Kinder der Borussenfront

In den vergangenen Wochen und Monaten wurden in Dortmund mehrfach linke Lokale angegriffen. Neonazis brüsten sich damit, auf den Straßen das Sagen zu haben. von Ingo Hinz
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Hasan Sahin schläft unruhiger, seit sein Café in Dortmund Mitte März angegriffen wurde. Als er morgens aus seiner Wohnung hinunter in den Laden kam, um aufzuschließen, bemerkte er den »fürchterlichen Geruch«. Durch die Katzenklappe hatten unbekannte Täter Buttersäure in den Raum gespritzt und an der Außenseite des dazugehörigen Buchladens verteilt. Zudem war eine Schaufensterscheibe kaputt geschossen worden, wahrscheinlich mit einer Zwille. Sachschaden: etwa 1 000 Euro. Unter der Scheibe prangte am Morgen nach der Tat ein Graffito: »Kein Freiraum für Linksfaschisten«.

Der Sachschaden ist für Sahin zweitrangig: »Ganz ehrlich. Als ich die Zerstörung gesehen habe, war ich nur heilfroh, dass keine Menschen verletzt wurden.« Schließlich habe man in Deutschland schon andere Übergriffe erlebt.

An einen rassistischen Angriff glaubt der gebürtige Türke nicht, weil in derselben Nacht auch das Büro der Grünen beschädigt wurde. Er geht von rechtsextremen Tätern aus, denen alle Orte, wo Linke hingehen, ein Dorn im Auge sind. Dieser Eindruck verstärkt sich, blickt man zurück auf die vergangenen Jahre. Immer wieder gab es in der Stadt gezielte Angriffe selbst ernannter »Autonomer Nationalisten«. Die Parteibüros von Linkspartei und Grünen und die Privatwohnungen von Antifaschistinnen und Antifaschisten wurden beschmiert oder beschädigt. Lokale und Bars mit linkem Publikum wurden angegriffen.

In der Kneipe »Hirsch-Q« etwa, am Rande der Dortmunder Innenstadt, wurden seit April 2006 mehrfach die Scheiben eingeworfen; Gäste wurden angepöbelt, mit oder ohne Waffen bedroht und einige brutal verprügelt. Wegen ihres schnellen Vorgehens in der Manier militaristischer Schlägertrupps konnten die Täter nur selten gefasst werden.

Hört man sich bei den Angestellten und Gästen des Lokals um, wird schnell deutlich, dass es sich bei der »Hirsch-Q« keineswegs um einen autonomen Szenetreff handelt, sondern schlicht um eine Kneipe mit gemischtem Publikum aus verschiedenen sozialen Schichten und Milieus, vom Punk bis zum Studenten. So lässt sich auch erklären, warum den Angriffen nur selten Widerstand entgegengesetzt wurde.

Entsprechend selbstsicher geben sich lokale Neo­nazigruppierungen und ihre »Führungspersönlichkeiten« wie Dennis Giemsch, Diddi Surmann oder Alexander Deptolla, die wiederholt als Anmelder rechter Demonstrationen auftraten. Auf den Internetseiten des »Nationalen Widerstands« oder der »Aktionsgruppe Ruhr« bescheinigen sich die Rechtsextremisten die Hoheit auf den Straßen und proklamieren »linke Apathie« in und um Dortmund.

Gefördert werden die rechten Übermachtsfantasien noch durch das oftmals unverständliche Handeln von Polizei und Justiz. Wie man in Augenzeugenberichten etwa auf Portalen wie Indy­media erfährt, kam es beispielsweise vor, dass Beamte zunächst die Personalien der Opfer eines Überfalls aufnahmen, während die mutmaßlichen Täter ungehindert das Weite suchen oder einen freien Abzug vom Tatort heraushandeln konnten. Auch wurde im Mai 2007 ein an einem Überfall auf die »Hirsch-Q« beteiligter Gewalttäter lediglich zu einer Woche Arrest und ein paar Sozialstunden verurteilt, seine durch einschlägige Vorstrafen belegte und durch das Tragen szenetypischer Kleidung während der Verhandlung, auf der Hand liegende Zugehörigkeit zu rechtsextremen Kreisen spielte in dem Prozess und in der Bewertung der Tat keine Rolle. Überdies gab es Zweifel an den Bemühungen der Staatsanwaltschaft, Beweise gegen den Täter zu finden, da alle Mitangeklagten freigesprochen wurden.

