Nicht nur sauber, sondern rein

Warum in Kroatien manchmal Literatur entweder auf dem Müll oder dem Index landet oder gar nicht erscheinen kann. Über den Heimatkult in dem Land und die Grundreinigung der Sprache berichtet doris akrap, die viel neue kroatische Literatur gesichtet hat.

Bücher für Jelsa« lautete eine Aktion der Tageszeitung Slobodna Dalmacija aus dem Jahr 2003. Die Bürger Kroatiens waren aufgerufen, der kleinen Stadt auf der süddalmatinischen Insel Hvar als Zeichen der »kulturellen Solidarität« Literatur zu spenden. Im gleichen Jahr fand man im nördlichen Teil Kroatiens, auf der Mülldeponie des istrischen Städtchens Funtani, über 2 000 gut erhaltene Bücher von Autoren wie Miroslav Krleža und Maxim Gorki, Werke wie »Das Tagebuch der Anne Frank« und Lewis Carrolls »Alice im Wunderland«. Die Schulbibliothek der Vladimir-Nazor-Schule hatte diese Bücher weggeworfen, weil der Schuldirektor sie für »passé«, »technisch unbrauchbar« und »ideologisch überholt« hielt.

Derlei Säuberungen hatten während des Unabhängigkeitskriegs in den meisten Bibliotheken, staatlichen Institutionen und kulturellen Einrichtungen Kroatiens stattgefunden. Bücher, die auf Serbokroatisch verfasst, nicht von Kroaten geschrieben, nicht in Kroatien verlegt worden oder angeblich kommunistisch, antinationalistisch oder antikatholisch waren, fielen der nationalistischen Säuberungspolitik zum Opfer. Noch 1998 hatte der Finanzminister großzügig jedem staatliche Hilfe angeboten, der sich der »überholten« Bücher in seiner Bibliothek entledigen wollte.

Pikant an der Geschichte der Vladimir-Nazor-Schule ist, dass sie acht Jahre nach der Beendigung des Kriegs stattfand, als Kroatien längst dabei war, sich der EU als zivilisiertes Land zu empfehlen. Hinzu kommt, dass der Namensgeber der Schule einer der bekanntesten kroatischen Autoren ist, dessen Bücher aber durch die nationalistischen Reinheitsfanatiker in den neunziger Jahren ebenfalls als unerwünscht deklariert worden waren, weil sich Nazor 1942 den Partisanen Titos angeschlossen hatte. Homosexuelle Aktivisten haben erst kürzlich für seine Rehabilitation gesorgt. Im Vordergrund der Rezeption stand nun nicht länger die kommunistische Überzeugung, sondern die Homosexualität Nazors. Damit hatte Kroatien eine Möglichkeit gefunden, die Peinlichkeit zu überspielen, einen weltbekannten kroatischen Schrift­steller auf den Index gesetzt zu haben.

Angesichts des Umgangs mit unerwünschter Literatur in diesem Land ist es mehr als fragwürdig, dass die Leipziger Buchmesse in diesem Jahr Kroatien zu ihrem Schwerpunkt gemacht hat. Man feiert das demokratische Kroatien, das Homosexuelle nicht länger diskriminiert und Bücher an kleine Inselstädtchen wie Jelsa spendet. Doch wie es dazu kam, dass die dortige Bibliothek keine Bücher hat, fragt man sich nicht, da man Nachrichten wie den Müllkippenfund in Funtani nicht zur Kenntnis nimmt. Man merkt sich auch nur, dass Nazors Bücher wieder in die Bibliotheken zurückgestellt wurden, vergisst aber, dass Werke anderer Schrift­steller, die sich mit dem kroatischen Nationalismus nicht vereinbaren lassen, dort nach wie vor keinen Platz finden.

Selbstverständlich will man, wenn man über Kroatien redet, auch etwas über den Krieg wissen. Und so steht im Zentrum vieler zur Buchmesse erscheinender Romane junger kroatischer Autoren der Unabhängigkeitskrieg und seine traumatische Wirkung. Die Kurzgeschichten in Olja Savicevics »Augustschnee« kreisen ebenso um Teenagerprobleme während des Bom­benalarms in Zagreb wie Ivana Sajkos Roman »Rio Bar«. In diesem befindet sich die völlig betrunkene Ich-Erzählerin derart im Delirium, dass sie selbst nicht weiß, ob ihre Erlebnisse während des Krieges Realität sind oder dem Alkohol oder ihren Alpträumen geschuldet sind. Ständig muss sie sich übergeben, wegen des Konsums von zu viel saurem Landwein oder Sperma oder aufgrund psychischer Belastung. Die lallende, immer wieder abrupt abbrechende Sprache und die bruchstückhafte Erzählung illustrieren die Unmöglichkeit, den Kriegsalltag völlig zu verdrängen und in Alkohol zu ertränken, denn immer wieder scheinen plötzlich Bilder auf, die die Erzählerin mit der Realität konfrontieren.

