Die dritte Welle

Mit dem Schlagwort »Popfeminismus« wird hierzulande ein Update des Femi­nismus versucht, der Kapitalismus- mit Kulturkritik verbindet. In den USA gibt es diesen Ansatz schon länger, er ist als »Third Wave Feminism« bekannt. von tara hill, basel
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»Du hast einen Grund zum Feiern: Du hast eine Möse und Du bist eine Frau, die weiß, was sie will. Stehe dazu, Bitch!« Das erste der »Zehn Gebote des Vagina Styles« von Lady Bitch Ray zeigt die Generationsunterschiede zwischen den Fe­ministinnen: Hier die 27 Jahre junge, deutsch-türkische »Porno-Rapperin«, da die entsetzte ­Reaktion feministischer Vertreterinnen, die von 1968 schwärmen.

»Popfeminismus« nennt Sonja Eismann in ihrem Buch »Hot Topic« das Bestreben, die feministische Agenda innerhalb der Popkultur neu zu erfinden und beruft sich dabei auf die »Girl Power«-Bewegung der frühen neunziger Jahre, als »Rrriot-Grrrl«-Bands wie Bikini Kill sich vor tobenden Frauenmassen die BHs vom Leib rissen. Heute hat sich der harsche Ton gemäßigt, doch die Tradition der Girlzines und des Ladyfests hat sich bis in die Gegenwart in subkulturellen Szenen behauptet, gerade weil ihnen der Mief der Altfeministinnen mit ihren ewiggleichen Forderungen abgeht.

Mit dem Begriff »Popfeminismus« ist daher auch mehr gemeint als ein weiteres zeitdiagnostisches Schlagwort. Eismann betont, dass es nicht um einen »neuen« Feminismus gehe, da ja die Forderungen des »alten« noch nicht erfüllt seien. Es gehe auch nicht darum, dass der Feminismus glamourös und cool werden müsse, wie das von so manchen popbeflissenen Feministinnen gepredigt werde. Frauen würden bereits jetzt schon genug Selbstdisziplinierung leisten müssen.

Diese Aussage bringt das Projekt auf den Punkt: In Zeiten des neoliberalen Imperativs der »Ich-AG« muss auch das Themenfeld des Feminismus beständig umgedeutet werden. Denn wo Karriere­denken und Eigenverantwortung auch die Frauen in Beschlag nehmen und der Lohn zunehmend als leistungsabhängiger Bonus ausbezahlt wird, reicht die simple Forderung »gleicher Lohn für gleiche Arbeit« nicht mehr aus.

Der Feminismus muss mit der gesellschaftlichen Realität Schritt halten und gleichzeitig Fallgruben wie Eva Hermans »Frauen-zurück-an-den-Herd«-Parolen vermeiden. Doch Karrieredenken mit kämpferischer Humorlosigkeit und Lustfeind­lichkeit zu bekämpfen scheint allerdings ein wenig probates Mittel. Darum zielen auch Alice Schwarzers Angriffe so oft ins Leere: Emma spricht die urbane Karrierefrau, die nachts im Club feiern geht, nicht mehr an; zu einseitig sind ihre Anschul­digungen gegen die Männerwelt, zu schwarz-weiß das Weltbild der siebziger Jahre. »Nicht das Thema Feminismus frustriert junge Frauen, sondern die Leute, die ihnen sagen, es gibt nur einen rich­tigen Feminismus«, konstatierte Amy Richards von der »Third Wave Foundation« vor einem Jahr.

»Third Wave Feminism« nennt sich die neue ­Generation der Feministinnen in den Vereinigten Staaten. Im Unterschied zum hierzulande oft bemühten »Postfeminismus« versteht sich die dritte Welle als explizit feministisch und versucht darüber hinaus, festgeschriebene Defini­tionen aufzubrechen. »Es reichte nicht mehr, Frauen zu sein. Wir waren anders. Es reichte nicht mehr, lesbisch zu sein. Wir waren anders. Es reich­te nicht mehr, schwarz zu sein. Wir waren anders«, proklamierte die amerikanische Schriftstellerin und politische Aktivistin Audre Lorde bereits 1983.

Der »Third-Wave Feminism« hat sich diese These angeeignet: Im Zentrum steht nicht mehr die binäre Opposition Frau–Mann, sondern die Analyse vielfältiger Machtverhältnisse, die die so­ziale und symbolische Ordnung einer Gesellschaft konstituieren. Dazu gehören neben den dominierenden »Identitätsachsen« Rasse, Klasse und Geschlecht auch Ethnizität, sexuelle Orientierung, Alter oder Gesundheit. In den »Gender Studies«-Instituten Nordamerikas sind solche »intersek­tionalen« Analysen längst Standard, denn schließ­lich betrifft die Geschlechterordnung nicht nur Frauen, sondern auch beispielsweise schwule Män­ner ganz erheblich.

