Zug nach Kielce

Cécile Wajsbrot wurde 1954 in Paris als Tochter jüdisch-polnischer Eltern geboren, war Redakteurin bei den Nouvelles Littéraires und Literaturkritikerin vor allem für Le Magazine Littéraire. Seit 1982 hat sie einige Romane geschrieben, darunter 2007 den vielbeachteten Titel »Der Verrat« über die Kollaboration. Bereits 2005 erschien »Mémorial«, der jetzt unter dem Titel »Aus der Nacht« auf Deutsch veröffentlicht wurde.

Am Beginn steht die Reise einer jungen Frau nach Polen. Nur sehr langsam gibt die lyrisch-abstrakte Prosa in Rückblicken die Konturen einer weiblichen Biografie der zweiten Generation preis. Erschreckend konkret nehmen sich die polnischen Ortsnamen »Oswiecim«, »Katyn« und »Kielce« aus.

Kielce – es ist ein produktiver Zufall, dass das Erscheinen von »Aus der Nacht« in Deutschland zusammenfällt mit der Debatte, die das Buch des polnischen Historikers Jan Tomasz Gross über Antisemitismus in Polen nach Auschwitz ausgelöst hat. »Fear« beleuchtet das Pogrom im südöstlichen Kielce, bei dem am 4. Juli 1946 36 Juden von Polen gelyncht wurden. »Aus der Nacht« umkreist die innerhalb der Familie tabuisierten Vorgänge in Kielce. Zwar macht die Erzählerin es sich und den Lesern nicht gerade leicht, die Familiengeschichte und den schamhaften Umgang damit zu entschlüsseln. Aber die Mühe der Rekons­truktion lohnt. »Aus der Nacht« ist ein beeindruckendes Buch, das in der radikalen Verstörung, das es hervorruft, noch lange nachhallt.

Cécile Wajsbrot: Aus der Nacht. Liebeskind, München 2008, 218 Seiten, 19,80 Euro