Nach der Lektüre von »Augustschnee« und »Rio Bar« wird der Leser mit dem Hinweis konfrontiert: »Verlag und Übersetzerin bedanken sich beim Kulturministerium der Republik Kroatien für die großzügige Unterstützung.« Was zunächst völlig absurd erscheint, lässt sich einfach erklären. Mittlerweile hat auch die kroatische Regierung zugegeben, dass der Unabhängigkeitskrieg nicht ganz sauber und diskret vonstatten ging, und so kommt es zu der absurden Konstellation, dass ein paar Nachwuchs­autoren mit Geschichten über die nationalistischen Exzesse etwas für das demokratische Image des Landes tun. Hinzu kommt, dass Sajko und Savi­cevic zwar detailliert die Kaputtheit ihrer Figuren beschreiben, diese aber letztlich aus jedem Land stammen könnten, in dem gerade Krieg geführt wird. Welche Rolle der Nationalismus im heutigen Kroatien spielt und warum das angeblich so großzügige Kulturministerium die Bereinigung der Bibliotheken oder die offizielle Säuberung der Sprache von über 200 Wörtern immer noch nicht zurückgenommen hat, wird von den jungen Autorinnen nicht thematisiert.

Dubravka Ugrešic gehört zwar mittlerweile zu den bekanntesten Schriftstellerinnen aus Kroatien, doch ihre Bücher unterstützt das Kulturministerium nicht. Das würde sie wahrscheinlich auch ablehnen, denn sie hat nicht vergessen, dass ihre Landsleute sie als »Hexe« beschimpften und sie 1993 ins Exil zwangen, als sie sich weigerte, die »kroatische Identität« anzunehmen. Eines der Themen in ihrer Essaysammlung »Keiner zu Hause«, die bezeichnenderweise nicht zur Buchmesse, sondern bereits vergangenes Jahr erschien, sind die kroatischen Schriftsteller, die sie dafür kritisiert, sich der »geopolitischen Bedeutung von Literatur« unterworfen und nichts gegen ihre Etikettierung als »kroatisch« unternommen zu haben.

Die interessantesten Neuerscheinungen aus Kroatien handeln im Übrigen nicht von den Kriegsereignissen der neunziger Jahre und sind nebenbei bemerkt allesamt von Autoren, die in Bosnien geboren und aufgewachsen sind: Edo Popovic schildert in »Kalda« die Biographie eines phlegmatischen Jungen aus dem alten Zagreber Arbeiterviertel Dubrava. Igor Štiks erzählt in »Die Archive der Nacht« die Geschichte eines Schriftstellers, der in den neunziger Jahren zufällig erfährt, dass sein wirklicher Vater ein jüdischer Kommunist aus Sarajevo ist, der von seiner Widerstandsgruppe 1941 an die Gestapo ausgeliefert wurde. Und Miljenko Jergovic beschreibt in »Das Walnusshaus« mit der Familiengeschichte des Holzschnitzers August Liscar die Entwicklung der kroatischen Gesellschaft vom Ende der osmanischen Zeit bis zur Bombardierung Dubrovniks 1991.

Während Štiks und Jergovic auf konventionelle Weise erzählen, passt die freche Sprache Popovics zu seiner Titelfigur Kalda, ein bisschen schludrig, ein bisschen ungepflegt, schlecht gelaunt und nicht ohne Ironie.

Statt sich mit der Frage zu beschäftigen, wie sich Literatur in einem Land entwickeln kann, in dem noch heute Historiker und Kulturschaffende fordern, die Benutzung »unkroatischer« Wörter unter Strafe zu stellen, gibt Alida Bremer, eine der wichtigsten Übersetzerinnen und Organisatorin des kroatischen Schwerpunkts in Leipzig, eine Anthologie mit dem Titel »Südliche Luft. 20 Liebeserklärungen an Kroatien« heraus, in der hier und da auch mal Krieg und Nationalismus erwähnt werden, aber nur, um als zusätzlicher Anreiz für einen Urlaub im Land der Mandelblüte zu dienen.

Dass es an Absurdität kaum zu überbieten ist, literarische »Liebeserklärungen« an eine Nation zu verfassen, in der unliebsame Literatur nicht erscheinen kann, aussortiert oder weggeworfen wird, hätte der deutsche Urlauber in einem Buch nachlesen können, das weder die Unterstützung des Kulturministeriums erhielt noch einen deutschen Verleger interessierte. Es ist die vergangenes Jahr in Belgrad erschienene Essaysammlung »Animal Croatica. Betrachtungen über die Heimatliebe« von Viktor Ivancic, Gründer und Redakteur von Feral Tribune, der einzigen Zeitung Kroatiens, die den Nationalismus kritisiert.

Alida Bremer u.a. (Hg.): Südliche Luft. 20 Liebeserklärungen an Kroatien. List, Berlin 2008, 219 Seiten, 8,95 Euro

Viktor Ivancic: Animal Croatica. Ogledi u Domoljublju. Fabrika Knjiga, Belgrad 2007, 499 Seiten, 22 Euro

Miljenko Jergovic: Das Walnusshaus. Aus dem Kroatischen von Brigitte Döbert. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2008, 616 Seiten, 24,90 Euro

Edo Popovic: Kalda. Aus dem Kroatischen von Alida Bremer. Voland & Quist, Dresden 2008, 288 Seiten, 21,90 Euro

Ivana Sajko: Rio Bar. Aus dem Kroatischen von Alida Bremer. Matthes & Seitz, Berlin 2008, 192 Seiten, 19,80 Euro

Olja Savicevic: Augustschnee. Aus dem Kroatischen von Blažena Radas. Voland & Quist, Dresden 2008, 128 Seiten, 17,90 Euro

Igor Štiks: Die Archive der Nacht. Aus dem Kroatischen von Marica Bodrožic. Claassen, Berlin 2008, 376 Seiten, 19,90 Euro

Dubravka Ugrešic: Keiner zu Hause. Essays. Deutsch von Barbara Antkowiak, Angela Richter und Mirjana und Klaus Wittmann. Berlin Verlag 2007, 303 Seiten, 22 Euro