Das bin ich, ja!

Als sei nicht alles schon schlimm genug, hat der ehemalige Kommunarde Rainer Langhans, bis vor kurzem hauseigener Online-Spiritualist der Illustrierten Focus, jetzt auch noch seine Autobio­graphie geschrieben. Warum man um das Buch besser einen großen Bogen machen sollte und warum sie in München keine Fahrstühle mehr betritt, erklärt lieselotte kreuz

Ich kenne Jutta Winkelmann nicht, auch habe ich »Das Harem-Experiment« nicht gelesen, das Buch, das sie über ihre Beziehung zu drei anderen Frauen und zu Rainer Langhans geschrieben hat. Der einzige Satz, den ich von Frau Winkelmann je gelesen habe, bewirbt ihr Buch, soll Rai­ner Langhans beschreiben und lautet so: »Dieser späte mystische Sohn der gestrengen ›Böhmi­schen Brüder‹ hat die (erhaltende) Kraft eines Churchill, die Sprengkraft eines Oliver Crom­well und die visionäre Glaubenskraft eines Mar­tin Luther.« Nach der Lektüre dieses Satzes habe ich beschlossen, in München keine Aufzüge mehr zu benutzen. Man weiß schließlich nie, mit wem man stecken bleibt. Fragte man mich nach einem Satz, der Langhans treffend beschreibt, wür­de ich viel eher sprechen von einem späten eso­terischen Sohn des Hornberger Schießens, der die (erhaltende) Kraft eines Ribbentrop, die Sprengkraft eines Bürotackers und die visionäre Glaubenskraft eines Dieter Bohlen hat. Nun bin ich natürlich ein von Neid und Vorurteilen und negativer Energie zerfressenes Wesen, und man darf nicht alles glauben, was ich sage, aber in diesem Fall können sich alle, die an meiner Einschätzung des ehemaligen Kommunarden zwei­feln, gerne selbst überzeugen, denn er hat seine Autobiographie geschrieben. Das ist konsequent, da es Langhans’ zentraler und vermutlich auch einziger Idee entspricht: »Die Idee war die folgende: Wir müssen mit den Medien arbei­ten.« In der ihm eigenen zurückhaltenden Art bemerkt er nebenbei, dass ihm dieser Gedanke von Hans Magnus Enzensberger gestohlen wurde, der ihn für seine Medientheorie benutzt haben soll. Nun will man Enzensberger nicht allzu sehr in Schutz nehmen, und seine Theorie lieh sich ja tatsächlich den einen oder anderen Gedanken aus, allerdings woanders, bei Brecht, aber etwas mehr war doch schon an ihr dran als der an den Berufswunsch eines 15jährigen gemahnende Langhans’sche Gedanke, man müsse irgendwas mit Medien machen. Wo wir gerade bei Brecht sind: Den hat Langhans auch gelesen, oder jedenfalls mal ein bisschen ganz kurz ’rein­geschaut und sich einen schönen Satz gemerkt, um ihn jetzt, endlich, in seiner Rückschau auf 40 Jahre politisches Leben in kongenialer Weise mit der o. g. »Medientheorie« zu verbinden: »Per Krieg wirst du ihnen nichts verkaufen können, du musst es mit den Medien tun, mit den modernen Medien. Es ist sowieso besser, statt eine Bank zu berauben, eine zu gründen.« Das ist natürlich brillant gedacht und herausfordernd formuliert, aber hatte Brecht das mit der Bank tatsächlich als Handlungsanweisung gemeint oder doch irgendwie anders? »Wehe denen, die nicht geforscht haben und doch reden«, möchte man anmerken, oder vielleicht auch: »Die Finnen schweigen zweisprachig«, oder halt irgendwas anderes, das Brecht irgendwohin geschrieben hat und sich jetzt ganz gut machen könnte.

Offensichtlich hatte sich mit seinem Entwurf einer »Arbeit mit Medien« als neuem revolutionären Konzept Langhans’ Kreativität so sehr erschöpft, dass ihm für das Erdenken von Inhalten nur noch geringe Kapazitäten zur Verfügung standen: »Ich habe da schon gesagt: Frau Obermaier ist der neue Mensch, und die möchte gerne schön sein und zeigen, wie man schön lebt, was bis heute ihre Botschaft ist. Dann werden die Leute das auch wollen und werden sich die Sachen kaufen, denn das ist die Kommunikationsform, die im Kapitalismus dominiert. Dann bedienen wir uns doch ihrer – wir können und werden ihnen das, statt es ihnen beizubomben, verkaufen.« Was genau es noch mal ist, das er da den Leuten ganz peacig verkaufen und nicht »beibomben« will, bleibt weitgehend im Dunkel, und vielleicht ist das auch besser so. Dagegen verrät Langhans, was es war, das ihn von anderen unterschied: »Die Fähigkeit, nicht in das Gefühl des Hasses einzutreten, unterschied uns von den anderen Studenten, wie so vieles andere. So waren wir auch die einzig Farbigen, Bunten, die lustvolle Kleidung trugen … « Wenn man es dann geschafft hatte, derart lustvoll gekleidet den Eintritt in das Gefühl des Hasses zu vermeiden, konnte man damit beginnen, worum es eigentlich ging: »Unsere Aktionen dienten genau dazu: verklemmte Energien der Bürger sichtbar zu machen und zu lösen.« Hätte Langhans sich mit der Frage beschäftigt, was die Bürger mit ihren jetzt ja nicht nur sichtbaren, sondern zugleich gelösten Energien machen sollen, hätte seine Antwort vermutlich irgendwie mit Spiritualität zu tun gehabt, seit 1970 ist er nämlich selbst ein sehr spiritueller Mensch: »Du tust sowieso alles, weil diese Gesamtheit deines Seins das tun will und tun wird. Und jetzt kann ich mir viele verschiedene Möglichkeiten aussuchen. Das können Analysen sein, sexuelle Handlungen, das ist egal. Ich fühle mich immer von der Ganzheit meiner Existenz hingezogen, wenn mich etwas anzieht.« Analysen, sexuelle Handlungen, alles egal.

