentraler Bedeutung ist. »Schwul sein heißt im Werden sein«, äußerte sich Foucault in einem Gespräch 1982. »Und um auf Ihre Frage zurückzukommen, möchte ich hinzufügen, dass man nicht homosexuell sein muss, sondern dass man darauf hinarbeiten muss, schwul zu sein.« (7) Das Entscheidende an Foucualts Äußerung ist die Betonung der Beweglichkeit, die ein ständiges Fortstreben von der Heteronormativität bedeutet, ohne dabei ihrerseits ein identitäres Muster anzunehmen. »Man kann ja nie in einer festen Position verharren«, so Foucault zur Frage nach der sexuellen Selbstpositionierung, »und muss je nach Umständen neu bestimmen, welchen Gebrauch man von einer solchen Entscheidung machen will.« (8)

Diesbezüglich müsste die Frage gestellt werden, ob es überhaupt schon so etwas wie queere Pornographie gibt, die das permanente Werden als Akt der Identitätsverweigerung kenntlich macht. Queer steht nun einmal nicht einfach für »schwul«, ist kein begriffliches Update von »gay« und auch keine bloße Erweiterung, welche Schwule und Lesben gleichermaßen umfasst, sondern stellt als Verunsicherungstaktik jegliche identitäre Selbst- und Fremdzuschreibung in Frage. Queer beinhaltet damit schwule, lesbische, bisexuelle, transsexuelle wie auch in letzter Konsequenz heterosexuelle Strategien, sofern deren Umgang mit Sexualität gegen Heteronormativität gerichtet ist. Lediglich Denkfaulheit oder falsch verstandene Hipness hat dazu geführt, dass sich queer in unserem Sprachgebrauch als Synonym für »schwul/lesbisch« durchgesetzt hat; was einst »gay cinema« hieß, heißt heute zum Beispiel »queer cinema«, meint aber in der Regel nichts anderes als »gay cinema«. Queeres Denken zielt dagegen, wie es Andreas Kraß in seiner Einführung zum Reader »Queer denken« formuliert, »auf die Denaturalisierung normativer Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit, die Entkopplung der Kategorien des Geschlechts und der Sexualität, die Destabilisierung des Binarismus von Hetero- und Homosexualität sowie die Anerkennung eines sexuellen Pluralismus (…).« (9)

Finden sich Ansätze eines queeren Denkens im bisexuellen Porno verwirklicht? – Nicht wirklich. Der Bi-Porno (schon der Begriff »Bi« dient einer weiteren Festschreibung) folgt einem meist festgelegten Muster: Mehrere Männer haben Sex mit einer Frau, aber auch untereinander – beides oft gleichzeitig. Nur selten kommt es zur Umkehrung, der Penetration eines Mannes durch eine Frau mit umgeschnalltem Dildo. Ein Beispiel: Der Film »Bi & Large« der Produktionsfirma Load richtet sich eindeutig an ein bisexuelles männliches Publikum. Auch hier steht das männliche Begehren im Mittelpunkt, ist lediglich auf beide Geschlechter ausgeweitet. Immerhin wird in diesem Film völlig auf den facial cumshot verzichtet. Es fehlt zudem an jeglicher verbalen Erniedrigung. Auffällig an dieser wie auch an anderen Bi-Produktionen ist weiterhin, dass es sich sowohl bei den Männern wie auch bei den Frauen um – gängigen Schönheitsvorstellungen entsprechend – gutaussehende Akteure handelt. Regelrecht progressiv ist in »Bi & Large« allerdings nur eine Szene, nach der man in einer Hetero-Produktion wohl vergeblich suchen wird: Die Angst des Mannes vor der verfrühten Ejakulation – das, was gemeinhin als ›Versagen‹ gilt – wird in beiderseitigem Wohlgefallen aufgelöst. Nachdem der Mann bereits beim Oralverkehr gekommen ist, nimmt er die Frau in die Arme und entschuldigt sich: »Tut mir echt leid, aber du hast mich so was von geil gemacht. Böse?« – »Red doch keinen Unsinn«, entgegnet sie lachend. Hier wächst der Porno über sich und seine eigenen Gesetzmäßigkeiten hinaus, bricht mit dem Stereotyp von der stets funktionierenden Fickmaschine und stellt sogar die Vorstellung von der Ejakulation als einzigem oder eigentlichem Höhepunkt in Frage. In solch seltenen Porno-Momenten schimmert zumindest etwas von der queeren Idee einer »Denaturalisierung normativer Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit« durch. Und doch sind solche Ansätze noch weit entfernt von der queeren Forderung, die klassischen, Mann und Frau definierenden erogenen Zonen zu deterritorialisieren und sich von den Reproduktionsorganen zu neuen Orten und Vorstellungen der Lust fortzubewegen.

