Kosmische Kräfte am Hinterteil

Was ist eigentlich der Biolandbau? Wo kommt er her? Rudolf Steiner, den Anhängern seiner Landwirtschaftslehre und den anderen Gründern des Biolandbaus ging es nicht um Umweltschutz oder Tierschutz. Vielmehr entwickelte Steiner skurrile Thesen darüber, dass im Mist die »Astralenergie« der Tiere walte und das »Triebleben« des »Negers« daher komme, dass dieser »in seinem Innern von der Sonne gekocht« werde. Führende Nationalsozialisten waren angetan von Steiners Agrarlehre und standen der Anthroposophie nahe. Von dirk maxeiner und michael miersch

Was tun, wenn Mäuse das reife Korn auffressen? Am besten, der Bauer zieht einer jungen Maus die Haut ab und verbrennt sie, wenn die Venus im Skorpion steht. Das winzige Häuflein Asche verstreut er über dem befallenen Feld. So entsteht »die negative Kraft gegenüber der Reproduktionskraft der Feldmaus«. Und schon machen sich die gefräßigen Nager aus dem Staub. Und noch ein Gebot für erfolgreichen Ackerbau: Um die Düngewirkung des Stallmistes zu erhöhen, empfiehlt es sich, Schafgarbe in die Harnblase eines Hirsches zu stopfen. Dann die gefüllte Blase in der Sonne trocknen und einen Winter lang in der Erde vergraben. Wieder ausbuddeln und in den Mist mischen – fertig.

Sie halten das für völlig verrückt und glauben nicht, dass es funktioniert? Wie wär’s mit diesem guten Rat: »Das Mondlicht entfaltet seine größte Wirkung, wenn es auf das Hinterteil eines Tieres scheint.« Sie denken, das ist Humbug? Haben Sie noch nie Lebensmittel von Demeter gekauft? Alle drei Rezepte gehören zum Glauben der Demeter-Bauern. Verkündet hat sie Rudolf Steiner, der Erfinder des biologisch-dynamischen Landbaus. Steiners Worte gelten bei seinen Anhängern bis heute als der Weisheit letzter Schluss. Wenn das Obskure allzu deutlich wird, flüchten sie sich in vage Formulierungen. »Die Anwendung von bio-dynamischen Präparaten mag naturwissenschaftlich unverständlich sein«, schreibt Urs Niggli vom Schweizer Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL), »zeigt aber in Langzeit­unter­suchungen gewisse Effekte.«

Für viele in der Demeter-Gemeinschaft ist der Biolandbau viel mehr als eine besondere Produktionsmethode, es ist eine Weltanschauung. Davon wissen die meisten Kunden allerdings nichts, wenn sie ein paar biologisch-dynamische Karotten kaufen. Rudolf Steiner ist einer der Fixsterne am Biohimmel. Deshalb sollte man sich seine Lehre ein wenig genauer anschauen, wenn man die Hintergründe der Biolandwirtschaft verstehen will. Doch zunächst einmal zum Grundsätzlichen. Was ist überhaupt gemeint, wenn von Bio die Rede ist?

In Deutschland und der Schweiz heißt es »Bio«, in Österreich »Öko«, Engländer und Ameri­kaner sprechen von »organic«. Gemeint ist stets das Gleiche: landwirtschaftliche Methoden, die auf Kunstdünger und synthetische Pflanzenschutzmittel verzichten. Biobauern greifen stattdessen auf eigene Praktiken zurück, um die Fruchtbarkeit des Bodens zu erhalten. Eine große Rolle spielt dabei die Düngung mit Stallmist und Kompost. Ebenso wie die moderne Landwirtschaft kommt diese Anbauform nicht ohne Gift aus. Gegen Schädlinge und Unkraut setzen die Biobauern allerdings nur solche biologischen, mineralischen oder metallischen Giftstoffe ein, die nicht im Che­mie­labor erzeugt wurden. Außerdem soll auf jedem Hof ein Kreislauf aus pflanzlicher und tierischer Produktion verwirklicht werden, der möglichst wenige Zugaben von außen benötigt.

