Stahlgewitter des Frohsinns

Herbert-Anton Hilger feierte, von der Weltöffentlichkeit unbeachtet, vor einem Monat seinen 70. Geburtstag. Thomas Blum gratuliert nachträglich.

Herbert Hilger. Baden-Baden. Bora Bora. Eine Folge von Alliterationen, die beinahe so niederschmetternd ist wie das Werk von Herbert Hilger aus Baden-Baden, einem Ehrenbürger von Bora Bora und zu Unrecht schmählich vergessenen Mann. Der bis heute in herabsetzender Absicht als »Bierzelt-Crooner« gescholtene Performance-Künstler hat es mit ein paar vermeintlich unbekümmert hervorgeschmetterten Versen vollbracht, über einen Zeitraum von Jahrzehnten hinweg die so steifbeinigen Deutschen, denen das zackige Marschieren seit je leichter fällt als die leichtfüßige Samba, in einen Rausch der Ekstase zu versetzen, indem er praktisch das Marschieren und die Samba zu einer kompakten Einheit verschmolz, sodass beide sich zu einer Art Stahlgewitter des Frohsinns zusammenbrauten. Bis heute hält er unerschütterlich an seinem von ihm gewählten künstlerischen Konzept fest.

Er hat die Verse, von denen an dieser Stelle die Rede sein soll, nicht selbst geschrieben, aber er bringt sie – unter dem Künstlernamen, unter dem ihn viele kennen: Tony Marshall – bis in unsere Gegenwart auf eine nicht im geringsten verwechselbare Weise zum Vortrag und erweckt sie so neu zum Leben. Doch sind diese Verse aufgrund der unverfälschten Direktheit, mit der sie daherkommen, weit mehr als nur ein austauschbares Beispiel moderner Lyrik. Die Prinzipien der radikalen Einfachheit (in formaler/stilistischer Hinsicht, siehe die Traditionslinie vom Dadaismus zur Konkreten Poesie) und der bedingungslosen Wahrhaftigkeit (in semantischer Hinsicht) fusionieren in ihnen und erzeugen raffiniert eine poetische Wucht, die in der Dichtung der deutschen Gegenwart ihresgleichen sucht. Diese Verse verweisen überdies auf das Wesen der Deutschen schlechthin, legen gewissermaßen die Tiefenschichten des deutschen Geistes frei. Sie müssten, wenn es in diesem Land mit rechten Dingen zuginge, in Marmor gemeißelt in den Eingangshallen aller Goethe-Institute dieser Welt angebracht sein. Diese Verse, die dem Lied »Schöne Maid« entnommen sind (das Original erschien erstmals 1971, die vom Künstler überarbeitete Neufassung stammt aus dem Jahr 2008), lauten:

»Wir singen tralala und tanzen hopsasa /Wir wollen fröhlich sein / Und uns des Lebens freu’n.«

Neologismen wie »Tralala« und »Hopsasa«, im Refrain ergänzt von dem legendär gewordenen »Ho-ja ho-ja ho« und dem fortwährend wiederholten »Ubba Ubbu Jabbadabbadu«, werden gebraucht in der Absicht, überkommene bürgerliche Sprachkonventionen zu zertrümmern, und stehen, darin anderen magischen Beschwörungsformeln, die sich gegen eine kalt-nüchterne und durchrationalisierte Moderne wenden, nicht unähnlich (vgl. etwa »Za-Za-Zabadak«, »Da-Da-Da«, »Gabba Gabba Hey«), gleichsam als Chiffren sowohl für dionysische Entrückung wie für eine schrankenlose Bejahung einer endlosen Feier des Daseins. Georges Bataille und seine Theorie der Verschwendung standen unzweifelhaft hier Pate. Den beiden Spielverderbern Thanatos und Melancholia hingegen wird eine kräftige Abfuhr erteilt. Sie sind hier praktisch dauerhaft abgemeldet und passé (»…fröhlich sein /…des Lebens freu’n«). Nicht allein stemmt der Text von »Schöne Maid« sich gegen die Hofmannsthalsche Sprach­skepsis (»tralala«), auch das dem Lied inhärente Programm der hedonistischen Revolte, der kompromisslosen Diesseitszugewandtheit und der Transgression eines von den Fetischen Arbeit und Leistung durchdrungenen Alltags (»hopsasa«) wird offenbar. Und es ergeht der explizite Appell des Künstlers an seine Hörerschaft, im zermürbenden alltäglichen Guerillakrieg gegen den jede zarte mensch­liche Regung erstickenden Kulturpessimismus unserer Zeit das freimütige Drogenexperiment als eine Waffe zu betrachten: »Wir wollen ganz zufrieden sein / Und trinken Bier und Schnaps und Wein.«

Auf seinem neuen Album, auf dem er auch im Duett mit Xavier Naidoo zu hören ist, führt er seine entschlossene Poetik des revolutionären Optimismus mit stählerner Konsequenz fort: »Nach Regen blühen Blumen wunderschön im Sonnenlicht / Und Tränen sind vergessen, wenn ein Lächeln stumm dein Schweigen bricht.«

Tony Marshall: »Wie nie« (Seven Days Music)