In der Einleitung zu ihrer Studie »Der Wille zur Lust. Pornographie und das moderne Subjekt« nennt Svenja Flaßpöhler eine Menge beeindruckender Zahlen. Dem Marktforschungsinstitut Datamonitor zufolge sind im Jahr 2003 mehr als »70 Prozent des gesamten Online-Umsatzes in Europa und den USA […] mit Online-Pornographie gemacht« worden. (10) Alleine im kalifornischen San Fernando Valley drehen 300 bis 400 Produktionsfirmen »mehr als 10 000 Pornofilme pro Jahr«. (11) Vor dem Hintergrund dieser Zahlen verwundert es nicht, wenn Peter Lehmann die Notwendigkeit für sein Seminar »Sexuality in the Media« an der Arizona State University mit den Worten begründet: »Pornography, regardless of what people think of it, is an important part of the artistic media, film, video and the internet. It’s omnipresent.« (12) Diese Omnipräsenz der Pornographie macht »Porn Studies« als wissenschaftliches Feld der Aufarbeitung, empirischen Sichtung und daraufhin folgenden gesellschaftspolitischen Analyse notwendig. Kritische Porno-Analyse ist immer auch kritische Macht- und Gesellschaftsanalyse. Selbstverständlich erweist sich Porno dabei in der Regel als verlängerter Arm jener sozialen Ordnung, die nach Pierre Bourdieu »funktioniert wie eine gigantische symbolische Maschine zur Ratifizierung der männlichen Herrschaft, auf der sie gründet«. (13) Diese Erkenntnis gilt jedoch nicht nur für den Porno; die gesamte Massen- und Popkultur ist einer auf männlicher Herrschaft aufgebauten Ordnung unterworfen. Heißt das, dass wir sie komplett und konsequent ablehnen müssen? Fordert das nicht vielmehr heraus, ständig nach Ausnahmen und Regelabweichungen zu suchen oder diese zumindest zu fordern? Die »PorNo«-Kampangne der achtziger Jahre diente letztlich nur dazu, die Pornoindustrie sich selbst zu überlassen; ein kritisches, feministisches und/oder queeres Gegenlesen der Porno-Produktionen ist durch ein solches Totalverdikt verhindert worden. Es gibt aber auch ein feministisches und queeres Recht auf Porno. Mit ihm verbunden sollte die Hoffnung auf einen auf normative Konzepte und Machtkonstruktionen verzichtenden Porno nicht aufgegeben werden.

Wie ein solch feministischer und/oder queerer Porno aussehen könnte, müsste in einem eigenen Aufsatz erörtert werden. So viel steht allerdings fest: Zaghafte Ansätze hierzu finden sich bislang fast ausschließlich im nicht (rein) heterosexuellen Porno, wobei jedoch immer noch jegliche Form von Porno aufs Geschlecht fixiert und damit starr an Zielgruppen orientiert nichts weiter kennt als die Unterteilung in »hetero«, »schwul/lesbisch« oder »bi« (14). Zwischenstufen, fließende Übergänge, Brüche oder gar die Entfernung vom Fokus auf primäre Geschlechtsorgane (mit Ausnahme der Analpenetration) sind hier weitgehend fremd. Offene Sexualitätskonzepte und der spielerische Umgang mit dem Nicht-Determinierten finden sich bislang ausschließlich in Spielfilmen, die unter anderem pornographische Elemente enthalten, aber keine Pornos sind. Zum Beispiel in »My Father Is Coming« (Monika Treut, 1991) – hier bekommt die junge deutsche, in New Yorker Boheme-Kreisen lebende Protagonistin Vicky (Shelley Kästner) überraschend Besuch von ihrem Vater Hans (Alfred Edel), der im Laufe des Films in die verschiedensten sexuellen Praktiken eingeweiht wird und sich vom bayerischen Spießer zu einem sexuell aufgeschlossenen Bonvivant wandelt – oder im vieldiskutierten »Shortbus« (John Cameron Mitchell, 2006). Der Versuch, über den gleichnamigen New Yorker Club »Shortbus« ein sexuelles Experimentierfeld zu imaginieren, in dem mit tradierten Geschlechterrollen gebrochen wird, scheitert jedoch an der narrativen Struktur des Films selbst: Letztlich werden hier doch wieder nur Menschen auf der Suche nach ihrer sexuellen Identität gezeigt (die Frau, die keinen Orgasmus bekommen kann; das schwule Pärchen, das ein wenig Spannung in die eigene Beziehung bringen möchte usw.), die diese mittels des sozial-sexuellen Experiments »Shortbus« am Ende finden bzw. re-installieren können. Bei allen gelungenen Momenten, die der Film auch besitzt, die zu nennen hier aber zu weit führen würde, scheitert der queere Ansatz von »Shortbus« daran, dass er letztlich all das ausleuchtet, was ihn vom reinen Porno unterscheidet: Er konstruiert Biographien, deutet so genannte Schicksale und Lebenskonzepte mitsamt Vorgeschichten an, die als Biographien wiederum in sexuelle Determination münden. Das im »Shortbus«-Club angedeutete Foucaultsche »Werden« gerinnt in biographisch fixiertes »So-Sein«.