Die Europäische Kommission definiert Bioan­bau folgendermaßen: »Er setzt vorzugsweise auf erneuerbare Ressourcen und Recyclingverfahren, bei denen dem Boden die Nährstoffe durch Aufbringen landwirtschaftlicher Abfälle wieder zugeführt werden. Die Tierhaltung ist

in besonderem Maße auf das Wohlergehen der Tiere und auf die Verwendung natürlicher Futtermittel ausgerichtet. Der ökologische Landbau nutzt die natürlichen Systeme der Schädlings- und der Seuchenbekämpfung und vermeidet den Einsatz von synthetischen Pestiziden, Herbiziden, chemischen Düngemitteln, Wachstumshormonen, Antibiotika und Gentechnik. Ökolandwirte verwenden stattdessen eine Reihe von Verfahren, die zur Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts beitragen und

die Umweltverschmutzung eindämmen.«

Die Biolandwirte teilen sich in zwei Hauptgruppen. Die einen berufen sich auf Rudolf Steiner, die anderen auf Hans Müller. Steiner entwickelte seine Thesen zur Landwirtschaft in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als Teil einer umfassenden Weltanschauung, der Anthroposophie. Anthroposophen glauben an Reinkarnation, verschiedene unsichtbare Geisterwesen und daran, dass die Menschheitsentwicklung von Planetenzeitaltern abhängt. Steiner hinterließ ein umfangreiches Schrifttum (360 Bände) und wird bis heute von vielen hunderttausend Jüngern in aller Welt verehrt.

Den mineralischen Dünger betrachtet Steiner als wertlos und glaubt, dass in Gründüngung und Mist kosmische Kräfte walten. Durch den Mist wirke obendrein die Seele der Tiere. In Steiners Schriften zur Landwirtschaft finden sich skurrile Anweisungen (wie das zuvor beschriebene Verbrennen von Mäusehaut). Seine Methodik nennt sich »biologisch-dynamisch«. Danach erzeugte Waren werden zumeist unter der Marke »Demeter« verkauft.

Zirka 20 Jahre nach Steiners Tod entwickelte der Schweizer Lehrer Hans Müller gemeinsam mit seiner Frau Maria Müller und dem Arzt Hans Peter Rusch die anthroposophischen Ansätze weiter zum »organisch-biologischen« Anbau, dem heute im deutschsprachigen Raum die meisten Ökobauern folgen. Müller verzichtete weitgehend auf Steiners esoterischen Überbau und konzentrierte sich lieber auf die praktischen Anbauregeln. Ihm ging es in erster Linie darum, preiswerte Methoden für den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit zu entwickeln, weil viele Schweizer Kleinbauern sich damals Kunstdünger und Pestizide nicht leisten konnten oder durch deren Einsatz immer abhängiger von der Agrarindustrie wurden.

Biokost steht heute bei den meisten Verbrauchern für Gesundheit, Umweltschutz und Tierschutz. Diese Themen spielten jedoch in den frühen Jahren der Biolandbau-Bewegung kaum eine Rolle. Rudolf Steiner ging es bei seinen Anweisungen um Ackerbau und Viehzucht im Einklang mit dem, was er für kosmische Gesetze hielt. »Im Apfel isst man den Jupiter, in der Pflaume den Saturn«, schrieb er in einem seiner acht Vorträge über »geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft«, die er 1924, kurz vor seinem Tode, hielt. Auf diesen acht Vorträgen beruht die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise. »Das Wasser«, verkündete er an anderer Stelle, »ist nicht nur aus H und O zusammengesetzt, das Wasser weist die Wege im Erdenbereich denjenigen Kräften, die zum Beispiel vom Mond kommen, sodass das Wasser die Verteilung der Mondkräfte im Erdbereich bewirkt.«

Steiners Weltbild unterscheidet vier Seins­ebenen. Erstens die stofflich-physikalische Welt, die alles Materielle umfasst. Über diesen sichtbaren Teil des Universums hinaus existieren drei weitere, übersinnliche Sphären. Die zweite ist die lebendig-ätherische, die das Feinstoffliche umfasst, also ungefähr das, was heute als biochemische Prozesse verstanden wird. Die seelisch-astrale ist die dritte Ebene, sie ist eine durch kosmische Einwirkung bestimmte, ebenfalls feinstoffliche Kraft, welche die Empfindungen steuert. Menschen und Tiere haben einen Astralleib und dadurch Seelen. Pflanzen hingegen besitzen nur einen Ätherleib. Der Mensch verfügt darüber hinaus über die vierte Seins­ebene, die ich-haft-geistige. Außerdem ist die Welt noch von Engeln und anderen unsichtbaren Wesen bevölkert.

