Alter schützt den Torwart nicht

Für einen in der Landes­liga spielenden ­Bonner ­Vorortverein gab der ­frühere Bundes­ligatorwart ­Wolfgang Kleff sein ­Comeback – mit 61 Jahren. Doch die ­Rückkehr ­dauerte nur 35 Minuten. von alex feuerherdt

Die wenigen Zuschauer, die am vor­letzten Sonntag im Bonner Vorort Oberpleis das Landesligaspiel des gastgebenden TuS gegen den 1. FC Rheinbach verfolgten, rieben sich verwundert ihre Augen: Der ältere Herr, der da bei den Gästen im Tor stand, war doch garantiert schon über 50! Außer­dem schien er eine frappierende Ähnlichkeit mit einem früheren Keeper von Borussia Mönchengladbach und der deutschen Nationalmann­schaft zu haben. Doch das konnte ohne Zweifel nur eine optische Täuschung sein, denn dessen aktive Zeiten liegen ja schon eine Weile zurück.

Aber er war es tatsächlich und leibhaftig: Im reifen Alter von 61 Jahren gab Wolfgang Kleff in der sechsthöchsten deutschen Spielklasse sein Comeback. Jener Kleff, der mit den Gladbachern während der glorreichen Zeiten dieses Clubs in den siebziger Jahren viermal Deutscher Meister wurde, einmal den DFB-Pokal gewann und 1975 sogar den Uefa-Cup an den Niederrhein holte. Eigentlich darf Kleff sich sogar Welt- und Europa­meister nennen. Allerdings saß er bei der EM 1972 und der WM 1974 nur auf der Bank. Denn im Tor stand damals Sepp Maier, und an dem gab es einfach kein Vorbeikommen. Deshalb brachte Kleff es auch nur auf sechs Einsätze als Nationalspieler – ausnahmslos in Freundschafts­­spielen.

Seine langjährige Laufbahn als Profi beendete der Westfale, der wegen seiner äußerlichen Ähn­lichkeit mit Otto Waalkes meist »Otto« gerufen wurde, 1987 mit 40 Jahren beim damaligen Zweit­ligisten FSV Salmrohr; zuvor hatte er nach seiner Zeit bei Borussia Mönchengladbach – wo­hin er zwischenzeitlich noch einmal für zwei Jahre zurückgekehrt war – für Hertha BSC Berlin, Fortuna Düsseldorf, Rot-Weiß Oberhausen und den VfL Bochum zwischen den Pfosten gestanden. Doch ganz aufhören mochte Kleff danach nicht, und so hütete er etliche Jahre bei verschie­denen Amateurvereinen das Tor; noch im Jahr 2000 stand er – als damals 54jähriger – im Kader des seinerzeitigen Regionalligisten KFC Uerdingen. Seit einigen Jahren führt er gemeinsam mit Ernst Middendorp eine internationale Fußballschule im niederrheinischen Baesweiler; seine Torwarttätigkeit beschränkt Kleff inzwischen auf Freundschaftsspiele von Prominentenmannschaften.

Das änderte sich nun jedoch, als der 1. FC Rhein­bach dringend einen Schlussmann benötigte. Beim Sechstligisten aus der Nähe von Bonn fällt Stammtorwart Sebastian Heiliger mit einem Schien- und Wadenbeinbruch noch für längere Zeit aus, und auch der Reservetorhüter Marcus Westphal hatte sich für die Partie beim TuS Oberpleis wegen eines Trauerfalls abgemeldet. Der Club suchte daher händeringend nach einem kurzfristigen Ersatz, »aber wir bekamen nur Absagen«, wie Sportdirektor Lothar Niemeyer berichtete. Also organisierte Niemeyer spontan die Rückkehr von Kleff – für den früheren Vizepräsidenten des MSV Duisburg die normalste Sache der Welt: »Erstens kenne ich den Wolfgang seit dreißig Jahren, und zweitens ist der Mann immer noch fit wie ein Turnschuh.« Die Verpflichtung sei jedenfalls kein PR-Gag gewesen: »Wir stecken mitten im Abstiegskampf, da brauchen wir einen, der es kann, und nicht einen für die Galerie.«