Vermutlich würde ohnehin kein Mensch auf die Idee kommen, von Langhans eine kritische Einschätzung der deutschen Achtundsechziger-Bewegung zu erwarten, aber auch wer in seiner Autobiographie einfach nur eine politische Begründung oder eine von einem Mindestmaß an Distanz gekennzeichnete retrospektive Einordnung der Geschehnisse sucht, wird enttäuscht. Langhans wiederholt, was er schon damals zu wissen glaubte und woran er bis heute nicht zweifelt: Gut sind Medien, Drogen, sexuelle Befreiung, Spiritualität und zur Sicherheit noch mal Medien, schlecht sind Hass, Gewalt, die RAF, Spießer und die Bullen, fertig. Passagenweise gleitet der Text wegen des mangelnden Abstands des Autors zum Gegenstand in vollkommene Sinnlosigkeit ab, etwa dann, wenn Langhans sich nachträglich bemüht, seine LSD-Erfahrungen zu protokollieren: » … und du strahlst: Ja, das ist es! Es ist so, es ist einfach so! Das bin ich, ja! Das ist! Das ist wirklich! Mein Gott, warum habe ich das nie gewusst? Hinterher überlegt man: wie lange habe ich mein Leben damit vertan zu glauben, die Welt sei grau und klein und mies und übel, aber in der Situation selbst ist es, wie es ist, und es ist einfach.« Ja, so einfach ist das. Und es bleibt einfach, auch auf den mitveröffentlichten 50 Seiten aus den Tagebüchern des Schülers und Bundeswehrsoldaten Langhans und in den ebenfalls im Anhang zu findenden zwei Briefen, die er 1969 aus der JVA Moabit an Uschi Obermaier schrieb. Bei solch ausführlicher Selbstbespiegelung bleibt für die Erwähnung des Nationalsozialismus, der doch allgemein als nicht ganz unwichtig für die deutsche Studentenbewegung betrachtet wird, natürlich nicht mehr viel Raum. Jedenfalls scheint Langhans der Ansicht zu sein, dass die NS-Zeit weder in Hinblick auf seine frühe Kindheit in Pommern noch für die Charakterisierung seiner Eltern oder seine spätere Politisierung sonderlich erwähnenswert ist. Vielleicht hat hier aber auch schlicht der Verlag interveniert, der aus monetären Gründen vermutlich kein übermäßiges Interesse an der vollständigen Dekonstruktion der angeblich »linken« Identifikationsfigur Langhans haben dürfte. Dieser jedenfalls beschränkt sich auf die beleidigte Feststellung, dass er, weil es »scheinbar unerträglich« sei, »zum Faschismus Gedanken auszusprechen, (…) als esoterischer Faschist abgestempelt« worden sei. Mehr oder weniger elegant verschwiegen wird so, dass jene »Gedanken«, die dazu führten, dass er als »esoterischer Faschist« bezeichnet worden ist, u. a. die an Zynis­mus nur schwer zu überbietende Feststellung beinhalteten, dass am Nationalsozialismus doch ganz gut gewesen sei, dass er eine »hohe Sterbekultur« besessen habe, sowie die glasklare Analyse, dass »Spiritualität in Deutschland (…) Hitler« heiße, weswegen man, bevor man vorschnell nur die Fehler dieser Spiritualität namens Hitler sehe, zunächst mal dessen »Vision verstehen« müsse und es insofern darum gehe, »sozusagen die besseren Faschisten werden« zu können, was ja, alles in allem, doch recht ordentlich esoterisch und faschistoid ist.

Und Uschi? Steht da nichts über Uschi drin? Doch, viel. Aber was Uschi angeht, bin ich inzwischen davon überzeugt, dass das Private, jedenfalls das von Langhans, eher doch nicht politisch ist, sondern eben privat. Und privat sollte es auch unbedingt bleiben.

Rainer Langhans: Ich bin’s. Die ersten 68 Jahre. Die Autobiogaphie. Blumenbar, München 2008, 253 Seiten, 19,90 Euro