Im Zentrum dieser Lehre steht die geistige Höherentwicklung des Menschen durch verschiedene Reinkarnationen, die von »Planetenzeitaltern« abhängig sind. Quelle der Erkenntnis ist Steiners übersinnliche Erleuchtung. Er war und ist der Einzige, der die imaginäre »Akasha-Chronik« lesen konnte, die nur seherisch erfasst werden kann. Auf dieser in Geheimsprache abgefassten und nur für ihn sicht­baren Weltenchronik beruht Steiners Autorität. Durch seine angeblichen Seher-Fähigkeiten fühlte er sich berufen, eigene – der Naturwissenschaft komplett widersprechende – Dogmen über Pädagogik, Medizin und Landwirtschaft zu verkünden. »Schon der Einwand: ich kann auch irren«, so Steiner, »ist störender Unglaube.«

Die Menschen können sich auch abwärts entwickeln. Was die Kennzeichen höherer und niederer Menschentypen betrifft, besitzt Steiners Weltanschauung viele Gemeinsamkeiten mit der im frühen 20. Jahrhundert weitverbreiteten Rassenideologie. Er lehrte, dass es keine Evolution gab, sondern sich die Menschheitsentwicklung nacheinander auf sieben Planeten vollzogen hat. Es bildeten sich irgendwann »Lemurier« und »Atlantier« heraus, aus diesen dann die »Arier«, zu denen die Westeuropäer gehören. In seinem Werk »Geisteswissenschaftliche Menschenkunde« schreibt Steiner: »Die Menschen, welche ihr Ich-Gefühl zu gering ausgebildet hatten, wanderten nach dem Osten, und die übrig gebliebenen Reste von diesen Menschen sind die nachherige Negerbevölkerung Afrikas geworden.« Über den »Neger« schreibt er: »Weil er das Sonnige an der Oberfläche in seiner Haut hat, geht sein Stoffwechsel so vor sich, wie wenn er in seinem Innern von der Sonne gekocht würde. Daher kommt sein Triebleben. Im Neger wird fortwährend richtig gekocht.« Ganz anders der nordische Blondschopf. »Die blonden Haare geben eigentlich Gescheitheit«, behauptet Steiner. »Geradeso, wie sie wenig in das Auge hineinschicken, so bleiben sie im Gehirn mit Nahrungssäften, geben ihrem Gehirn die Gescheitheit. Die Braunhaarigen und Braunäugigen, und die Schwarzhaarigen und Schwarz­äugigen, die treiben das, was die Blonden ins Gehirn treiben, in die Haare und Augen hinein.« Bedauerlicherweise »verliert sich die Blondheit, weil das Menschengeschlecht schwächer wird«. Die Menschheit droht zu verdummen. Nur die Anthroposophie kann sie retten.

Steiners Vorträge zur Landwirtschaft drehen sich nicht um die Themen, die den heutigen Käufern von Biokost wichtig sind – zum Beispiel Gefahren durch Pestizid-Rückstände oder quälerische Tierhaltung. Ihm geht es um die Nutzung der »kosmischen Kräfte« für den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit. Steiner betrachtete den mineralischen Dünger als wertlos, weil er nicht von lebendigen Wesen stammt. Im Mist dagegen wirke die Astralenergie der Tiere, welche die kosmischen Kräfte an den Boden weitergeben könne. Durch diese Kräfte seien die bio­logisch-dynamischen Produkte wertvoller und gesünder als andere Lebensmittel. Immer wieder betont er, dass die Naturwissenschaften, insbesondere Physik und Chemie, die stoffliche Welt nur oberflächlich betrachten. Steiner dage­gen ist davon überzeugt, dass Elementen wie Phosphor, Schwefel oder Stickstoff geistige Eigenschaften innewohnen.