Kleff sagte nach einem Tag Bedenkzeit zu, kümmerte sich gemeinsam mit Niemeyer beim zuständigen Westdeutschen Fußball- und Leicht­athletikverband (WFLV) in Duisburg um die Spielberechtigung und feierte schließlich auf dem Oberpleiser Kunstrasenplatz sein Comeback. Dabei lief zunächst alles nach Plan. »Wolfgang war souverän wie in alten Zeiten und di­rigierte gekonnt seine Mitspieler«, schwärmte Niemeyer. »Er sprach sie mit ihren Rückennummern an, denn die Namen konnte er in der kurzen Zeit natürlich nicht mehr lernen.« Der 61-jährige Neuzugang hielt seinen Kasten sicher und routiniert sauber, und in der 27. Minute gingen die Rheinbacher sogar mit 1:0 in Führung.

Doch acht Minuten später kam es anders. »Ein gegnerischer Stürmer kommt auf mich zu, ich laufe ihm entgegen und versuche, den Winkel zu verkürzen«, schilderte Kleff gegenüber der Jungle World, wie aus dem Fußballmärchen ein kleines Drama wurde. »Von einem meiner Mitspieler wird er noch leicht geschubst, da kommt er ins Straucheln, und wir rasseln zusammen. Dabei rammt er mir sein Knie unabsichtlich in den hinteren rechten Oberschenkel.« Die Konsequenz daraus: Kleff musste ausgewechselt wer­den – »ich wollte zwar unbedingt weitermachen, aber es ging einfach nicht mehr«. Mit dem Ersatzmann – einem auf der Bank sitzenden Feldspieler – kassierte der 1. FC Rheinbach fünf Minuten später den Ausgleich und schließlich noch drei weitere Gegentore. Die Partie endete mit einem 4:1 für Oberpleis; zudem erhielten zwei Rheinbacher Spieler eine rote Karte.

Kleff bereut seine Entscheidung trotzdem nicht. »Ich war der einzige Gewinner auf Rheinbacher Seite«, scherzte er, »immerhin stand es 1:0 für uns, als ich raus bin.« Seine Ziele – »Ich wollte der Mannschaft helfen, mich nicht blamieren und möglichst kein Gegentor bekommen« – habe er jedenfalls erreicht. Die Abstimmung mit den Verteidigern sei dabei unproblematisch gewesen: »Ich habe ihnen gesagt, dass sie sich nicht so weit reindrängen lassen sollen, und das hat dann auch sehr gut geklappt.« Seine Sprungkraft sei zwar nicht mehr so ausgeprägt wie früher, »aber schnell unten bin ich immer noch, und an Ehrgeiz mangelt es mir so­wieso nicht«. Ein bisschen nervös sei er vor der Partie trotzdem gewesen, gab Kleff zu, »schließ­lich ging es für den Verein um viel, und man hat sich von meinem Einsatz ja auch etwas erhofft«. Ob er sich auf seine Rückkehr besonders vorbereitet habe? »Ja, ich bin am Vorabend kon­zentrierter als sonst ins Bett gegangen. Extraschichten habe ich aber nicht eingelegt.«

Die Nachwirkungen seines Comebacks spürt Wolfgang Kleff auch Tage später noch, und das in zweifacher Hinsicht. Zum einen ist da ein schmerzhafter Bluterguss, die Folge des Zusammenpralls mit dem Oberpleiser Stürmer: »Der Oberschenkel ist weiterhin geschwollen, und ich kann kaum laufen. Manchmal merke ich mein Alter eben doch.« Zum anderen war das Medien­echo riesengroß, wie Kleff erzählte: »Ich war total baff. Alle möglichen Zeitungen riefen an, und sogar Premiere und das DSF wollten was von mir.« Dennoch bleibe das Spiel für den 1. FC Rheinbach eine Ausnahme: »Man soll zwar nie ›nie‹ sagen. Und wenn mir ein Verein 10 000 Euro bieten würde, käme ich vielleicht noch mal ins Grübeln.« Allerdings frühestens in der nächsten Spielzeit: »Jetzt habe ich ja einen gültigen Spielerpass des 1. FC Rheinbach. Und das heißt: Bis zum Ende der Saison bin ich definitiv unverkäuflich.«