Geschichten aus europäischen Häuserkampfmetropolen

Hinter den Fassaden

Kraaker, Ocupas, Katalipsies, Squatter und Besetzer. Geschichten aus europäischen Häuserkampfmetropolen.

Amsterdam – Kraaken und Polder
von antoine verbij

Man könnte behaupten, dass das Besetzen von Häusern in den Niederlanden erfunden wurde. Seit 1964 besetzten Studenten, später Provos und dann ihre Nachfolger, die Kabouters (Zwerge) regelmäßig Häuser, sei es für sich selbst oder für sozial Schwache und gesellschaftlich Margina­lisierte und protestierten gegen die Spekulations­praktiken der Eigentümer und die Abrisswut der Städteplaner. Kraaken nannten sie das, niederlän­disch für Knacken.
In den siebziger Jahren wurde das Kraaken pro­fessionell organisiert, landesweit umfasste die Bewegung damals mehrere zehntausend Jugend­liche. Das ehemalige jüdische Viertel Amsterdams wurde fast vollständig besetzt, als es abgerissen werden sollte. Kraaken wurde zu einem Way of Life. Anarchistisch, aktivistisch, basis­demo­kra­tisch, hedonistisch, reichte er kulturell von Punk bis Hip Hop und politisch war er anti-imperialistisch, antimilitäristisch, antikapitalistisch, feministisch, ökologisch und manchmal auch terroristisch.
Den Höhepunkt bildete der 30. April 1980, als Prinzessin Beatrix in Amsterdam zur Königin gekrönt wurde. »Keine Wohnung, keine Krönung« lautete die Parole der Kraaker.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Kraak-Bewegung auch außerhalb der Szene großen Zuspruch erfahren. Doch dann wurde das niederländische »Poldermodell« geschaffen. Besetzte Häuser wur­den von der Stadt gekauft, von Wohnungsbaugesellschaften instandgesetzt und von Kraakern weiter bewohnt. Einige Besetzer fühlten sich über den Tisch gezogen und isolierten sich im Laufe der achtziger Jahre von ihren früheren Mitstreitern. Die Auseinandersetzungen mit den staat­lichen Autoritäten wurden immer gewalttätiger und die Flügelkämpfe untereinander immer erbitterter. 1987 bereitete die angewachsene Gewalt unter den Amsterdamer Kraakern der Bewegung ein unrühmliches Ende.

Barcelona – Ocupas im Kloster
von thorsten mense

Das warme Klima, das Mittelmeer, die große Künstlerszene und die aktive Subkultur locken Besetzer und Touristen gleichermaßen nach Barcelona. Die lange antiautoritäre Tradition und die große linke Szene schaffen günstige Voraussetzungen für den Häuserkampf. Barcelona ist wohl die Stadt mit dem größten ausländischen Besetzeranteil. Aufgrund extremer Mietsteigerun­gen werden die Besetzer auch von Nachbarschafts­vereinen und Anwohnern unterstützt.
So war es auch im Mai im Fall des alten katho­lischen Klosters in der Innenstadt, das in der Nähe des Picasso-Museums und damit am Trampelpfad der Touristen liegt. Im Mai 2005 machten sich bunt gekleidete Leute auf den Weg in das Kloster. Touristen strömten herbei, weil sie glaub­ten, ein Straßentheater bewundern zu können. Dabei brachen die Verkleideten das große Holztor des Klosters auf. Wenige Minuten später hielt ein als Papst verkleideter Besetzer vom Balkon aus eine Rede gegen Kirche und Staat. Die ehemaligen Mönchsquartiere im dritten Stock des Hauses wurden aufgeteilt, das Kirchenschiff im Erdgeschoss entrümpelt und die erste »Schwarze Messe« organisiert. Der Altar diente als DJ-Pult und anstelle von Weihrauch lag ein starker Grasgeruch in der Luft.
Am nächsten Morgen mussten sich die Touristen ihren Weg durch die Reste der Party – inklusive dutzender, betrunkener Punks – bahnen. Nicht zuletzt wegen dieses »geschäftsschädigenden« Auftretens wurde das »La Hostia« genannte Kloster schon bald geräumt. Wie so oft in Barcelona, ohne rechtliche Konsequenzen für die Ocupas (Besetzer).
Der amtierende Bürgermeister, Jordi Hereu, kündigte an, die Stadt von den Ocupas säubern zu wollen. Solange die Szene jedoch so dreist bleibt und mit Institutionen wie dem »Büro für Hausbesetzungen« und den »Architekten ohne Grenzen« den Besetzern zur Seite steht, wird dieses Vorhaben für ihn nicht leicht werden.