Obwohl Steiner die Naturwissenschaften und ihre Verfahren der kritischen Überprüfung von Ergebnissen entschieden ablehnt, bedient er sich eines Jargons, der Wissenschaftlichkeit und Seriosität suggerieren soll. Er selbst nennt seine Glaubenslehre eine Geisteswissenschaft. Seine Nachfolger entwickelten Untersuchungsmethoden, die den Anschein von Wissenschaftlichkeit erwecken, aber Ergebnisse zustande bringen, die nur Anthroposophen interpretieren können. Eine davon ist die Kupferchloridkristallisation. Dabei wird ein wässriger Extrakt der zu testenden Pflanze hergestellt und einer Kupferchloridlösung beigegeben, die danach als dünne Schicht auf einer Glasplatte zur Kristallisation gebracht wird. Dabei sollen sich charakteristische Gestaltveränderungen des Kristallisats ergeben, die aber nur Eingeweihte lesen können.

Zehn Jahre nach Steiners Tod erleben seine Lehrsätze zum Landbau höchste Anerkennung. Die Nationalsozialisten erheben sie zu einer Art Leitbild der deutschen Landwirtschaft. Führende Steiner-Jünger betrachteten Hitler als Geistesverwandten. 1934 schickt die Anthroposophische Gesellschaft einen offiziellen Brief an den Führer, in dem das Gemeinsame der beiden Weltanschauungen und Steiners »arische« Herkunft betont werden. Es nützt wenig, im Zuge der Gleichschaltung wird die Organisation aufgelöst. Doch der NS-Staat fördert weiterhin den biologisch-dynamischen Anbau und lässt andere anthroposophische Vereinigungen weiter existieren. Die Zeitschrift Demeter vom Mai 1939 feiert Hitlers Geburtstag enthusiastisch. Als die jüdischen Mitglieder anthroposophischer Organisationen auf staatlichen Druck ausgeschlossen werden müssen, regt sich kaum Widerspruch. Im Gegenteil: Viele Anhänger Steiners begrüßen ausdrücklich die Rassengesetze. In Steiners Werken finden sie die Theorie dazu (Gesamtausgabe Band 32). Das Judentum, schrieb er, »als solches hat sich aber längst ausgelebt, hat keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens, und dass es sich dennoch erhalten hat, ist ein Fehler der Weltgeschichte«.

Die Sympathie beruht zum Teil auf Gegenseitigkeit. Reichsbauernführer Walther Darré persönlich sorgt dafür, dass der Vegetarier Hitler täglich frisches Biogemüse serviert bekommt. Darré, der die Parole »Blut und Boden« popularisierte, gibt Steiners biologisch-dynamischen Prinzipien einen neuen deutschen Namen: »Lebensgesetzliche Landbauweise«. Diese »vernünftige und undogmatische Auswertung« wird 1940 von Bebauet die Erde, der Zeitschrift für biologische Wirtschaftsweise, ausdrücklich gelobt. »Dazu kommt«, schreibt der Anthroposoph Ewald Köhler, »dass auch von einer anderen Seite die biologische Frage sowohl im Allgemeinen als auch im Besonderen reif geworden ist. Zunächst ist im neuen Deutschland die Biologie politisch von Bedeutung geworden durch die Erkenntnis der Rassenfrage, die Darré ausgeweitet hat in dem Begriff ›Blut und Boden‹, das heißt, er sieht die Erhaltung der Rasse unmittelbar mit dem Boden verbunden. Gleichzeitig aber machte sich eine Bewegung geltend, die die biologische Frage der Lebensweise vertiefte und eine Wissenschaft der Naturmedizin schuf. Genau genommen bedeutet dies nichts anderes als Rassenhygiene.«

