Hausbesetzer und Gentrifizierung

Illegal, legal, Ikea-Regal

Die ehemaligen Besetzerinnen und Besetzer haben sich mit der Gentrifizierung ihrer Stadtteile besser arrangiert als andere Bevölkerungsgruppen. Vom Leerstand zur Forderung nach »Freiräumen«.

»Es war einfach so: Die Häuser standen leer. Irgendwann, Ende 1980 wurden die ersten sechs Häuser besetzt. Da haben die Besetzer noch Verträge für die Häuser gefordert und nicht mehr. Und 1981 hat sich das alles überschlagen.« In einem Interview, das im Lesebuch zum Autonomie­kongress 1995 veröffentlicht wurde, bringt die Aktivistin Catrin die unerwartete, explosionsartige Vergrößerung der Berliner Hausbesetzungs­bewegung zur Jahreswende 1980/1981 auf den Punkt. Das Kursbuch sprach damals vom »großen Bruch«, von der »Revolte 81«. Der Kampf um Räume für selbstbestimmtes Leben und Arbeiten stand auf einmal im Mittelpunkt des öffent­lichen Interesses, nicht nur der linksradikalen Be­wegungen.

Bei den Hausbesetzungen in Berlin 1979 und 1980, die am Anfang dieser Bewegung stehen, ging es vor allem um die Aneignung von Wohnraum. Wohnungsmangel hatte im territorial strikt umgrenzten Westberlin Tradition; insbesondere junge Familien, Jugendliche und Studierende waren davon betroffen. Gründe dafür waren der hohe Leerstand und eine grassierende Wohnraum­spekulation. Öffentliche und private Eigentümerinnen und Eigentümer ließen Häuser oder ganze Straßenzüge bewusst verfallen, um sie mit öffentlichen Subventionen abreißen und durch Neu­bauten ersetzen zu können.
Gegen diese Form der vom damaligen rot-gel­ben Senat vorangetriebenen »Kahlschlagsanierung« engagierten sich in den siebziger Jahren vor allem Bürgerinitiativen und Mietervereine. Nach jahrelangen Anstrengungen, die Wohnungs­not zu verringern und die Zerstörung gewachsener Stadtteilstrukturen zu verhindern, griff die Bürgerinitiative SO36 im Februar 1979 zum Mittel symbolischer Wohnungsbesetzungen. Die ersten »Instandbesetzungen« sollten auf die woh­nungspolitische Misere hinweisen und die Wiedervermietung leer stehender Wohnungen erzwin­gen.
Doch dabei blieb es nicht. Die darauf folgenden unkoordinierten und vereinzelten Hausbesetzungen waren zwar ebenfalls durch die Wohnungs­not motiviert. Für die Mehrheit der Besetzerinnen und Besetzer kamen jedoch neben den ökonomischen Gründen weitere hinzu. Arbeitslose Jugendliche, Alternativprojekte, Studierende – viele davon Bundeswehrflüchtlinge –, sie alle suchten nach Räumen, die ein Experimentieren mit Formen des selbstbestimmten, gemeinschaftlichen Lebens und Arbeitens ermöglichten. Diese »Freiräume« waren politisch, weil sie sich gegen die normierenden Institutionen der bundesrepublikanischen Gesellschaft richteten: gegen die bürokratisch-paternalistischen Dienstleistungen des Wohlfahrtsstaats, gegen die entfremdende Trennung von Erwerbsarbeit und Freizeit und gegen eine Stadtumstrukturierung, die diese Trennung baulich absichern sollte, indem sie die Bausubstanz der »Kreuzberger Mischung« – Wohnen im Vorderhaus und Erwerbsarbeit in den Hinterhoffabriken – zum Abriss freigab.

Doch es mussten weitere Faktoren hinzukommen, damit sich eine Bewegung entfalten konnte. In Städten wie Amsterdam oder Barcelona (bis 1996) war es die fehlende strafrechtliche Relevanz, die zu Besetzungen in großer Zahl führte. Hierzulande verhinderte ein politisches Vakuum zeitweise eine strikte Räumungspolitik – das trifft sowohl auf Westberlin zur Jahreswende 1980/81 zu als auch auf Ostberlin, Leipzig und Dresden in den Jahren 1989/90. Und schließlich war es die staat­liche Repression, die in vielen Fällen den qualitativen Sprung von einer Vielzahl von Besetzungen zu einer Besetzungsbewegung herbeiführte: In Ber­lin folgte auf einen brutalen Räumungsversuch die »Schlacht vom Fraen­­kel­­ufer« am 12. Dezember 1980. Die laufenden Verhandlungen wurden eingestellt, ihre Wiederaufnahme machten die Besetzerinnen und Besetzer von der Freilassung aller Gefangenen und einer gemeinsamen Lösung für alle Häuser abhängig. In Barcelona hatte die martialische Räumung des »Cine Princesa« am 28. Oktober 1996 einen ähnlich radikalisierenden Effekt.
In diesen Phasen der Besetzungsbewegung zeigte sich die Bedeutung einer anderen Art von »Frei­räumen«: Räume, die nicht nur dem gemeinschaft­lichen Wohnen, sondern auch der politischen Selbstorganisation dienten, wie das Kunst- und Kulturzentrum Kreuzberg (KuKuCK) im Berlin der achtziger Jahre oder das »Cine Princesa« in Barcelona. Solche Orte brachten verschiedene Gruppen und Bewegungen zusammen und waren zugleich Ausgangspunkte, von denen aus die For­derungen der Bewegungen in die Öffentlichkeit getragen wurden: nach einem Ende der Immobilienspekulation, nach einer an den Bewoh­ne­­rinnen und Bewohnern orientierten Stadtentwick­lung und nicht zuletzt nach selbstorganisierten Freiräumen jenseits kapitalistischer Verwertungs­logik und staatlichem Zugriff.