Thessaloniki – Katalipsies und BMX-Training
von harry ladis

Beeindruckt durch die Repression in Genua und Barcelona wollte die griechische Polizei der antiautoritären Bewegung der Stadt nach dem EU-Gipfel im Juni 2003 einen heftigen Schlag versetzen. Willkürliche Festnahmen und Intrigen in einer durch die Presseberichte terrorisierten Stadt sorgten allerdings für das Gegenteil: sieben Gefangene im Hungerstreik, eine europaweite Solidaritätswelle und eine dynamische Bewegung, die, durch den Erfolg der Freilassungskampagne gestärkt, mehr forderte: »Freiräume« außerhalb des Universitätsasyls.
Im März 2004 wurden innerhalb von zwei Wochen zwei prachtvolle Grundstücke besetzt: »Terra Incognita«, ein fünfstöckiges Haus der Universität, das seit Jahren leer stand und in dem heute unter anderem Antifa-Arbeit, Proteste gegen Arbeiterunfälle und Soli-Veranstaltungen für politische Gefangene organisiert werden; und YFANET, eine ehemalige Weberfabrik auf 12 000 qm, die vierzig Jahre lang Treffpunkt für Junkies war. Heute finden dort antinationale Gruppen Ob­dach. Geboten werden ein BMX-Training, die Vokü »Das letzte Abendmahl« und Aktivitäten gegen die miese Unterbringung von Asylanten.
Vergangenes Jahr wurde das alte »Waisenhaus« besetzt und »Delta«, ein verlassenes Institut. Das gute Verhältnis unter den Katalipsies (Besetzern) und gemeinsame Aktionen sorgen in der grauen Betonstadt, in der der Name des Nachbar­staats Mazedonien den Nationalismus anfeuert, für eine nettere Atmosphäre.

Manchester – Squatter im Escortbusiness
von fabian frenzel

Im als Wohnraum und Social Centre genutzten Squat »Archways«, einem Fabrikgebäude im Zentrum von Manchester, bereitete das Nutzerkollektiv gerade die Veranstaltungen vor, die im Rah­men des kommenden »Freiräume«-Wochenendes stattfinden sollten, als völlig überraschend Gerüchte von Prostitution und Kindesmissbrauch im Squat auftauchten. Eine unbekannte Gruppe aus der linken Szene in Manchester hatte den Squat angeblich überwacht und dies herausgefun­den. Vor zwei Wochen erhielten Bewohner des Squats die Drohung, dass ihr Haus angriffen wer­den würde, um weiteres unlauteres Treiben zu unterbinden. Die Angelegenheit landete im Plenum. Doch niemand konnte etwas zu den Vorwürfen sagen.
Eins scheint aber sicher zu sein: Mindestens ein Mann und eine Frau, die im Squat wohnten, hatten im Internet Sexarbeit angeboten. Alles andere ist bislang Spekulation. Die beiden sollen im Squat selbst Kunden empfangen und ein wei­terer Bewohner des Squats das Ganze organisiert haben. Dabei soll der Organisator jemand sein, der eine zehnjährige Gefängnisstrafe wegen Kindesmissbrauchs verbüßt hat. Das Plenum der Nutzer diskutierte in den vergangen zwei Wochen darüber, ob die Polizei einzuschalten sei, falls im Squat wirklich Kinder missbraucht worden seien. Dabei ging es schnell um die Frage der Unvereinbarkeit von Autonomie und Staat, statt sich darüber Gedanken zu machen, warum trotz ständiger Plena niemand der Bewohner und Nutzer etwas von der Geschichte mitbekommen hat. Sämtliche Bewohner des Squats sind inzwischen ohne Erklärung ausgezogen.

