Am Pranger

Die Anwältin Eren Keskin ist wegen »Verunglimpfung des Türkentums« verurteilt worden. kommentar von sabine küper-büsch

Was hat Eren Keskin getan, um mit sechs Monaten Gefängnis bestraft zu werden? Verurteilt wurde sie am Donnerstag voriger Woche wegen »Verunglimpfung des Türkentums«. Grundlage des Urteils ist ein Interview mit dem Berliner Tagesspiegel. Die Zeitung zitierte Keskin am 26. Juni 2006 mit der Aussage, der bewaffnete Überfall auf Richter des Obersten Verwaltungsgerichts im selben Jahr sei kein Angriff auf den Staat gewesen, sondern habe den autoritären, laizistischen Kreisen gedient, die auf das Militär als politische Macht setzen.

Der nationalistische Anwalt Alparslan Arslan hatte am 17. Mai auf fünf Richter geschossen, einer erlag seinen Verletzungen. Arslan gab nach seiner Verhaftung an, den Anschlag verübt zu haben, da die Richter eine Lehrerin vom Dienst suspendiert hatten, weil sie auf dem Weg zur Arbeit ein Kopftuch trug.

Nach dem Anschlag kam es vor allem in Ankara zu regierungskritischen Protesten. Später stellte sich heraus, dass Arslan Kontakte zu Rechtsex­tremen unterhielt, die einer nationalistischen Terrororganisation angehörten, welche alles daran setzt, um die Beziehungen zu Europa zu stören und politische Instabilität zu erzeugen. (Jungle World 05/08) Keskin hatte im Interview mit dem Tagesspiegel gesagt, bislang sei keine Regierung in der Türkei in der Lage gewesen, unabhängig vom Militär Politik zu machen. Der Generalstab forderte die Anwaltskammer Anfang des Jahres auf, deswegen ein Disziplinarverfahren gegen Keskin einzuleiten. Die Kammer, bereits verantwortlich für eine zeitweilige Suspendierung der Anwältin, kam dem Ersuchen nach.

Die sechs Monate Gefängnis sind es sicherlich nicht, die Keskin Sorgen machen, auch wenn die Anwältin sofort Berufung einlegte. Aber eine Verurteilung nach Paragraph 301 gleicht in der Türkei einer mittelalterlichen Prangerstrafe. Auch der ermordete türkisch-armenische Journalist Hrant Dink fiel unter dieses Urteil und ist daraufhin Opfer einer öffentlichen Hetzkampagne geworden, wie Eren Keskin jetzt.

Dass die Regierung sich immer noch nicht dazu durchringen kann, den Paragraphen 301 abzuschaffen, zeigt, wie wenig sie in der Lage ist, den offiziell proklamierten Europa-Kurs in pragmatische Politik umzusetzen. Die Tatsache, dass der oberste Staatsanwalt mittlerweile eine Verbotsverfahren gegen die Regierungspartei wegen anti-laizistischer Aktivitäten anstrebt, verdichtet den Eindruck, dass in der Türkei derzeit die Richter regieren, gelenkt von autoritären Kräften der Staatsbürokratie und des Generalstabs.