Theoretisch orientiert sich der Feminismus der dritten Welle an der Postmoderne, das heißt an den poststrukturalistischen Sozialtheorien Michel Foucaults, Jacques Derridas oder Judith Butlers. Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass das vulgärmarxistische »Basis–Überbau«-Modell verworfen wurde und stattdessen die konkrete Auswirkung gesellschaftlicher Symbole und Diskurse auf die subjektive Körperwahrnehmung un­tersucht wird. Gleichzeitig werden vermeintlich natürliche Kategorien wie Rasse und Geschlecht als gesellschaftliche Konstrukte entlarvt.

Die »Queer«-Bewegung versucht, das Potenzial neuer Geschlechterrollen und die ironische Dekonstruktion von Gender-Stereotypen nicht nur theoretisch zu beschwören, sondern ins Alltagsleben zu integrieren: Etiketten wie »schwul«, »transsexuell« oder »hetero« werden dabei kritisch hinterfragt und aufgebrochen, damit sie nicht Gefahr laufen, das eigene Leben stärker ein­zuschränken, als den Protagonisten lieb sein kann.

Diese politische Stoßrichtung unterscheidet den »neuen« Feminismus, der eigentlich bereits während der achtziger Jahre entstand, sowohl vom zumeist bloß an individuellen Aufstiegs­chan­cen orientierten Postfeminismus der Frauenzeitschriften sowie vom Alt-Feminismus, dessen größ­tes Manko der Ausschluss der Männer war. Denn wie soll man für Gleichberechtigung kämpfen, wenn man das andere Geschlecht aus der Debatte ausgrenzt?

Wichtigste Eigenschaft des Popfeminismus ist denn auch sein Potenzial, als Sprachrohr junger Frauen zu fungieren. Mögen Diskussionen um Sinn und Unsinn der Intimrasur, wie sie nach der bewusst unrasierten Electroclash-Künstlerin Peaches und ihrem letzten Album »Impeach My Bush« auch TV-Moderatorin Charlotte Roche in »Feuchtgebiete« aufgenommen hat, zunächst altmodisch erscheinen, sorgte ihr unverbrauchter Zugang zum Thema für ein Medienecho, das noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre.

Denn mit ihrer Losung »Ich will Mainstream werden« verweist Peaches darauf, dass ihr bewusster Umgang mit Sexualität noch lange nicht so begeistert bejubelt wird wie ihre Musik. Der Begriff Popfeminismus kann in dieser Angelegen­heit vielleicht für etwas frischen Wind in den Köpfen sorgen. Denn wie Eismann erklärt, soll mit Popfeminismus die Kritik von Popkultur mit einem feministischen Instrumentarium geleistet werden. Die Generation, die mit Popkultur sozialisiert wurde, sollte Kultur zu einem streitbaren Feld machen und Popmusik, Fernsehen oder Werbung genauso wie Gesetze mit feministischen Mitteln kritisieren.

Auf keinen Fall aber sollten vor lauter Euphorie über den Popfeminismus die noch längst nicht erfüllten Postulate der zweiten Frauenbewegung in Vergessenheit geraten. Vielmehr sollte das nächste Ziel sein, einen generations­über­grei­fen­den Dialog aufzubauen, bei dem Kapitalismus- und Kulturkritik in einen Austausch treten, um eine im besten Sinne »intersektionale Analyse« der gegenwärtigen Verhältnisse leisten zu können. Das kürzlich erschienene Buch »Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht« von Meredith Haaf, Susanne Klingner und Barbara Streidl etwa leistet bereits den Spagat zwischen einem zeitgemäßen Tonfall und dem uralten Anliegen einer gleichberechtigten Arbeitswelt.

Eine größere Herausforderung dürfte es hingegen sein, Alice Schwarzer von Lady Bitch Ray zu überzeugen. Auch wenn die Unterschiede zwischen den beiden Aktivistinnen so groß gar nicht sind: »Bring Deine Ausbildung zu Ende, wenn Du kannst, dann studier! Versuche, unabhängig zu werden und es zu bleiben. Und tu mir bitte einen Gefallen: Definier Dich nicht über einen Typen«, lautet ein weiteres Gebot von Lady Bitch Ray. Ein grundsolides feministisches Postulat, das in die Sprache der Jugend verpackt ist.