Tampon und Tabu

Charlotte Roche hat ein Buch über Hygiene­zwang, Hämorrhoiden und weibliche Lust geschrieben, und alle reden da­rüber. Ist der vermeintliche Tabubruch von »Feuchtgebiete« geschicktes Marketing oder der Anfang eines neuen Feminismus? von Jessica Zeller

In den vergangenen Wochen waren Charlotte Roche und ihr literarisches Erstlingswerk Dauerbrenner der Medien. Vom Spiegel über die FAZ bis zum Playboy ließ es sich niemand nehmen, die »Queen of German Pop Television«, wie sie Harald Schmidt einmal nannte, zu interviewen. Es galt, ihren Roman mit dem hübschen Titel »Feuchtgebiete« zu vermarkten.

Dass die Werbekampagne sehr erfolgreich ist, liegt an zwei Dingen. Zum einen gilt »Feuchtgebiete« als Skandalbuch, noch dazu als ein sich mit der Sexualität befassendes, und damit ist es per se ein Medien­thema. Sex sells, das ist nun wirklich kein Geheimnis. Je tabubrecherischer die Darstellung körperlicher Liebe daherkommt, desto besser. Und an Grenzüberschreitungen mangelt es in dem Roman nun wirklich nicht. Auf gut 200 Seiten thematisiert die 18jährige Ich-Erzählerin Helen Memel ungeniert Probleme und vor allem Körperzonen, von denen man sonst wenig liest, geschweige denn, dass offen über sie gesprochen würde. Kacke an der Eichel nach dem besonders erfolgreichen Analverkehr, keimende Avocadokerne (in die Muschi stecken und damit innerhalb von Sekunden zum Höhepunkt kommen), und Hämorrhoiden, die der missglückten Rasur im Analbereich zum Opfer fallen, sollen an dieser Stelle als Stichworte genügen, um sich eine ungefähre Vorstellung davon machen zu können, womit die Autorin den alltäglichen Diskurs sprengt.

Viel wichtiger jedoch ist der zweite zentrale Punkt der Marketingstrategie. Und der ist Charlotte Roche selbst. Hätte irgendeine unbekannte Autorin das Buch geschrieben: geschenkt. Mit der unkonventionellen ehemaligen Viva-Moderatorin aber bekommt die literarische Fiktion ein passendes Gesicht. Man kann sich dem Eindruck nicht entziehen, dass Helen Memel und Charlotte Roche im Wesentlichen ein und dieselbe Figur sind, auch wenn die Autorin betont, dass nur »et­wa 70 Prozent« der Romanfigur auf autobiogra­fischen Erfahrungen basierten und der Rest frei erfunden sei. Helen, das ist die unverschämt direkte und jugendlich ungehemmte Frau, die ganz subjektiv – wie auch sonst – alles Körper­liche an sich selbst erlebt: pinkeln, kacken, ficken, stinken. Charlotte Roche ist ihr zwölf Jahre älteres Pendant, das die im Roman zur Sprache kommen­den Inhalte theoretisch reflektiert und an besonders krassen Stellen relativiert, wodurch sie erst verallgemeinert werden können.

Während die »Arschpatientin« Helen (Stichwort: abrasierte Hämorrhoiden) direkt nach der Operation ihre Tage kriegt und erst mal einen blutverschmierten Finger abschleckt, um später im Krankenhaus blutgetränkte Tampons zu verteilen, erzählt die vermeintliche Fernsehrebellin in Interviews von ihrer offenen Abneigung gegen »parfümierte Slip­einlagen«, die die Botschaft vermitteln würden, »dass man es schaffen muss, auch abends noch frisch zu sein, damit man beim Sex nicht so doll nach Frau riecht«.

Helen nimmt sich, was sie kriegen kann – ob von Männern, Avocadokernen oder Duschköpfen, und Charlotte formuliert die entsprechende Kritik an Blümchensex und passiver weiblicher Lust. »Zum Beispiel, dass guter Sex heißen muss, dass ein Mann die Frau erst mit Rosenblättern be­streut, sie sich dann noch ein bisschen ziert und schließlich seinen feurigen Küssen verfällt. So wird Sex aber niemals sein. Sex ist doch viel derber als dieser rosa Kuschelquatsch«, wie sie dem Magazin Neon sagte. Wenn die spätpubertäre Romanfigur davon berichtet, wie gern sie in den Puff geht, da es nur dort möglich sei, sich Frauen mal richtig untenrum anzugucken und ordentlich zu lecken, berichtet Roche dem Playboy von ihrer Vorliebe, sich von Zeit zu Zeit mal einen Porno anzusehen – »Aus Neugier. Zur Entspannung, Aufgeilung, Inspiration.«