Neben Darré werden Rudolf Heß, Heinrich Himmler, Fritz Todt und Alwin Seifert von Historikern zu den führenden Köpfen des »grünen Flügels« in der NSDAP-Leitung gezählt. Sie schwär­men nicht nur für biologisch-dynamische Landwirtschaft, sondern auch für regenerative Energien, Homöopathie und Heilkräuter. Ihr Einfluss auf Hitler ist erheblich, doch sie müssen mit anderen, mehr technikbegeisterten Nazigrößen um die Gunst des Führers rivalisieren. Der Verbindungsmann zwischen grünen Nazis und Steiner-Anhängern ist Erhard Bartsch, ein Freund von Seifert und Heß. Er ist in der anthroposophischen Bewegung der führende Landwirtschaftsexperte und gibt das Magazin Demeter heraus.

Die grünen Nazi-Funktionäre betrachten Steiners Lehren nicht als feindliche, sondern als ver­wandte, aber konkurrierende Weltanschauung – und ähnlich sehen es auch manche Anthroposophen. Insbesondere Heß sympathisierte längere Zeit mit der Anthroposophie. Er war jahrelang Hitlers engster Vertrauter. Erst als er sich 1941 nach England absetzt, fallen die Steiner-Anhänger in Ungnade. Waldorfschulen und andere anthroposophische Institutionen werden geschlossen. Doch an der »lebensgesetzlichen Landbauweise« findet der Führer weiterhin Gefallen. Das bleibt auch nach der Absetzung Walther Darrés so (die nichts mit seiner grünen Gesinnung zu tun hat). Die anthroposophische Heil- und Pflegemittelfirma Weleda darf ebenfalls weiter produzieren und erhält sogar Staatsaufträge.

Es gibt Trennendes, aber auch etliche Verbindungen zwischen den Nationalsozialisten und den Anhängern des biologisch-dynamischen Landbaus. Eine Gemeinsamkeit ist die Betonung des Regionalen, was den nach Autarkie strebenden Nazis gefällt. »Es ist eine Sünde«, sagt Göring 1936 im Berliner Sportpalast, »wenn man immer gerade das kaufen will und das haben will, was im Augenblick eben nicht durch die Natur hervorgebracht wird. Wir halten uns an das in erster Linie, was der deutsche Boden uns schenkt.«

Himmler lässt 1938 im Konzentrationslager Dachau die größte biologisch-dynamische Heilkräuterplantage Europas anlegen. Die Arbeitsbedingungen dort sind äußerst grausam. Bei keinem anderen Kommando sterben zwischen 1938 und 1940 so viele Häftlinge wie beim Anlegen und Bewirtschaften der Bioäcker. Gartenmeister des Lagers ist der Anthroposoph Franz Lippert, zuvor Obergärtner bei Weleda.

Zur selben Zeit gründet in der Schweiz Hans Müller, Lehrer, Agrarpolitiker und Vorsitzender des »Vereins abstinenter Schweizer Bauern«, die Schweizerische Bauern-Heimatbewegung. Seine Methode ist eine pragmatische Weiterentwicklung der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise Steiners, die er »organisch-biologisch« nennt. Sie soll »ohne mystisches Drum und Dran« auskommen. Seine Frau Maria Müller studiert die damals schon vorhandene Literatur über organischen Landbau und erprobt die verschiedenen Methoden in ihrem Garten. Primäre theoretische Grundlage der von den Müllers gegründeten organisch-biologischen Anbauweise ist das Naturhaushaltskonzept des Frankfurter Arztes und Mikrobiologen Hans Peter Rusch. Dabei wird besonderer Wert auf die Kompostierung und die Pflege der Humusschicht gelegt. Ein wichtiger Bestandteil ist eine gezielte Fruchtfolge mit mehrjährigem Futter­pflanzenanbau. Ruschs mikrobiologische Bodentests dienen zur Kontrolle erfolgreicher Bewirtschaftung.