Linke Organisationen und Initiativen bis weit ins bürgerliche Spektrum haben Kritik an solchen Fällen geäußert, vom »Dortmunder Bündnis gegen Rechts« über die Grünen bis zur »Linken«. »Mir scheint als gebe es in den höheren Polizeirängen eindeutige Kontakte zur Neonaziszene, die den Handlungsspielraum der Justiz stark einschränken«, sagte Helmut Manz, stellvertretender Landessprecher der »Linken« in Nordrhein-Westfalen. Er verweist unter anderem auf die V-Mann-Affäre um den seit langem in der Dortmunder Neonazi-Szene aktiven Sebastian Seemann, die für Aufsehen sorgte.

Der aus Lünen stammende Seemann, zuvor als Spitzel des Verfassungsschutzes enttarnt, wurde am 10. März wegen Waffen- und Drogenhandels zu einer Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Rauschgiftfahnder hatten im vergangenen Sommer ein Telefonat abgehört, in dem Seemann vermutlich von einem Verfassungsschützer vor den Ermittlungen der Kriminalpolizei gewarnt wurde. Der Name des Führungsbeamten wurde bisher nicht vom Innenministerium des Landes preisgegeben. Man berief sich darauf, weitere Beamte schützen zu wollen.

Zwar mangelt es nicht an engagierten Linken im Ruhrgebiet. Doch löste sich etwa die »Antifa Nord« Ende der neunziger Jahre auf, und ein Generationswechsel im linken Spektrum fand statt. Die Zersplitterung in marxistisch-kommunistische, antiimperialistische und anarchistische Gruppierungen steht der Koordination gemeinsamer, antifaschistischer Arbeit im Weg, wie viele aus linksautonomen Kreisen beklagen. Andere schätzen die Lage optimistischer ein und verweisen auf Aktionen, die aber bewusst nicht öffentlich »breitgetreten« würden.

Man beurteilt die größtenteils extrem jungen »nationalen Autonomen« und die Aktivitäten der »Anti-Antifa« als planlos. Die Versuche der Rechten, über Flyer, die in Schulen verteilt wurden, und Plakate neue Mitglieder zu rekrutieren, seien erfolglos und unbeachtet beendet worden.

Einig ist man sich darüber, dass es im Ruhrgebiet Verbindungen zwischen Neonazis und Fußballhooligans gibt. So eröffnete vor einer Weile der Laden »Goaliat« in der Nähe des Stadions und versuchte, Nazi-Fashion und andere Accessoires an die rechten Hooligans zu verkaufen. Zwar gab der Ladenbetreiber Thorsten Kellerhof nach wiederholten nächtlichen Attacken auf sein Geschäft recht bald wieder auf. Die von der Stadtverwaltung langwierig auferlegten, ordnungsrechtlichen »Nutzungsänderungssperrungen« spielten eher eine nachgeordnete Rolle. Doch die Verbreitung rechter Markenklamotten unter »Fan-Ul­tras« und unter den Angestellten bei Borussia Dortmund veranlasste das Vereinsmanagement dazu, die Marke »Thor Steinar« im Stadion zu verbieten.

Das größte Problem in Dortmund ist jedoch die extrem hohe Gewaltbereitschaft der Neonazis. Trauriger Höhepunkt einer Reihe von Gewalttaten war im März 2005 der Mord an dem Punk Thomas S., alias »Schmuddel«, dem auch dieses Jahr wieder mit einer Veranstaltung gedacht wird (siehe action). Der erst 17jährige Neonazi Sven Kahlin hatte mehrfach mit einem Messer auf ihn eingestochen. Die Rechten kommentierten den Mord mit Sprüchen wie »Antifaschismus ist ein Ritt auf Messers Schneide«.

Trotz aller Wut und Trauer entwickelte sich keine dauerhafte Zusammenarbeit von Linken. Die Gruppe AK-Freiraum startete Ende vorigen Jahres einen neuen Versuch und lädt an unterschiedlichen Orten zum »Café Move Ya« ein, bei dem über mögliche gemeinsame Handlungsstrategien diskutiert wird. Am Tag des jüngsten Naziangriffs sollte »Café Move Ya« zum ersten Mal in Hasan Sahins Laden »Taranta Babu« stattfinden.

Hasan Sahin, dem bereits im Jahr 1986 von Rechtsextremisten die Scheiben eingeschlagen wurden, plant auch eine eigene Kampagne. Er will, dass sich die Stadtverwaltung endlich die Frage stellt: Ist Dortmund eine Nazistadt?