Nazi trägt Kapuzi

Im Berliner Bezirk Friedrichshain wurden in den vergangenen Wochen mehrere linke Läden und ehemals besetzte Häuser an­gegriffen. Die Antifa vermutet, dass es sich bei den Tätern um »Autonome Nationalisten« handelt. von anne-sophie reichert

»Hängt euch die Plakate am besten aufs Klo. Dann merkt man sich die Gesichter und kann handeln, wenn man sie in Kneipen oder auf der Straße erkennt.« Das sind die ersten Worte von Max* bei einer Informationsveranstaltung im Sama-Café. Max ist Mitglied der Antifa Friedrichshain, die wegen der vermehrten Angriffe auf Linke in den vergangenen Wochen geladen hat. Auf den Postern sind Fotos und Namen von Personen, die als Neonazis gelten und derzeit im Kiez ihr Unwesen treiben sollen. Sie sind auch auf den zweiten Blick optisch kaum von linken Autonomen zu unterscheiden, und darin liegt auch das Problem.

Am 23. Februar versuchten zwei Unbekannte, die Frontscheibe der alternativen Kneipe »Fischladen« zu zertrümmern. In derselben Nacht wurde das Hausprojekt in der Scharnweberstraße 38 unter Rufen wie »Sieg Heil« mit Flaschen und Steinen beworfen.

Das Sama-Café in der Samariterstraße, wo die Antifa informiert, wurde in den frühen Morgenstunden des 9. März von zehn bis 15 Vermummten angegriffen, die die anwesenden Gäste mit Pfefferspray besprühten. Die Angegriffenen reagierten schnell, drängten die Eindringlinge zurück und schlugen sie in die Flucht. Etwa 15 Besucher des Sama-Cafés verfolgten sie bis zur Ecke Voigtstraße/Rigaer Straße, wo es zu einer Aus­ein­ander­setzung kam. Dabei wurden drei der Angreifer leicht verletzt.

Bei dem folgenden Polizeieinsatz verletzte ein Zivilbeamter einen der Besucher des Sama-Cafes mit einem Schlagstock so schwer, dass er ambulant im Krankenhaus behandelt werden musste. Überhaupt schenkte die Polizei nach Angaben der Antifa Friedrichshain vor allem den Angreifern Glauben und nahm nur widerwillig ihre Personalien auf.

Anfang voriger Woche bekam das schon erwähnte Wohnprojekt »Scharni38« gleich mehrmals unerwünschten Besuch. Am frühen Morgen des 16. März wurden sieben Personen, die gerade die Vereinsräume des Gebäudes verließen, von zwei vermummten Männern mit einem Reizstoffsprühgerät in der Größe eines Feuerlöschers angegriffen und verletzt. Am nächsten Morgen schlugen zwei Unbekannte mit Beilen auf eine Plakatwand ein, die sich direkt neben dem Haus befindet. Daran klebten die Plakate mit den Steckbriefen bekannter Neonazis. In der Nacht zum 19. März fuhren zwei vermummte BMX-Radfahrer mehrmals am Haus vorbei, grölten Sprüche und verabschiedeten sich mit den Worten: »Bis morgen, ihr Spacken!« Die Hausbewohner sind sich sicher, dass die selben Täter, die sie der rechtsextremen Szene zuordnen, für alle Aktionen verantwortlich sind. Warum diese es ausgerechnet auf ihr Haus abgesehen haben, wissen sie nicht.

Die Berliner Neonaziszene hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert, da sind sich die Betroffenen und die Antifas weitgehend einig. Sie ist anders organisiert, agiert anders und sieht anders aus. Bis vor ungefähr drei Jahren waren die meisten parteiunabhängigen Neonazis in Kameradschaften organisiert. Die Mehrzahl von ihnen entsprach in Aussehen und Auftreten den gängigen Klischees und war deshalb relativ leicht auf der Straße auszumachen.

Springerstiefel und Bomberjacken sind mitt­lerweile vor allem bei der »jüngeren Generation« nicht mehr angesagt. Der Trend bei den »Autonomen Nationalisten«, wie sie sich nennen, geht zu noch spärlicheren Inhalten als zuvor und zu gewalttätigen Übergriffen. Lose Gruppierungen und Freundeskreise haben fest organisierte Gruppen ersetzt. »Autonome Nationalisten« ist ein Label, das jeder benutzen kann.

Sie tragen Kleidung und Accessoires, die einmal als typisch für die linke Szene galten: schwarze Kleidung, Caps, Gürteltaschen, Buttons, Aufnäher und Piercings. Auch Parolen, Flyer und Web­seiten der Nazis sind auf Anhieb kaum noch als solche zu erkennen. So haben die »Autonomen Nationalisten« zum Beispiel im Logo der Antifaschistischen Aktion die rote Fahne durch eine zweite schwarze ersetzt und den Slogan »Good Night White Pride«, der ursprünglich aus der Hardcore-Szene stammt, in »Good Night Left Side« umgedichtet. Wie die Antifas agieren sie bei Aktionen in Kleingruppen oder bilden »Black Blocks« bei ihren Aufmärschen. Immer wieder auf der Tagesordnung stehen auch Forderungen nach »nationalen Jugendzentren«.

Das Erstarken der »Autonomen Nationalisten« bezeichnete der Verfassungsschutz in einer aktuellen Studie mit dem Titel »Im Fokus: Rechte Gewalt in Berlin« als Ursache dafür, dass Linke vermehrt Opfer rechter Gewalttaten werden. Danach würden rechte Schläger inzwischen häufiger Linke oder vermeintliche Linke angreifen als Leute mit migrantischem Hintergrund, auch wenn erst in der verganenen Woche ein zehnjähriges Mädchen in Friedrichshain rassistisch beleidigt und attackiert wurde.

Seit dem Verbot der »Kameradschaft Tor« im Jahr 2005 gibt es keine kameradschaftliche Neonaziorganisation mehr in Berlin. Seitdem sind die »Autonomen Nationalisten« vermehrt in Erscheinung getreten. Die Antifa Friedrichshain vermutet einen relativ begrenzten Kreis junger Neonazis, die größtenteils in Lichtenberg wohnen. Einige von ihnen seien jedoch in Friedrichshain zurück und würden sich daher gut im Kiez auskennen.

Bei den Angriffen, die sich seit Ende vorigen Jahres deutlich gehäuft haben, begeben sich die Täter vermehrt auf »feindliches Terrain«, also in die Nähe von linken Kneipen und Projekten. Dass es sich bei den Angriffszielen der vergangenen Wochen nicht unbedingt um ausgewiesene Treffpunkte der Antifa handelt, wird der Unkoordiniertheit der Nazis zugeschrieben. Man vermutet, es gehe ihnen offenbar primär darum, Macht zu demonstrieren und zu provozieren. Wegen dieser Beliebigkeit ist es nicht leicht, sich gegen die Angriffe zu schützen.

Die Bewohner und Nutzer linker Räumlichkeiten in Friedrichshain haben sich bei ersten Treffen Gedanken über eine gemeinsame Strategie gemacht. Auf die Schnelle ein Konzept auf die Beine zu stellen, scheint jedoch schwierig zu werden, da die Vorstellungen der Beteiligten weit auseinander gehen. Ein weiteres Problem ist, dass diesbezüglich bisher nur wenig Verständigung zwischen den Projekten stattgefunden hat. Die Organisation der Zusammenarbeit wird vermutlich viel Zeit in Anspruch nehmen, die effektiver genutzt werden könnte.

* Name geändert