Der reine Porno kennt hingegen keine Vor- und Nachgeschichte, zeigt wenig Interesse an Charakteren oder Individuen – genau diese Eigenschaft, die immer wieder als sein Mangel bezeichnet wird, als seine filmische Minderwertigkeit, könnte vor dem Hintergrund queerer Diskurse aber auch seine Chance sein: Porno muss – genauer gesagt: müsste – seine Akteure nicht festlegen und hat oder hätte damit die Möglichkeit zum freien sexuellen Experiment, das keiner gesellschaftlichen oder biographischen Begründung bedarf. Dieser mögliche Freiraum von Porno als Überwindung der klassischen Erzählung und des Zwangs zur Begründbarkeit von Lust könnte subversives Potenzial haben und somit weit über die bisherige, Normen stabilisierende Funktion von Porno hinausgehen. Ob eine solche Form von Porno jedoch viele Käuferinnen und Käufer fände, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Anmerkungen:

(1) Die Geschichte von Cobra Video macht allerdings deutlich, dass das Pornogeschäft alles andere als eine harmlose Spielwiese ist. Im Januar 2007 wurde Bryan Kocis, Geschäftsführer der Cobra-Studios, in seiner Wohnung in Pennsylvania tot aufgefunden. Man hatte ihn mit 28 Messerstichen niedergestreckt und das Haus in Brand gesetzt, um Beweismaterial zu vernichten. Im Mai wurden zwei Mitarbeiter eines konkurrierenden Studios festgenommen, die versucht hatten, Cobra den Pornostar Brent Corrigan abzuwerben, und in diesem Zusammenhang auch Morddrohungen aussprachen. Wegen Corrigan hatte Cobra Video 2005 Ärger mit der Justiz bekommen, da der Pornodarsteller seine Karriere mit gefälschter Geburtsurkunde begonnen hatte: Bei den Aufnahmen zu den vor 2004 entstandenen Cobra-Filmen war Corrigan noch nicht volljährig, die Filme wurden nachträglich vom Markt genommen. Corrigan hat inzwischen seine eigene Produktionsfirma gegründet und eine eigene Website unter www.brentcorriganonline.com eingerichtet.

(2) Anna Voswinckel: »Wurstfilme«. In »Elend & Vergeltung« # 2, 2007

(3) Hervorzuheben sind die schwulen Skinhead-Filme von Bruce LaBruce, zum Beispiel »No Skin Off My Ass«. Dabei handelt es sich jedoch nicht, wie manchmal fälschlicherweise im Zusammenhang mit Bruce LaBruce behauptet wird, um Schwulenpornos im herkömmlichen Sinne, sondern um Kunstfilme, in denen Trash- und Camp-Elemente mit dem aufklärerischen Gestus von Jean-Luc Godard verbunden werden.

(4) »Wurstfilme«, a.a.O.

(5) Einige Frauen greifen aus angegebenen Gründen dann doch lieber zum Schwulenporno, in dem sie wenigstens nicht erniedrigt werden. In »Wurstfilme« bekennt Anna Voswinckel: »Es gibt bei Gay-Porn eine eigene Masturbations-Abteilung. Eine ganze Reihe Filme zeigt ausschließlich (vor allem sehr junge) Männer beim Wichsen. Das finde ich auch nicht schlecht, vor allem wenn man sich einen Schönen raussuchen kann.«

(6) Diedrich Diederichsen: »Indie im Kampf um den Index. Über das Verhältnis von Pornografie und Popkultur.« In: »Texte zur Kunst« # 64, Dezember 2006, S. 46.

(7) Michel Foucault: »Von der Freundschaft«, Merve Verlag, o.J., S. 110

(8) »Von der Freundschaft«, a.a.O., S. 109

(9) Andreas Kraß (Hg.): Queer denken. Gegen die Ordnung der Sexualität (Queer Studies). Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2003, S. 18

(10) Svenja Flaßpöhler: Der Wille zur Lust. Pornographie und das moderne Subjekt. Campus Verlag, Frankfurt/M. 2007. S. 12

(11) Der Wille zu Lust, a.a.O., S. 13

(12) zit. N. Joe Jablonksi: Porn Studies Latest Academic Fad. www.academia.org/campus_reports/2001/oct_2001_4.html

(13) Pierre Bourdieu: Die männliche Herrschaft. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2005. S. 21

(14) Daran ändert auch das Nischen-Genre der Transsexuellen-Pornos nicht viel, die primär für ein »experimentierfreudiges«, heterosexuell orientiertes, männliches Publikum gedreht werden.

Vorabdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors aus: »Testcard« # 17: Sex. Ventil Verlag, Mainz 2008. 304 Seiten, 14,50 Euro. Die neue Ausgabe der Zeitschrift erscheint dieser Tage.