Die Angst der Patriarchen

In Italien wird der Abtreibungsparagraph vehement in Frage gestellt – nicht von progressiven Frauen, sondern von wahnhaft agierenden Männern. von catrin dingler, rom

Einem feministischen Slogan vergangener Tage zu­folge sollten das erste und das letzte Wort den Frauen gehören. Doch in Rom ergriffen am 8. März vier Männer die Gelegenheit dazu. Einerseits die Vorsitzenden der drei großen italienischen Ge­werk­schaften CGIL, Cisl und Uil. Sie hatten zum 100. internationalen Frauentag zur gemeinsamen Demonstration aufgerufen. In den von den Organisationen bereitgestellten Bussen waren jedoch nicht die in den Festtagsreden bedauerten prekär beschäftigten »jungen Frauen und Mütter« und erst recht nicht die im Nachsatz erwähn­ten Mi­grantinnen in die Hauptstadt gereist, sondern vor allem altgediente Mitglieder, viele Pensio­näre, mehr Männer als Frauen. Angesichts dieses Publi­kums schien es den Herren Vorsitzenden wohl an­gebracht, auf eine explizite Stellungnahme zur ak­tuellen Diskussion um den Paragrafen 194, der den Schwangerschaftsabbruch regelt, zu verzichten.

Andererseits eröffnete nur wenige hundert Meter entfernt Giuliano Ferrara, Fernsehjournalist und Redaktionsleiter der rechtsintellektuellen Tageszeitung Il Foglio, unter dem Motto »Abtreibung? Nein, danke!« seinen Wahlkampf zu den bevorstehenden Parlamentswahlen am 13. und 14. April. Nicht nur der Name der von ihm aufgestellten Liste Pro-Life betont die Nähe zu den Anti-Abtreibungskampagnen der amerikanischen fundamentalchristlichen Konservativen. Ferraras monothematisches Wahlprogramm beinhaltet ausschließlich den Schutz des individuellen Lebens »von der Empfängnis an«. »Kinder«, die, »in jeder Phase der Schwangerschaft und aus wel­chen Motiven auch immer«, abgetrieben werden, sollten einen Namen bekommen und auf Staatskosten beerdigt werden. Zuvor aber sei sicherzustellen, dass den »Neugeborenen«, »ohne Berück­sichtigung des Einverständnisses Dritter«, jede medizinische Versorgung zukomme, die ein Über­leben gewährleisten könnte.

Die autonomen Frauengruppen Roms hatten bereits zuvor entschieden, sich nicht von den familienzentrierten Gewerkschaften vereinnahmen zu lassen. Auf eine direkte Auseinandersetzung wollten sie allerdings verzichten, Ferraras Provokation sollte ignoriert werden. So riefen sie bereits für den Abend des 7. März zu einer De­mons­tration auf.

Die Demonstration hatte nur bescheidenen Erfolg, beschränkte sich auf Schmährufe gegen Ferra­ra und blieb in ihren Forderungen erschreckend defensiv: für die Selbstbestimmung der Frauen und gegen eine Änderung des Abtreibungsgesetzes. Außerdem erinnerten einige in verschiedenen linken Tageszeitungen und feministischen Internetforen wiederveröffentlichten Texte daran, dass es in den siebziger Jahren in der Frauenbewegung bereits radikalere Positionen gegeben hatte, die schlicht für die Freigabe der Abtreibung und die Streichung des Abtreibungsparagrafen plädierten und nicht für die Aushandlung eines gesetzlichen Kompromisses.

Ferrara hatte mit seiner Anti-Abtreibungskampagne schon zu Anfang des Jahres begonnen. Zu dieser Zeit nahm die Vollversammlung der Uno einen von Italien eingebrachten Vorschlag für ein Moratorium zur Todesstrafe an. Nun forderte Fer­rara in Analogie dazu ein Moratorium zur Abtreibung, also nicht die »Abschaffung« oder »Revision« des Paragrafen 194, sondern die Förderung von politischen Maßnahmen, die die Betroffenen von der Abtreibung abhalten würden. Zunächst wies nur die Linke die in der Forderung enthaltene Anschuldigung, Frauen, die eine Schwangerschaft unterbrechen, seien Mörderinnen, entschie­den zurück, sonst fand der absurde Vorschlag bis hinein in die Reihen der Demokratischen Partei (PD) Gehör. Erst zu Beginn des Wahlkampfs wurde die »Abtreibungsfrage« zu brisant. Silvio Ber­lusconi verweigerte seinem langjährigen Freund Ferrara die Aufnahme in seinen Partito delle Libertà (PdL) und kam mit seinem Hauptkonkurrenten Walter Veltroni (PD) darin überein, die Abtreibungsregelung nicht zum Wahlkampfthema zu machen.

