Nicht zu viel und doch zu viel
In Berlin streikt die BVG, was angesichts des Streiks im Öffentlichen Dienst allüberall zunächst nichts Besonderes ist. Berlin allerdings wird seit längerem von einem rot-roten Senat regiert. Also von etwas, was überall außerhalb des Ostens ja schon quasi für eine kommunistische Herrschaft gehalten wird. Doch wie verhalten sich die Kommunisten, Postkommunisten, Roten Socken oder was auch immer nun eigentlich in Berlin? Wie reagieren sie auf die streikenden Werktätigen, also auf ihr ureigenes Wählerpotenzial, das Proletariat? Stehen sie neben ihm vor den Toren der Bus- und Straßenbahndepots? Halten sie Wacht an den U-Bahnanlagen, auf dass Streikbrecher und sonstiges Kapitalistengelümmel sich erst gar nicht herantrauen? Hält ihr starker Arm die Räder still?
Nicht wirklich. Zwar sagt Klaus Lederer, der Landesvorsitzende der Linkspartei, gern und oft, dass sogar er aus gelebter Solidarität selbst und höchstpersönlich mal den einen, vielleicht sogar den anderen Kilometer zu Fuß läuft (wörtlich: »von der Schönhauser Allee bis zum Rosa-Luxemburg-Platz«, also immerhin rund vier Kilometer!). Doch das, was die BVGler fordern, sei natürlich zu viel, und selbstverständlich zugleich auch wieder nicht zu viel. Einerseits wirft der smarte Landesvorsitzende dem Kollegen Finanzsenator von der SPD vor, dass dieser die BVGler dadurch schlecht machen würde, dass er die Gehaltsforderungen als völlig überzogen zurückweist. Andererseits laviert Lederer herum, kann sich für keine Position entscheiden und fordert stattdessen die Berliner Angestellten zur Solidarität mit den Kollegen im Rest des Landes auf und die Gewerkschaften dazu, mit der Linkspartei die Bundesregierung … – lassen wir das.
Wir kennen diese ausweichenden Reden zur Genüge, auch in Mecklenburg-Vorpommern konnten wir sie für einige Zeit hören. Immer dann, wenn die Linkspartei mitregieren darf, wird aus dem verbalradikalen Lafontaine-Haufen ein handzahmer Partner der SPD. Gerade Klaus Wowereit, der ja immer wieder, trotz seines Desinteresses an profaner Realpolitik, auch als möglicher Kanzlerkandidat der SPD gehandelt wird, zeigt einem täglich, wie fügsam die Linkspartei ist. Statt an ihren Forderungen festzuhalten, ist sie nicht nur zu den üblichen Kompromissen bereit, sondern gibt freiwillig ganze, bis eben noch als Essentials gehandelte Punkte aus ihrem Wahlprogramm preis. Die Gewerkschaften also haben von ihr nicht mehr zu erwarten als bislang von der SPD. Die Linkspartei unterstützt die Kolleginnen und Kollegen von der BVG nur insofern, als sie die Streikenden nicht offensiv angreift. Man verlangt ihnen lediglich ganz freundlich »Realismus« ab.
»Was lernt uns das?« fragen wir mit Walter Ulbricht. Es lernt uns, dass die Grünen und die Sozialdemokraten andernorts selbst dann, wenn, wie in Niedersachsen, aus Versehen eine Kaderkommunistin mit ins Parlament flutscht, mit der Linkspartei kooperieren können. Ja, sie können auf »Die Linke« zählen. Doch wen verwundert das eigentlich noch?