Das KuKuCK wurde 1984 geräumt, und dieses Datum kann als Ende der Hausbesetzungsbewegung in Westberlin gelten. Die Verhandlungen, die der Räumung vorausgingen, hatten dazu geführt, dass ein Teil der zeitweise 167 besetzten Häuser legalisiert wurde. Der Rest war einer umso härteren polizeilichen Repression und Krimina­lisierung ausgesetzt. Die Hinwendung zu einer neo­liberalen Politik wurde von der CDU im Klima der Revolte vollzogen – gespielt in verteilten Rollen: Auf der einen Seite Sozialsenator Ulf Fink, der »keine Angst vor Alternativen« hatte und sich »in die Szene wagt«, wie er über sich selbst schrieb, auf der anderen Seite Innensenator Heinrich Lummer, genannt »Heinrich fürs Grobe«.
Die von der Bewegung in den achtziger Jahren erkämpfte Öffnung der staatlichen Politik gegenüber ihren Forderungen erwies sich in der Folge als funktional für eine neoliberal umgestaltete Stadtpolitik. »Freiräume« dienten in der Folge immer wieder als »Innovationsreserve« für einen finanziell knapper ausgestatteten und nach Alternativen suchenden Wohlfahrtsstaat. Die »behut­same Stadterneuerung« wurde ab den neunziger Jahren zu einem Vehikel für eine Aufwertung der innerstädtischen Viertel im Osten Berlins. Subkulturen passten sich reibungslos in Strategien der Kommerzialisierung und der »Standortpolitik« ein.
Die Hausbesetzungsbewegung lebte erneut auf mit dem Fall der Mauer, dieses Mal nicht in erster Linie aus Mangel an Wohnraum. Vielmehr gaben alte und neue Besetzerinnen und Besetzer, Angehörige der linken Szene aus Ost und West sowie kritische Kunst- und Kulturschaffende den Verlockungen nach, die sich boten. Diese »Er­oberung des Ostens« wurde zum Teil mit einem höchst problematischen Diskurs um einen vermeintlich »leeren Raum« unterlegt, und die Verdrängung bisheriger Bewohnerinnen und Bewoh­ner ausgeblendet. Die Regierenden begegneten dem »Problem« der knapp 120 Häuser, die allein in Berlin neu besetzt wurden, im Wesentlichen mit den gleichen Mitteln wie schon in den achtziger Jahren: Spaltung und Vereinnahmung, Miet­verträge und Subventionen für die einen, Kriminalisierung der anderen.

Welche Relevanz haben Besetzungen heute, nach dem Verschwinden der Bewegung? Und was tritt an ihre Stelle? Ein Mangel an Wohnraum wird derzeit zumindest in Berlin kaum den Anstoß für eine neue Welle von Besetzungen geben. Selbstbestimmte Freiräume werden indessen weiterhin gefordert, während für aufgewertete Stadtteile mit dem Vokabular und den kulturellen Codes früherer oppositioneller Bewegungen geworben wird. Eine »lebendige Szene« und »Streetart« mö­gen auch die Besserverdienenden.
Welche Schlussfolgerungen werden aus der Erfahrung gezogen, dass sich die ehemaligen Besetzerinnen und Besetzer, die überwiegend aus der Mittelschicht stammen, wesentlich besser mit der Gentrifizierung ihrer Stadtteile arrangieren konnten als andere Gruppen von Bewohnerinnen und Bewohnern? Eine Folgerung wäre es, die Dominanz weißer Aktivistinnen und Aktivisten mit bildungsbürgerlichem Hintergrund aufzubrechen. Vor allem in Italien und Spanien ist das in den vergangenen Jahren schon begonnen worden: Die sozialen Zentren, die aus den dor­tigen Besetzungsbewegungen hervorgegangen sind, wenden sich verstärkt der Arbeit mit ille­galen Migrantinnen und Migranten und Prekarisierten zu.