Katholisches Product-Placement

Auch ohne politische Partei verschafft sich die katholische Kirche im italienischen Wahlkampf durch ihre rigorose Haltung zur Abtreibung Einfluss. Dabei hilft ihr neuerdings die politische Bewegung der »frommen Laizisten«. von federica matteoni

»In der Wahlzelle sieht dich Gott, aber nicht Stalin«, hieß es 1948 auf einem Plakat der Christdemokratischen Partei (DC) zu den ersten Par­la­ments­wahlen der italienischen Republik. Die Massenpartei der Katholiken gibt es nicht mehr, und trotzdem beteiligt sich die katholische Kirche massiv am derzeitigen Wahlkampf für die Parlamentswahlen am 13. und 14. April. Gottes Rückkehr in die italienische Politik ist bereits seit längerer Zeit spürbar und der politische Interventionismus der katholischen Kirche erreicht heute eine neue Qualität. Als es noch die DC gab, entsandte die Kirche ihre Vertreter in die Politik. Sie hatte es nicht nötig, sich unmittelbar in die politischen Debatten einzumischen, da der christdemokratische Status quo dem Vatikan einen großen gesellschaftlichen und politischen Einfluss garantierte.

Außer der italienischen DC hat es in keinem anderen europäischen Land eine Partei geschafft, länger als 40 Jahre in der Regierungsverantwortung zu stehen. Doch nach dem Zusammenbruch der »ersten Republik« löste sich die Katholikenpartei 1994 wegen eines gigantischen Korruptionsskandals auf. Ein Großteil der christdemokratischen Bürokraten landete im Gefängnis, die Übriggebliebenen versuchten, sich zu reorganisieren. Es entstanden mehrere Splitterparteien im Mitte-Rechts-, sowie im Mitte-Links-Bündnis; die katholische Kirche hatte in der politischen Szene keinen eindeutigen Referenzpartner mehr. Die Partei war verschwunden, aber die katholische Bevölkerung blieb und vor allem Gott. Und so begann die Kirche, insbesondere in den letzten Jahren des Pontifikats von Karol Woytila, an Gottes Rückkehr in die Gesellschaft und in die Politik zu arbeiten. Sein Nachfolger Joseph Ratzinger erntet nun die Früchte dieser Missionierung und setzt sie mit deutscher Gründlichkeit ein.

Der Vatikan hat sich als offensive dritte Kraft in der Politik profiliert. Immer öfter mischen sich Vertreter der katholischen Kirche in öffentliche Angelegenheiten ein, als wären sie selbst Mitglieder des Parlaments. Doch die katholische Offensive, die zivilrechtliche und ethische Themen auf die politische Agenda setzt, ist nicht das einzige Novum in der Strategie des Vatikans. Die ersten Reorganisationsversuche der Katholiken in den neunziger Jahren waren daran orientiert, im neu entstandenen politischen System nach Gleichgesinnten zu suchen, die sich für die katholischen Werte stark machen.

Die meisten Annährungsversuche fanden damals mit den Parteien des Mitte-Rechts-Bündnisses statt. Doch im politischen Klima, das von Silvio Berlusconi und seiner Firmenpartei geprägt war, spielten die katholischen Werte eine untergeordnete Rolle und wurden nur taktisch eingesetzt, um das neokonservative Projekt populistisch zu untermauern.

Doch auch diese Phase ist nun vorbei. Die katholische Kirche hat begonnen, sich von den rechten Parteien abzuwenden und das gesamte politische Spektrum als politische Interventionsfläche zu betrachten. Doch die Kirche hat sich damit nicht »nach links« geöffnet, wie zahlreiche Beobachter meinen.

Im Gegenteil. Der katholische Think-Tank im Mitte-Links-Spektrum wird zwar in der Tat immer einflussreicher und bewirkt, dass gerade unter der Mitte-Links-Koalition die Themen der katholischen Kirche in den Mittelpunkt der politische Debatte rücken. Doch das geschieht mit konservativen Positionen zu Familie, Ehe, Sexualität und Abtreibung. Ein Blick auf die Etappen dieses Kreuzzuges kann die »Infiltrationstaktik« der Kirche verdeutlichen.

Unterstützt von konservativen Politikern, startete der Vatikan 2005 eine Kampagne gegen das Referendum, mit dem die Gesetzgebung zur künstlichen Befruchtung liberalisiert werden sollte. Die Boykottkampagne war erfolgreich. Die Wahlbeteiligung reichte nicht aus, um das Gesetz, das ein Jahr zuvor von der Regierung Silvio Berlusconis verabschiedet worden war und als eines der restriktivsten in Europa gilt, zu lockern.

Einen weiteren Erfolg verbuchten die Kreuzritter der »Naturgesetze« im vergangenen Jahr in der Auseinandersetzung um die zivilrechtliche Anerkennung unverheirateter und gleichgeschlechtlicher Paare. An diesem zentralen Punkt hatte Romano Prodi versucht, seine heterogene Mitte-Links-Koalition zusammenzuhalten. Das gelang ihm zwar im Wahlkampf, aber nicht im Parlament. Das Gesetzesvorhaben scheiterte am gemeinsamen Widerstand des Mitte-Rechts-Bündnisses, der Katholiken in Prodis Allianz und des Vatikans, der im Mai eine halbe Million Katholiken zu einem »Family Day« in Rom mobilisiert hatte.

