Genosse Don Camillo

Linke intellektuelle, schwule und traditionelle Laizisten wollen eine Bresche in die Mauern des Vatikans schlagen, um den zunehmenden klerikalen Einfluss in Italien zu stoppen. von catrin dingler

Antiklerikalismus gehört nicht zur Tradition der italienischen Republik. Der Konflikt zwischen Katholiken und Laizisten ist so ernst zu nehmen wie die komödiantischen Auseinandersetzungen zwischen Don Camillo und Peppone. Die italienische Politik folgt seit jeher dem Drehbuch der populären Verfilmungen von Giovanni Guareschis Erzählungen. Als die Christdemokraten in den Nachkriegsjahren einen unversöhnlichen Antagonismus zwischen Katholiken und Kommunisten predigten, beriefen sich letztere auf ihre katholische Basis, die so genannten cattocomunisti, um sich in der Folge immer wieder und nicht selten in vorauseilendem Gehorsam als die besseren Christen zu profilieren.

Seitdem sich vor wenigen Monaten die aus der Democrazia Cristiana hervorgegangene Splitterpartei Margherita und die linksdemokratischen Nachfolger der Kommunisten zur Demokratischen Partei (PD) zusammengeschlossen haben, sind Katholiken und moderate Linke nun endlich auch formal vereint. Der Kampf um die inhaltliche Ausrichtung der neuen Partei ist jedoch noch nicht entschieden. Obwohl sich der laizistische Flügel der Linksdemokraten um Gavino Angius bereits im Vorfeld der Parteienfusion abgespalten und den sozialistischen und dezidiert laizistischen Kräften des Parlaments angeschlossen hat, bleibt die Orientierung zur katholischen Mitte umstritten.

Den linksliberalen Intellektuellen rund um die politisch-philosophische Zeitschrift Micromega geht es in ihrer Kritik am wachsenden innenpolitischen Einfluss der katholischen Kirche deshalb vor allem darum, eine laizistische Mitte zu verteidigen und den innerparteilichen Kurs des PD in diesem Sinne zu beeinflussen. Diese Absicht wird besonders in der aktuellen Ausgabe deutlich. Das Doppelheft »Der obskurantistische Papst. Gegen die Frauen, gegen die Wissenschaft« befasst sich mit den beiden Hauptthemen der linksliberalen Vatikankritik: die Forderung nach einer strikten Trennung von Kirche und Staat, Wissenschaft und Religion sowie die Verteidigung oder Einforderung ziviler Grundrechte. Doch statt die Kirchenvertreter anzugreifen, stehen die eigenen Parteifreunde im Zentrum der Kritik.

In einem ersten offenen Brief fordert eine Gruppe von Micromega-Autorinnen Walter Veltroni, den Vorsitzenden des PD, dazu auf, sich »klar und unmissverständlich« zum bestehenden Abtreibungsgesetz zu bekennen. In einem zweiten offenen Brief wirft der Herausgeber der Zeitschrift, der Philosoph Paolo Flores d’Arcais, dem Staatspräsidenten Giorgio Napolitano vor, die Absage des Papstbesuchs an der römischen Universität La Sapienza offiziell bedauert zu haben, anstatt die Autonomie und Pluralität und damit auch den laizistischen Protest der Wissenschaftler und Studierenden zu verteidigen. Flores d’Arcais beharrt auf der Trennung von Glauben und Wissen und erkennt, anders als sein langjähriger Freund Jürgen Habermas, in den religiösen Weltbildern kein »Wahrheitspotential«.

Im Verein mit der kleinen und nahezu unbekannten »Union der Atheisten und rationalistischen Agnostiker« (UAAR) bestehen die Intellektuellen um Micromega auf der Einhaltung der in den Lateranverträgen von 1929 garantierten Trennung von Kirche und Staat und der Einhaltung der dazu gehörigen Konkordatsvereinbarung, die die Kompetenzen beider Seiten in Bezug auf religiöse und zivilrechtliche Angelegenheiten regelt.