Die Müllers verstehen sich als Bewahrer der ländlichen Kultur. Ihre Sorge ist, dass die Bauern durch den immer stärkeren Einsatz von Kunst­dünger und Pflanzenschutzmitteln immer abhängiger werden. Sie wollen die kleinbäuerliche christliche Lebensweise in der sich schnell verändernden, modernen Welt erhalten. Die organisch-biologischen Lebensmittel werden in der Absatz- und Verwertungsgenossenschaft »Heimat« vermarktet. Auch beim organisch-biologischen Konzept stehen die heutigen Kriterien der meisten Bio­­­kunden – keine Pestizid-Reste, Tierschutz und Umweltschutz – nicht im Zentrum. Sie kommen erst später, in den siebziger und achtziger Jahren, hinzu.

Parallel zu den Bestrebungen im deutschsprachigen Raum entsteht in Großbritannien die Bewegung des »organischen Landbaus«. Wichtigster Auslöser ist Sir Albert Howards Buch »Mein landwirtschaftliches Testament«, das 1940 erscheint. Howard ist ein britischer Botaniker, der lange in Indien gelebt und dort traditionelle Methoden der Bodenverbesserung durch Kompost kennengelernt hatte. Seine Ideen münden in der Gründung der »Soil Association«, bis heute in Großbritannien die wichtigste Organisation für Biolandbau. Sir Howard ist davon überzeugt, dass die Menschen in manchen Kulturen Nordindiens außergewöhnlich gesund sind und führt dies auf ihre Ackerbaumethoden zurück, die angeblich gesünderes Essen hervorbringen. Der sich immer weiter ausbreitende Einsatz von Kunstdünger bewirkt seiner Meinung nach einen Niedergang der menschlichen Gesundheit. Auch Pflanzen und Nutztiere seien früher gesünder gewesen. Eine Hypothese, die durch die rasant ansteigende Lebenserwartung nach dem Zweiten Weltkrieg sehr infrage gestellt wird.

Langjährige Vorsitzende der Soil Association und Nestorin des britischen Biolandbaus ist Lady Eve Balfour. Sie gründet mit anderen die IFOAM (International Federation of Organic Agriculture Movements), die Weltorganisation des Biolandbaus. Lady Balfour lässt seit 1939 auf ihrem Gut Haughley Estate einen Teil der Felder »organisch« bewirtschaften und einen anderen konventionell. Ihr Ziel ist zu beweisen, dass die nach Biokriterien erzeugten Lebensmittel überlegen sind. Auf einer IFOAM-Konferenz im Jahr 1977 räumt sie ein, dass nach über 30 Jahren vergleichender Untersuchungen kein Unterschied im Nährwert feststellbar ist. »Die vielen chemischen Analysen der pflanzlichen und tierischen Produkte«, sagt sie, »haben keine konsistenten oder signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Sektionen ergeben.« Allerdings ist das für Lady Balfour kein Grund, am Biolandbau zu zweifeln. »Die Nahrungskette«, erklärt sie in derselben Ansprache, »ist nicht nur ein materieller Kreislauf, sondern auch ein Energiekreislauf.« Dabei beruft sie sich auf Steiners Weltanschauung.

Der führende Kopf des Biolandbaus in den Vereinigten Staaten ist J.I. Rodale. Er führt als Erster den Begriff »organisch« ein, als Bezeichnung für Lebensmittel, die ohne Mineraldünger erzeugt wurden. 1942 bringt er die Zeitschrift Organic Farming and Gardening heraus. Wie Lady Balfour und Sir Howard verklärt Rodale die Landwirtschaft der Vergangenheit. »Alte Farmer erinnern sich noch, wie ihre Großväter Getreide anbauten«, schreibt er. »Sie erzählen, wie sie alle organischen Reststoffe der Farm aufbewahrten, von gutem Getreide und dass Pflanzen und Tiere nur selten krank wurden und der Insektenfraß gering war.« Zahlreiche Berichte über Tierseuchen, massive Ernteverluste und Hungersnöte in der Vor-Kunstdünger-Zeit widerlegen diesen romantischen Blick. Dennoch gilt die Landwirtschaft der Vergangenheit in den Schriften der Bio-Theoretiker bis heute als Vorbild für die Zukunft.

Vorabdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus: Dirk Maxeiner/Michael Miersch: Biokost und Ökokult. Piper Verlag, München 2008, 240 Seiten, 14 Euro. Das Buch erscheint nächste Woche.