Mit Verweis auf die PorNo-Kampagne der Zeitschrift Emma kontert Roche im Gespräch mit dem Spiegel rotzig: »Ich habe keine Lust, Frau Schwarzer erst um Erlaubnis zu fragen, bevor ich im Bett richtig loslege.« Im Anschluss bezeichnet sie sich als Feministin, ein Wort, das Helen zwar nicht kennt, aber praktisch sexuell in seiner ganzen Dimension zu begreifen scheint, wenn sie sagt: »Die Muschivorderwand fühlt sich dagegen wirklich an wie ein Waschbrett in klein. Wenn ich da feste gegendrücke, habe ich das Gefühl, dass ich mir gleich über die Hand pinkele, und komme meistens sofort. Wenn ich so komme, schießt oft auch eine Flüssigkeit da raus, wie Sperma. Gibt, glaube ich, keine großen Unterschiede zwischen Männern und Frauen.«

Sicherlich lohnt es sich, mal darüber nachzudenken, wie man eigentlich Sex haben will – rasiert und clean oder schwitzig und überall mit Haaren verklebt? Oder darüber, warum die ei­gene Muschi eigentlich keinen Spitznamen hat und ob das mit dem Avocadokern auch bei einem selbst geht. Doch die literarische und stilistische Qualität von »Feuchtgebiete« zu bewerten, ist müßig und im Zweifel sogar kontraproduk­tiv. Denn wie Jenni Zylka in der taz schrieb, funk­tioniert der Roman »nur auf der Ebene der Provokation«, und die Story ist außerordentlich dünn. Helen liegt pausenlos im Krankenbett und langweilt sich, und man fragt sich, wie sie eigentlich zu dem versauten Stück wurde, das sie vorgibt zu sein. Als geradezu platt erweist sich auch der übergeordnete Handlungsrahmen des Schleimpornos. Denn eigentlich ist die Heldin frei nach dem Motto »harte Schale, weicher Kern« mit der Mission im Krankenhaus, ihre geschie­denen Eltern wieder zusammenzubringen. Als die­ser Plan auch nach einer selbstverschuldeten zweiten Notoperation scheitert, zieht sie nach ihrer Entlassung zum verständnisvollen Krankenpfleger Robin, von dem man auch nicht genau weiß, welche Rolle er in der ganzen Geschichte eigentlich spielt. Charlotte Roche hätte wohl besser in ihrer neuen Sendung bei 3Sat namens »Charlotte Roche unter … «, in der unbekannte Berufe im Mittelpunkt stehen, einen Puff aufgesucht und bei den Huren dort mal nachgefragt, wie es so läuft. Denn vor der Kamera ist sie sicherlich besser als hinter dem Schreibtisch.

Doch die Provokation der deutschen Gesellschaft ist es, die man Charlotte Roche, trotz aller literarischen Belanglosigkeit, hoch anrechnen muss. Denn den Kontext, in dem das Buch erscheint, sollte man nicht außer Acht lassen, und der heißt in diesem Fall: Deutschland, verklemmt Vaterland. Hin und wieder diskutiert man hierzulande zwar über die Frage, warum Bäcker mehr verdienen als Bäckerinnen, doch für feministisch hält man es bereits, wenn in langweiligen Talkshows über den mangelnden Nachwuchs von Aka­demikerinnen debattiert wird oder Alpha-Mädchen präsentiert werden und zwei Interviews mit Alice Schwarzer pro Woche.

Aus diesen Gründen muss man Charlotte Roche verteidigen. In alter Riot-Grrrl-Manier bringt sie Themen in die Geschlechterdebatte ein, die zwar den Frauenkörper betreffen, aber auf eine Kritik am männlichen Frauenbild zielen. Roche hat ihr Image als »freches Mädchen, dem alles erlaubt ist«, nicht nur benutzt, um ihr Buch zu verkaufen. Statt über »untenrum« zu stammeln, hat sie ­einer Art, über Sexualität zu reden, Gehör ver­schafft, mit der seit einiger Zeit auch andere Frauen versuchen, den feministischen Diskurs aufzurütteln. Der Medienhype um Roches Buch hat bei einigen rote Köpfe und schwitzende Hände verursacht. Mal schauen, ob die Feuchtgebiete, die sie mit ihrem Buch hinterlässt, wieder austrocknen, wenn der Hype vorbei ist.