Wrocław – Putzteufel und Kaffeekasse
von kamil majchrzak

In Berlin kennt sie angeblich jeder. Bei der Bild als »illegale Scheibenputzer« verschrien, vom Tagesspiegel als »aggressive Putzteufel« bezeichnet. Polnische Punks sollen selbst bei den Pennern vom Ostbahnhof wegen ihrer Scheibenputzerei unbeliebt sein. »Sie kommen hierher, anstatt bei sich zu Hause (sic!) was zu besetzten«, hört man gelegentlich vor dem Lidl in der Rigaer Straße.
Andere behaupten dagegen, dass einzig die Polen in der Stadt noch dafür sorgten, dass man von »Punk’s not dead« sprechen könne, da sie zwar Scheiben wischten, gleichzeitig aber durch ihr Erscheinungsbild das Motto »Saubermachen ist Scheiße« verkörperten.
Entgegen anderslautender Gerüchte ist das Squatten in Polen weit verbreitet. Die Besetzerdichte ist im niederschlesischen Wrocław am höchsten. Hier fanden Anfang der neunziger Jahren die ersten Besetzungen statt. Zentraler Anlaufpunkt ist das »Centrum Reanimacji Kultury«. Besetzungen sind in Polen immer eine Form der Gegenkultur, die sich gegen die steifen und zentralisierten Kulturangebote der achtziger Jahre und ihre anschließende massive Kommerziali­sie­rung richtet. So ist es auch im Gegensatz zu Deutsch­land kein Ziel der Besetzer, die Häuser zu legalisieren. Besetzt wird ohne viel Brimborium, damit unnötige Konfrontation vermieden werden kann. Zwar werden die Squats regelmäßig von Polizisten überfallen, allerdings meistens nur mit dem Ergebnis, dass die Kaffeekasse beschlag­nahmt wird, wie es beispielsweise in der »Elektro Madonna«, im ansonsten heiligen Czestochowa, geschah.
Das »Rozbrat« in Poznan ist das älteste Squat in Polen und existiert seit 14 Jahren. Besetzte Häuser gibt es in nahezu jeder Stadt, die etwas auf sich hält. Außer in Kraków, das sich immer von Warschau unterscheiden will. Die Hauptstadt ist allerdings ein Spätzünder in Sachen Squatten. Bei größeren Demos kommt selbst der Lautsprecherwagen aus Wrocław und auch sonst lässt die Logistik in Warschau zu wünschen übrig. Vor der Vokü des Kollektivs »Food not Bombs« vom »Elba Squat« ist ebenso zu warnen wie vor dem Biergenuss in der Warschauer »Fabryka«. Der Barkeeper rühmt sich, das Bier nicht bei Groß­konzernen einzukaufen. Die Flüssigkeit mit dem unleserlichen Verfallsdatum wird palettenweise von einer angeblich »kleinen Brauerei« geordert. Diese Chemiefabrik produziert jedoch eine Brühe, die nach einer Mischung aus Strichnin und Maracuja-Brause aus der DDR schmeckt.

Zürich – Der Puff und die Metzgerei
von alexander hasgall

Hausbesetzen erinnert bisweilen an »Einsatz in vier Wänden« auf RTL. Man legt Leitungen, baut Türen und Treppen, reisst Wände ein und klettert auf morsche Balkone. »Schöner Wohnen« statt Bücher lesen, lautet in vielen Fällen die Devise. Dies galt auch in der Zürcher Hausbesetzerszene, beispielsweise nach der Räumung des besetzten »Wohlgroth« im Herbst 1993. Wer es von den ehe­maligen Besetzern gemütlich und mondän mochte, der zog in die besetzte Villa an der Bellaria­straße ins schicke Engequartier, vorausgesetzt man hatte die richtigen Beziehungen oder das als »Haussitzung« bezeichnete Assessment be­stan­­den. Wer weniger Glück oder Beziehungen hatte, er­gatterte sich im »Taro«, einem ehemaligen Raum für Obdachlose am Zürcher Hauptbahn­hof, eine Schlafstätte. Abenteuerlich wurde es im Haus an der Rosengartenstraße, einer der meist befahrenen Straßen der Schweiz. Das im Juli 1994 besetzte mehrstöckige Gebäude beherbergte eine ehemalige Metzgerei, gekachelte Wän­de, Fleischerhaken und grosse Wannen erinnerten daran. Selbst Veganer störten sich nicht daran, ihre Tofuburger inmitten dieser carnivoren Kultstätte zu braten.
Andere Bedürfnisse ließen sich aber erst seit der Jahrtausendwende verwirklichen. So zum Beispiel in einem im Mai 2000 besetzten Haus an der Badenerstraße mit der Szenebezeichnung »Puff«, in dem ein Whirlpool und eine Sauna an die ursprüngliche Lokalität erinnerten. Und wer an bessere Zeiten des Zürcher Undergrounds anschliessen wollte, konnte 2002 das besetzte ehe­malige Dadaistenzentrum »Cabaret Voltaire« in der Altstadt besuchen und auf den Spuren des Schriftstellers Hugo Ball wandern.