Das 1978 verabschiedete und 1981 per Volksent­scheid bestätigte Gesetz zur Schwangerschaftsunterbrechung erlaubt den Abbruch innerhalb der ersten 90 Tage. Nach Ablauf der ersten drei Monate ist der Abbruch nur dann zulässig, wenn durch die Fortsetzung der Schwangerschaft oder die Geburt das Leben der Frau gefährdet würde oder wenn die Diagnose von »erheblichen Anomalien oder Missbildungen des Ungeborenen« da­zu führen würde, dass die »physische und psychi­sche Gesundheit« der Frau gefährdet wäre. Für diese so genannten therapeutischen Abbrüche legt der Gesetzgeber keine zeitliche Grenze fest, in der Praxis erfolgen diese Eingriffe bis zur 24. Schwan­gerschaftswoche.

Ferrara bezeichnet die medizinische Indika­tion als »eugenische Praxis«, mit der eine Form der »Selektion« legitimiert werde. Tatsächlich gehört die Fruchtwasseruntersuchung zur Frühdiagnostik des Ungeborenen (Amniozentese) in Italien zur normalen, d.h. der gesellschaftlich normierten Schwangerschaftsvorsorge. Ferrara zielt mit seiner Kritik auf einen problematischen Punkt und verfehlt ihn doch. Ihm entgeht, dass nach statistischen Untersuchungen auch die katholischen Abtreibungsgegnerinnen, seine potenziellen Wäh­lerinnen, zu 60 Prozent den »therapeutischen Ab­bruch« als »Ausnahmefall« akzeptieren.

Doch Ferrara geht es weder um die konkreten Er­fahrungen von Frauen noch um einen kritischen Blick auf die Geschichte der ärztlichen Schwanger­schaftsüberwachung. Selbst der politische Kampf gegen das Abtreibungsrecht ist für ihn nur vordergründig von Bedeutung. Seine Pro-Life-Liste wird die Sperrklauseln von vier Prozent im Parlament und acht Prozent im Senat aller Voraussicht nach sowieso nicht überwinden. Ferrara führt vielmehr einen Kulturkampf, und an dessen Front konnte er schon einige makabre Siege verbuchen.

So stellte etwa Anfang Februar eine Gruppe römischer Klinikärzte die Forderung auf, Versuche der Wiederbelebung auf extrem unreife Frühgeborene auszuweiten, auch wenn die Überlebens­chancen minimal seien und die Einwilligung der Eltern zu diesen therapeutischen Experimenten nicht vorliege. Indirekt war damit die Forderung ausgesprochen, Föten, die nach medizinischer Indikation nach Ablauf des dritten Monats abgetrieben worden sind, auch gegen den Willen der Mutter wiederzubeleben.

Kaum eine Woche später stürmte in Neapel eine siebenköpfige Polizeieinheit die Entbindungs­sta­tion der Poliklinik, nachdem ein anonymer Anrufer den Verdacht eines illegalen Schwangerschaftsabbruchs geschürt hatte. Die Polizisten rie­gelten die Station ab, verhörten die Ärzte und das Pflegepersonal sowie die Patientinnen, auch die vom Eingriff noch halb betäubte und geschwächte Patientin. Die Beamten beschlagnahmten die Krankenakte der Frau und den abgegangenen Fötus. Der Verdacht des inzwischen als Angestellter des Klinikums identifizierten Anrufers erwies sich als unbegründet: Die Frau hatte in der 21. Woche wegen einer Chromosomenanomalie (die sich bei der Obduktion des Fötus bestätigte) die Schwangerschaft unterbrochen, sie konnte ein psychologisches Attest vorweisen.

Nach dem Vorfall kam es in mehreren Städten zu spontanen Protesten und zu Solidaritätsbekun­dungen für die in die Öffentlichkeit gezerrte »Silvana«. Ferrara aber trieb seine wahnhafte Phantasie, einst selbst ein anomaler Fötus gewesen zu sein, der nach den heute gängigen Kriterien »getötet« worden wäre, dazu, sich auf das bei dem Fötus diagnostizierte Klinefelter-Syndrom testen zu lassen. Diese Inszenierung zeigte auf tragikomische Weise die Angst des Patriarchen.