Happy Hour

Glück ist relativ und ein flüchtiger Stoff. In Dresden wird es in einer Ausstellung geehrt. Von Jürgen Kiontke

Herzlichen Glückwunsch: Vor den Hallen der Ausstellung »Glück – welches Glück?«, mit der sich das Dresdner Hygienemuseum auf Glückssuche macht, haben die Hausdesigner auf Publikums­beteiligung gesetzt. Auf vielen bunten Post-its hat die Besucherschar ihre Glücksvorstellungen an die Wand und in den Wind gehängt. Von unten bläst der Fön eine sanfte Brise über die Zettelwiese.

Was also ist Glück für den Glücksausstellungs­besucher? »Mein Hund«, »Ein Geschenk bekommen« und natürlich: »Ein Sieg für Dynamo Dres­­den«, denn nebenan ist das Rudolf-Harbig-Stadion.

Auch »Drogen«, »Eis«, »Zeit«, »Liebe« und »Wenn man Luft anfassen kann« halten manchen bei der Stange. Die »Haut« darf ebenso ­we­nig fehlen wie: der »Fick«. Dem nächsten hat’s die »Homosexualität« angetan, gefolgt von »Oma und Opa«. Das glaubt man, dass die glück­­­­lich machen. »Männer« machen glücklich, we­­nigs­­tens »Robert« und »Michael«. Frauen sind auch pures Glück – etwa wenn sie »Mama« heißen.

Eines Tages sind sie aber alle tot, deswegen mischen sich »Gewalt und Zerstörung« ein. Und wenn Glück heißt, dass keine Wünsche mehr offen sind, müsste der Tod das Paradies sein. Ist man da nicht ohne Glück glücklicher?

Der Weg in die Glücksausstellung führt daher ganz zwiespältig durch einen Bogen dorniger Rosen. Denn das Sujet ist scheu und meist mit Schmerz verbunden.

Glück ist relativ im ersten Ausstellungszimmer. Verschiedene Zeiten, verschiedenes Glück: Islam, Christentum, Thora empfangen den Besucher. Yogi-Fliegen ist okay, tanzende Ele­fan­ten­götter auch. Kommunismus und soziale Marktwirtschaft fehlen ebenso wie gutes Wetter und lange Arbeit. Der erste Raum, als Pa­villon gestaltet, versammelt die Träume berühm­ter Leute. Hier steht die Religion im Mittelpunkt. Denn Glück ist zuallererst Befriedigung der Sinne, das verdeutlicht das große Büfett aus Häkelwolle. Sex gehört natürlich auch da­zu.

Aber: Der Körper ist auch eigenwillig, gebrech­­­­lich. Wo er versagt, kommt die Religion ins Spiel: Man muss sich sein Glück denken. Und der Körper versagt oft.

Der rote Faden ist klar: Die Ausstellung »Glück – welches Glück?« will das Streben nach dem Glück als eine Grundkonstante des Menschseins begreifen. Gleichzeitig will sie, schön aufgebaut von dem Künstler Meschac Gaba, nach dem gelingenden Leben fragen.

Nach dem ersten, Spiritualität und Utopie her­beizitierenden Raum folgt das »Restaurant« – hier warten Objekte von Genuss und Verteilung. Der »Sport«-Raum spürt modernen Helden nach – eine Taucherausrüstung steht hier, Filme zeigen gutgelaunte Extremsportler.

Um den sagenumwobenen Glücksforschungs-Topos, den »Flow«, geht es hier. Mit dem Flow hat es dies auf sich: Wer an – wohlgemerkt: an, nicht über – die Grenze der sportlichen Belastung geht und sich dort eine Weile aufhält, soll in einen tranceähnlichen Zustand geraten. Das Gehirn schüttet viele Endorphine aus. Der Fußballer Ronaldinho hat über den »Flow« bemerkt, als er ihn noch hin und wieder hatte, dass sich die Spieler um ihn herum viel langsamer beweg­ten als er selbst, wie in Zeitlupe. Fazit: Wer den Flow hat, kann gemütlich durch jede Abwehr marschieren.

Und wo sticht der Flow? Er tut es im Gehirn. Es ist heutzutage die ganz große Glücksmaschine. Seitdem es in den Blick der Glücksempirie geraten ist, sieht man es mit anderen Augen. Ganze Neurowissenschaften sind entstanden, sogar die Psychiater lernen dazu. Und das ist ein Glück. Denn wo sie heute die Gehirnelektrik messen, haben sie früher einfach die Stromkabel hingepappt.