Hamburg – Mythos und Elbblick
von jörn schulz

Hausbesetzungen wurden in Hamburg nicht geduldet. Innensenator Alfons Pawelzyk (SPD) setzte durch, dass jedes besetzte Haus binnen 24 Stunden geräumt wurde. Doch Ende 1981 entdeckte der Senat, dass in den Monaten zuvor in der Hafenstraße Wohnungen besetzt worden waren. In den folgenden Jahren gab es Verhandlungen, Po­lizeieinsätze und Räumungsdrohungen. Die Hafenstraße wurde zur Legende.
Ihr Ruf in der Linken war umso besser, je weiter man sich von Hamburg entfernte. In der Stadt hielten sich berechtigte Zweifel, ob hier tatsächlich ein »kämpfendes Kollektiv« und das »selbstbestimmte Leben« zuhause waren. Höchstens 30 der mehr als 100 Bewohner waren aktiv, doch alle erwarteten die Bereitschaft der Genossen, jederzeit das Anlegen eines Teichs oder ähnliche revolutionäre Aktivitäten vor der Polizei zu schüt­zen. Sie selbst verließen ihr »befreites Viertel« nur selten. Doch von der Gegenseite wurde die Hafenstraße zum Hort revolutionärer Umtriebe erklärt. Das war ein Mythos, aber einer, der uns gefiel, und so wurde der Kampf gegen die Räumung zur Ehrensache für die radikalen Linken.
Die Solidarisierung ging über deren Kreis ­hinaus, und die Bewohner bereiteten effektive Verteidigungsmaßnahmen vor. Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) entschied sich während der »Barrikadentage« 1987 gegen eine Räumung. Schließ­lich wurde die Hafenstraße legalisiert, und alle können nun zufrieden sein. Die Bewohner genießen den Elbblick, wir anderen können mit Veteranengeschichten prahlen, und Hamburg be­kam eine weitere Touristenattraktion.

Leipzig – Weltfestspiele und Wasserleitung
von lucy sandberg

Die Messestadt war mindestens für den Osten eines der Zentren der HausbesetzerInnen. Die Szene konzentrierte sich dabei vor allem im Stadtteil Connewitz, wo es schon gegen Ende der DDR besetzte Häuser gegeben hatte. Für Polizei, Politik, Stadtverwaltungen und Medien wurde der Begriff Connewitz weit über Leipzig hinaus zum Synonym für Hausbesetzung, linke Subkultur und autonome Politik – noch heute ereifern sich Provinzbürgermeister über Antifa-Demos und dulden keine »Chaoten aus Kreuzberg und Connewitz« in ihrer Stadt. Die Leipziger Szene organisierte in den Neunzigern nicht nur einen internationalen Besetzer-Kongress, sondern auch die »Weltfestspiele der Hausbesetzer«. Dabei versuch­ten im Mai 1998 hunderte lokale und angereiste SquatterInnen, die »Leipziger Linie« zu brechen, die darin bestand, Neubesetzungen nicht länger als 24 Stunden zu dulden. Die daraus entstandenen Wohn- und Kulturprojekte bilden die Grundlage, für die starke linke Szene in Leipzig und auch für die Nazis stellt ein Besuch in Connewitz noch immer eine Mutprobe dar.
Das war Leipzig im Weitwinkel, mit dem Teleobjektiv sieht es folgendermaßen aus. Mitte der neunziger Jahre zog ich in eins der besetzten Häu­ser in Connewitz und es gab Nazi-Alarm. Gleich nach dem Ausladen der Umzugskartons wurden Sperrholzplatten besorgt, um die Erdgeschossfenster zu verplanken. Auch manche Nacht verbachte ich wegen der Nazis auf dem Dach. Weil diese aber nicht kamen, wurde die Langeweile mit Schneeballschlachten von Haus zu Haus vertrieben. Im Laufe der Zeit wurden dann andere Dinge wichtig. Zwar wurden in jedem Frühling aufs Neue die Abgangsklassen der Polizeischule zum Razzia-Üben in unsere Straße geschickt. Im Haus lag aber Bedeutenderes an: Wasserleitungen flicken, Internet-Zimmer einrichten, mit neuen BewohnerInnen klarkommen, sich über mangeln­de Beteiligung an Abwasch und Einkauf ärgern. Später kam dann die Legalisierung: Miete zahlen, anstrengende Genossenschafts-Vollversammlungen besuchen. Heute gibt es keine Razzien mehr. Einzig das jährliche Open-Air-Konzert ärgert die Leute in der neuen Seniorenresidenz nebenan.

