Nicht zu viel und doch zu viel

Partybürgermeister und Rote Socken verwalten Berlin. Und doch haben auch hier, wie im Rest der Republik, die Proletarier nichts zu lachen. Genauso wenig wie sich der öffentliche Dienst von der rot-roten Re­gierung vom Streiken abhalten lässt, lässt sich die regierende Linkspartei von den For­derungen der Streikenden beeindrucken. kommentar von jörg sundermeier

In Berlin streikt die BVG, was angesichts des Streiks im Öffentlichen Dienst allüberall zunächst nichts Besonderes ist. Berlin allerdings wird seit längerem von einem rot-roten Senat regiert. Also von etwas, was überall außerhalb des Ostens ja schon quasi für eine kommunistische Herrschaft gehalten wird. Doch wie verhalten sich die Kommunisten, Postkommunisten, Roten Socken oder was auch immer nun eigentlich in Berlin? Wie reagieren sie auf die streikenden Werktätigen, also auf ihr ureigenes Wählerpoten­zial, das Proletariat? Stehen sie neben ihm vor den Toren der Bus- und Straßenbahndepots? Hal­ten sie Wacht an den U-Bahnanlagen, auf dass Streikbrecher und sonstiges Kapitalistengelümmel sich erst gar nicht herantrauen? Hält ihr starker Arm die Räder still?

Nicht wirklich. Zwar sagt Klaus Lederer, der Lan­des­vorsitzende der Linkspartei, gern und oft, dass sogar er aus gelebter Solidarität selbst und höchstpersönlich mal den einen, vielleicht sogar den anderen Kilometer zu Fuß läuft (wörtlich: »von der Schönhauser Allee bis zum Rosa-Luxem­burg-Platz«, also immerhin rund vier Kilometer!). Doch das, was die BVGler fordern, sei natürlich zu viel, und selbstverständlich zugleich auch wieder nicht zu viel. Einerseits wirft der smarte Landesvorsitzende dem Kollegen Finanzsenator von der SPD vor, dass dieser die BVGler dadurch schlecht machen würde, dass er die Gehaltsforde­rungen als völlig überzogen zurückweist. Andererseits laviert Lederer herum, kann sich für keine Position entscheiden und fordert stattdessen die Berliner Angestellten zur Solidarität mit den Kollegen im Rest des Landes auf und die Gewerkschaften dazu, mit der Linkspartei die Bundesregierung … – lassen wir das.

Wir kennen diese ausweichenden Reden zur Genüge, auch in Mecklenburg-Vorpommern konnten wir sie für einige Zeit hören. Immer dann, wenn die Linkspartei mitregieren darf, wird aus dem verbalradikalen Lafontaine-Haufen ein handzahmer Partner der SPD. Gerade Klaus Wowe­reit, der ja immer wieder, trotz seines Desinteresses an profaner Realpolitik, auch als möglicher Kanzlerkandidat der SPD gehandelt wird, zeigt einem täglich, wie fügsam die Linkspartei ist. Statt an ihren Forderungen festzuhalten, ist sie nicht nur zu den üblichen Kompromissen bereit, sondern gibt freiwillig ganze, bis eben noch als Essentials gehandelte Punkte aus ihrem Wahl­programm preis. Die Gewerkschaften also haben von ihr nicht mehr zu erwarten als bislang von der SPD. Die Linkspartei unterstützt die Kolleginnen und Kollegen von der BVG nur insofern, als sie die Streikenden nicht offensiv angreift. Man verlangt ihnen lediglich ganz freundlich »Realismus« ab.

»Was lernt uns das?« fragen wir mit Walter Ulbricht. Es lernt uns, dass die Grünen und die Sozialdemokraten andernorts selbst dann, wenn, wie in Niedersachsen, aus Versehen eine Kaderkommunistin mit ins Parlament flutscht, mit der Linkspartei kooperieren können. Ja, sie können auf »Die Linke« zählen. Doch wen verwundert das eigentlich noch?