Ist die Hand glücklich, wenn sie in warmes Was­ser taucht? Nein, das Gehirn ist glücklich, sagt die Forschung. Den ganzen Menschen liefern, das wagt die Universitätsmedizin nicht. Auf Krankenschein gibt es derzeit nur Einzelteile: Was früher Schlaraffenland hieß, das heißt heute präfrontaler Kortex, linker und rechter vorderer Stirnlappen. Sind sie aktiv, wird man euphorisch.

Der so parzellierten Kopffüllung setzt das Mu­seum ein Denkmal. Ein Gehirn, dem eine Rose entspringt, ist das Emblem der Ausstellung. Im Raum »Neuronen« lässt sich im Gehirn gut spazieren gehen.

Die Glücksreste stehen so im gut eine Stunde währenden Rundgang herumverteilt, es gibt da noch das künstliche Glück der Kosmetikindus­trie, sozusagen das Gebrauchsglück. In diese Ka­tegorie fällt auch das Glück durch Reichtum, ver­sinnbildlicht in einer Wand aus Glasbausteinen, deren jeder einen Geldschein enthält.

Was die Menschen für ihr Glück halten – Reich­tum, Macht, Gerechtigkeit, Liebe –, das ist seit jeher von den kulturellen, ökonomischen und religiösen Bedingungen geprägt, unter denen diese Vorstellungen entwickelt wurden. Das ist der Stand der Forschung. Das Museum widmet ihm einen schönen Erlebnisparcours.

Die Ausstellung muss aber auch sozialkritisch und pädagogisch sein, und das heißt: Sie muss nachdenkliche Schulklassen produzieren. Deren Einzelteilen teilt man hier ganz im Sinne bürger­licher Philosophie mit, dass Glück nie ohne sein Gegenteil zu denken sei, dass Unglück, Schmerz und Verlust gleichwertige Bestandteile des mensch­lichen Lebens seien.

Und sie kommen auch entschieden häufiger vor – dahingehend mahnen ausstellungskompa­tible Kulturkritiker wie etwa Arthur Schopenhauer.

Dieser Realität ist also geschuldet, dass man dem Unglück, dieser Differenz aus Anspruch und Sein, ein Eckchen freiräumt: Man illus­triert es mit Autounfällen und Flugzeugabstürzen. – Aber vielleicht saß ja jemand im Flugzeug, mit dem man noch eine Rechnung offen hatte? Dann wäre der Absturz das reinste Glück.

Das Glück ist nicht nur flüchtig, es ist auch ganz schön kompliziert. Einige Glücksmomente fehlen auch. Ich vermisse Elternglück, das macht manche Menschen doch sehr euphorisch. Ich vermisse auf den Fußboden aufgeklebtes Geld . Und ich vermisse Georges Batailles’ Buch »Die Tränen des Eros«, das Fotos von der chinesischen Folter der 100 Teile zeigt, auf denen die Geteilten einen so euphorischen Gesichtsausdruck haben. Glück und Schmerz, schön und gut. Aber Glück durch Schmerz, das kriegt die Ausstellung nicht so recht zusammen.

Dafür die Statistik: Der deutsche Mensch ist gar nicht so unglücklich, wie er immer tut. Auf der nach unten offenen und nach oben mit dem sozial sicheren Dänemark verschlossenen Glücks­skala nimmt er einen respektablen 21. Platz ein. Soll heißen: Sozialsysteme und Zentralheizungen sind zwar keine Garantie fürs Glück. Auf der Suche nach ihm richten sie indes auch mit Sicherheit keinen Schaden an.

Überhaupt: Wer sich sicher fühlt, ist dem Glück näher, dies entspricht auch der in der Glücksforschung unumstößlichen Maslowschen Bedürfnispyramide. Die geht so: 1) Grund­bedürfnisse, 2) Sicherheitsbedürfnisse, 3) So­zia­le Beziehungen, 4) Soziale Anerkennung, 5) Selbstverwirklichung.

Nirgendwo sind diese fünf Ebenen, die Glück ganz ohne offenes Gehirn ermöglichen, so schön in einem Symbol zusammengedacht, wie in der Skulptur, die in dieser kleinen, feinen Ausstellung irgendwo in der Ecke steht: Eine große (soziale Anerkennung) Maus (Grundbedürfnis) sitzt vor einer Mausefalle (soziale Beziehung) mit dem Käse (Selbstverwirklichung). Ihren Kopf schützt sie mit einem Bergsteigerhelm (Sicherheit).

»Glück – welches Glück?« Hygienemuseum Dresden. Bis 2. November 2008, www.dhmd.de