Rüsselsheim – Marcuse und Lokalpolitik
von nada kumrovec

Seit Weihnachten 1989 existiert in Rüsselsheim der Bauwagenplatz Am Sommerdamm. Sein Name ist keiner Hippielaune geschuldet, sondern ganz einfach der Adresse der Lokalität. Auch das Image des Platzes ist nicht gerade das von Hippiefreaks. Natürlich gibt es auch Am Sommerdamm einen Trecker, Vokü und Ratten. Doch anders als auf anderen Bauwagenplätzen, wird den Ratten am Sommerdamm kein Freiraum zugestanden, sondern sie werden in nächtlichen Jagden mit Schrotflinten erlegt und zur Abschreckung der Artgenossen umgekehrt an ein Holzkreuz genagelt. Die Bewohner unterscheiden sich aber von anderen Rollheimern nicht nur durch ihren Mangel an Tierliebe. Auf dem Klo am Sommerdamm lagen nur selten Carlos Castanedas mystischen »Lehren des Don Juan«, viel häufiger Marcuses »Der eindimensionale Mensch«. Und auch auf den jährlich stattfindenden bundesweiten »Wagentagen« fielen die Rüsselsheimer weniger durch ölverschmierte Teilnehmer der AG Trecker-Checker auf, sondern wegen ihrer selt­samen Mischung aus Spontis, marxistischen Theo­retikern und Lokalpolitikern. Tatsächlich saßen für einige Zeit die Bewohner des Bauwagenplatzes im Stadtparlament. Die f.NEP (Liste für Nicht-, Erst und Protestwähler), bestehend aus Anarchis­ten, Maoisten und Bauwagenbewohnern kam nach der Kommunalwahl 1993 an die Regierung. Das so genannte »Bauwagenbündnis« sorgte für die erste Koalition zwischen CDU und Besetzern. Der parlamentarische Arm der illegalen Bauwagensiedlung hat sich inzwischen aufgelöst, der Sommerdamm hingegen hat diese Episode überlebt.

Italienische Provinz – Volksmusik statt Techno
von bianca ravel

Lange gab es die Centri Sociali in Italien nur in größeren Städten wie Rom oder Mailand, den Hochburgen der Autonomen der siebziger und achtziger Jahre. Für junge Menschen aus der ita­lienischen Provinz, die links sein wollten, waren diese Orte umgeben von einer mythischen Aura.
In den neunziger Jahren startete eine Welle neuer Besetzungen in ganz Italien: alte Schulen, leer stehende Fabrikgebäude sowie verlassene Ruinen wurden plötzlich zu »Centri Sociali Organizzati Autogestiti« kurz CSOA. Man gab ihnen originelle Namen wie »Intifada«, »Ya Basta«, »Askatasuna«, und plötzlich konnte man das eigene Linkssein in der Kleinstadt ausleben mit all dem, von dem man dachte, dass es dazu gehörte.
Militante politische Arbeit wie in den urbanen Centri Sociali war in der Provinz nie wirklich erfolgreich. Weder für den zapatistischen Aufstand im Lakandonischen Urwald noch für die Botschaf­ten von Michael Hardt und Toni Negri konnte man die Leute auf dem Dorf begeistern. Baskische Volksmusik und serbisches Essen kamen immer besser an als Technopartys im Wald.