Im Zentrum der Auseinandersetzung stand jüngst vor allem die Frage nach dem Status nicht verheirateter hetero- und homosexueller Paare. Aufgrund der katholischen Offensive gegen politische Vorschläge zur Anerkennung von Lebensformen, die nicht den römisch-katholischen Wertvorstellungen entsprechen, entstand im Herbst 2005 innerhalb der schwul-lesbischen Transgender-Bewegung das Bündnis »Facciamo Breccia« als Auf­ruf, »eine Bresche zu schlagen«. Der Name ist eine Anspielung auf die Einnahme des römischen Kirchenstaats durch italienische Truppen im September 1870. Damals schlugen die königlichen Soldaten eine Bresche in die Aurelianische Stadtmauer und befreiten Rom von der päpstlichen Vorherrschaft.

Analog dazu wollen die in verschiedenen Städten organisierten laizistischen Bersaglieri (»Schüt­zen«) heute die italienische Öffentlichkeit von der Bevormundung durch die kirchlichen Obrigkeiten befreien und den die Diskussion prägenden »religiösen, reaktionären Moralismus dekon­stru­ieren«. In der Regel marschieren die Anhänger der Gruppe bei Demonstrationen mit rosafarbenen Kardinalshüten, die die Aufschrift »No Vat« tragen. Für antiklerikalen Protest sorgen auch die frocessioni, von »Schwuchteln« organisierte Prozessionsumzüge, die zuerst nur ein Teil der Gay-Parade waren, sich mittlerweile aber zu einer gängigen Demonstrationsform bei öffentlichen Auftritten des Papstes etabliert haben. Inhaltlich bewegen sich diese Gruppen alle im liberaldemokratischen Rahmen. Sie kritisieren die Subalternität der staatlichen Institutionen gegenüber dem Klerus und fordern die zivilrechtliche Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften.

Die »No Vat«-Gruppen beteiligen sich auch an den derzeit stattfindenden Demonstrationen zur Verteidigung des Abtreibungsgesetzes, obwohl die antiklerikale Haltung unter den Frauen, die sich für die vollständige Legalisierung der Abtreibung einsetzen, eher kritisch betrachtet wird. Denn Teile der Frauenbewegung haben sowohl in der Auseinandersetzung um das Abtreibungsrecht, als auch in der Diskussion um das Gesetz zur künstlichen Befruchtung erkannt, dass die Konfliktlinien nicht einfach nur zwischen Kirche und säkularen Bürgern verlaufen und die Annahme, Katholiken und Laizisten stünden sich als verfeindete Gegner gegenüber, schon lange nicht mehr richtig ist.

Im neu entfachten Konflikt zwischen Glauben und Wissen, vertritt die katholische Kirche nämlich keinesfalls mehr durchgängig eine wissenschaftsfeindliche Position. Der Arzt, der einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt, soll nicht wie Giordano Bruno auf dem Scheiterhaufen verbrannt, sondern gegebenenfalls dazu verpflichtet werden, den abgetriebenen Fötus mit Hilfe der neuesten medizinisch-technischen Möglichkeiten wiederzubeleben.

In der vom Mailänder Frauenbuchladen herausgegebenen Zeitschrift Via Dogana, wurde deshalb zuletzt die zunehmende Anpassung der katholischen Kirche an den liberalen, individualrechtlichen Diskurs betont, statt wie üblich, die Asymmetrie zwischen Katholiken und Laizisten festzustellen. Während die Laizisten das Recht auf Selbstbestimmung der Frau verteidigen, begreift der Vatikan auch den Embryo als mündigen Bürger, dem Bürgerrechte zugestanden werden müssten.

Für einen Teil der italienischen Frauenbewegung ist seit den siebziger Jahren klar, dass sich die Entscheidung für oder gegen Schwangerschaft nicht per Gesetz beeinflussen lässt, deshalb plädieren sie für die vollständige Legalisierung der Abtreibung. Trotz der reaktionären, prohibitiven Haltung der Katholiken, betrachten die Feministinnen die vermeintlich fortschrittliche Position der Laizisten kritisch. Denn in vielen Forderungen nach zivilrechtlicher Gleichstellung spiegelt sich das von der katholischen Kultur geprägte Familienmodell, nicht aber eine radikale, emanzipatorische Politik.