Mit dem so genannten »Zensur-Fall« erreichte die vatikanische Offensive ihren bisherigen Höhepunkt. Dabei wurde deutlich, dass sie ohne Feindbilder nicht funktionieren kann. Der Vatikan nutzte die Proteste von Professoren und Studenten gegen einen Besuch des Papstes an der Universität La Sapienza, um seine Feinde in der Öffentlichkeit anzuprangern und sich als Opfer einer angeblichen »antiklerikalen Verschwörung« zu profilieren. Die Absage des Besuchs sollte den Eindruck verstärken, dass in Italien die »Intoleranz« gegen Vertreter der katholischen Kirche im Besonderen und gegen die Verteidiger der christlichen Werte im Allgemeinen zunimmt.

In dieser Debatte tauchte ein Begriff auf, der sehr hilfreich ist, um die derzeitigen und vermutlich auch künftigen Entwicklungen in der italienischen Politik zu verstehen und der bislang eher zum Fachjargon von politischen Beobachtern gehörte. Auf die Seite des »zensierten« Papstes stellten sich nicht nur Konservative und bekennende Katholiken, sondern auch die so genannten »frommen Laizisten«.

Mit Bezeichnungen wie Neo- oder Theocon war man in der politischen Debatte vertraut. Zwar bereitete der Begriff Theodem, der die Katholiken im Mitte-Links-Spektrum bezeichnet, den Lesern italienischer Zeitungen in den vergangenen Jahren einige Schwierigkeiten. Doch schließlich setzte er sich als Synonym für »fortschrittliche« Katholiken durch, die sich beispielsweise im neuen Partito Democratico sammeln.

Die »frommen Laizisten« hingegen sind eine ganz neue Schöpfung. Der »Zensur-Fall« war die Gelegenheit, den Begriff in der Öffentlichkeit zu platzieren. Was die Sache mit den »frommen Laizisten« so schwierig macht, ist, dass sie nicht »con«, also konservativ, oder »dem«, also demokratisch sind, sondern beides. Es handelt sich dabei nicht unbedingt um Politiker, sondern um Journalisten, TV-Moderatoren, Intellektuelle und Prominente aller Art, die bei jeder Gelegenheit betonen, nicht an Gott zu glauben, aber im Namen der Gedanken- und Redefreiheit die gesellschaftlichen und moralischen Anliegen der Kirche gegen die »intoleranten Antiklerikalen« verteidigen zu wollen.

Welches Verhältnis der Vatikan zu dieser neuen politischen Erscheinung pflegt, ist bisher unklar. Doch selbst die katholischen Hardliner haben begriffen, dass die »frommen Laizisten« durchaus in der Lage sind, die »Mitte der Gesellschaft« zu erreichen und dort insbesondere ihre linksliberalen Segmente, wie derzeit am Beispiel des Fernsehjournalisten Giuliano Ferrara zu beobachten ist. Mit einer monothematischen Wahlliste namens Pro Life zieht der Ex-Kommunist und Ex-Minister der Regierung Berlusconi in den Wahlkampf. Sein einziges Anliegen ist es, die Abtreibung zu bekämpfen. Und zwar mit Forderungen, die er als »feministisch« bezeichnet. Vom Postulat ausgehend, dass jede Frau automatisch auch Mutter sein will, behauptet er mit einem rhetorischen Trick, er setze sich für die Freiheit der Frauen ein, nicht abzutreiben. Sein Programm zum »Schutz des Lebens« beinhaltet die Förderung von Maßnahmen, die die Betroffenen von einer Abtreibung abhalten sollen.

Seine Kampagne, die mit allen Mitteln versucht, die moralische Verwerflichkeit der Abtreibung zu betonen und Frauen, die sich dafür entscheiden, als »Mörderinnen« bezeichnet, ist erfolgreich, zumindest was die mediale Verbreitung angeht.

Bislang hatten sowohl die etablierten Parteien als auch die Vertreter der katholischen Kirche gewisse Probleme mit diesem politischen Stil. Doch Ferrara ist ein Beispiel dafür, wie nicht nur der »fromme Laizismus« funktioniert, sondern wie er möglicherweise in Zukunft, selbst ohne Partei, den politischen Prozess beeinflussen könnte: monothematisch, provokativ und transversal. Single-Issue-Kampagnen nach US-amerikanischem Modell haben den Vorteil, dass man sofort erkennbar ist. Provokation garantiert die ständige Präsenz in den Medien, und die parteiübergreifende Suche nach Konsens ist keine mission impossible, wenn es um einzelne Themen geht. Denn über diese Form des Product-Placement wird man zum Dauerbrenner in der politischen und gesellschaftlichen Debatte.