Punk in Belgrad

Als der Punk nach Belgrad kam

Vor 30 Jahren eroberte der Punk die Musikszene in ­Jugoslawien. Kultur­aktivisten in Belgrad ­wollen heute die ­Deutungshoheit über die ­Bewegung ­wiedergewinnen.

Es begann in der Nusiceva-Straße in der Innenstadt Belgrads. Heute reihen sich hier Straßenlokale aneinander, in denen das Publikum nach dem Shopping seinen Cappuccino trinkt. Vor 30 Jahren sah die Szenerie ganz anders aus. Es gab noch kein einziges Café. Irgendwann in den siebziger Jahren eröffnete dann ein erster Minimarkt, der bis Mitternacht geöffnet hatte. Wenn es dunkel wurde in der jugoslawischen Hauptstadt, verwandelte sich der Drugstore in einen An­zie­hungs­punkt für Nachtschwärmer und Alkoholiker. Im Frühjahr 1978 sammelten sich hier abends auch Jugendliche, die sich in zerfetzte Jeans und Lederjacken kleideten. Mit Bierflaschen in der Hand setzten sie sich auf die Treppen an einer Unterführung neben dem Spät­verkauf. Zwei Jahre nach­dem die Sex Pistols in London »Anarchy in the UK« aufnahmen, war Punk in Belgrad angekommen.
Branko Rosic kann sich noch gut erinnern. Der spätere Bassist der Gruppe Urbana Gerila (Stadtguerilla) war von Beginn an dabei. Rosa – so sein Spitzname – erzählt, wie die Clique aus der Nusiceva-Straße fast jeden Tag auch in die Diskothek Cepelin ging. Dort wurden werktags zwischen 17 Uhr und 17.15 Uhr immer genau drei Punk-Hits gespielt. Am Anfang waren es immer dieselben: »Pretty Vacant« von den Sex Pistols, »Remote Control« von The Clash und »Rockaway Beach« von den Ramones. Später kamen auch noch die Stranglers und X-Ray Spex zum Zug. Aber nach einer Viertelstunde war Schluss. Dann ging es mit dem üblichen Programm aus AC/DC, Bee Gees und jugosla­wischen Rockgruppen weiter. Doch da saßen Rosa und seine Freunde schon wieder vor dem Drugstore.
Wie alle Kultur- und Subkulturtrends kam auch der Punk aus dem Westen nach Jugosla­wien. Im Gegensatz zu anderen sozialistischen Ländern wurde Jugoslawien von seiner kommunistischen Parteielite niemals abgeschottet. Im Gegenteil: Zum Programm der »Arbei­terselbst­verwaltung« gehörte nach dem Bruch mit dem Stalinismus 1948 ganz ausdrücklich auch die Absage an den Kitsch des »sozialistischen Realismus«. Ob »schwarzer Film« oder »Konzeptkunst«: In Belgrad, Ljubljana und Zagreb gab es nicht nur ein Publikum für die künstlerische Avantgarde, sondern auch eine produktive Szene. So war es auch auf dem weiten Feld der Musik. Nach Jazz, Beat und Rock kam der Punk. »Natürlich standen wir unter Beobachtung der Polizei. In der Boulevardpresse erschie­nen Artikel, die uns für gefährlich erklärten«, erinnert sich Rosa. Aber er fügt hinzu: »Niemals ging das Maß an Repression über die Maßnahmen gegen den Punk im Westen hinaus.«
Dennoch gab es Probleme. »Es war schwer, an neue LPs zu kommen«, erzählt Rosa. Auch notwendige Accessoires mussten erst mühsam in Handarbeit hergestellt werden. So wurden Blechdeckel von Gurkengläsern in Buttons verwandelt, indem sie mit kopierten Fotos von Bands beklebt wurden. Metallketten von WC-Spülungen wurden zu Gürteln umfunktioniert. Langweilige Kunstlederjacken aus dem Kaufhaus wurden kunstvoll mit Reißverschlüssen aufgemotzt. Die ersten Bands wie Urbana Gerila oder Radnicka kontrola (Arbeiterkon­trolle) hatten anfangs große Schwierigkeiten, Übungs­räume zu finden. Im Vorort Zemun fanden sie schließ­lich einen Schuppen, der von einem Schweinemäster vermietet wurde. Der be­schwer­te sich nicht über den Lärm.
Was dort produziert wurde, war spektakulär. 1980 erschien unter dem Titel »Paket aranzman« (Pauschalangebot) beim staatlichen Label Jugoton in Zagreb eine erste Punk- und New-Wave-Compilation. Zusammen mit den beiden Alben »Novi Punk Wal« (Neue Punk-Welle) und »Artisticka radna akcija« (Künstlerische Arbeitsaktion), die ebenfalls 1980 bzw. 1981 erschienen, bot sie einen Einblick in die schnell wachsende Szene. Schon ab 1979 gehörten Punk­konzerte in allen größeren Städten zum Repertoire der Jugendclubs. Musikalisch mussten sich die Bands nicht verstecken. Sie machten Druck, der Sound war entschlossen, hart und direkt. Das konnte sich im internationalen Maßstab sehen lassen.
Über welches künstlerische Potenzial die Bands verfügten, zeigen auch die späteren Karrieren ihrer Mitglieder. Aus den Reihen von Radnicka kontrola, Urbana Gerila und anderen Pionieren gingen Projekte hervor, die den Sound der Rock-Musikszene im ehemaligen Jugoslawien prägten. In den unvergessenen Kultbands der achtziger Jahre, Partibrejkers, Elektricni Orgazam und Disciplina kicme, spielten (und spielen noch immer!) einige der Punk-Avantgardisten der ersten Stunde.
Manche verließen die Konzertbühne und widmeten sich anderen Projekten. Srdjan To­dorovic, der ehemalige Drummer von Radnicka kontrola, spielte 1992 als Schauspieler in dem Film »Mi nismo andjeli« (Wir sind keine Engel) den Teufel. Später spielte er Rollen in einigen großen Filmen von Emir Kusturica. Vladimir Arsenijevic, der Gitarist von Urbana Gerila, ist heute einer der bekanntesten Schriftsteller in Serbien. In seinen Romanen beschreibt er die gesellschaftliche Entfremdung und Demoralisierung im Angesicht der Zerstörung der jugoslawischen Gesellschaft am Beginn der neunziger Jahre.
Wichtiger als persönliche Karrieren sind freilich die Impulse, die vom Punk in alle Bereiche der jugoslawischen Kultur- und Jugend­szene ausgingen. Der Mainstream des populären Jugo-Rock, welcher schon in den sechziger Jahren entstanden war, wurde in den achtziger Jahren härter, direkter und aggressiver. Das klassische »Boy meets Girl«-Thema wurde immer öfter von politischen und provokativen Texten übertönt. Eine aufrechte und trotzige Haltung kennzeichnete das neue Lebensgefühl.
Wie überall proklamierte Punk auch in Jugoslawien: »Smrt Hipicima!« (Tod den Hippies!) Tatsächlich verdrängte der kämpferische proletarische Habitus des Punk den romantischen Eskapismus der Kiffer der siebziger Jahre. Der Klub Akademija in Belgrad wurde in den achtziger Jahren zum Hardcore-Zentrum Osteuropas. Aber auch die Autodestruktivität setzte sich durch, der Siegeszug des Heroins durch die Sub­kulturszene begann.
Den Beginn des Punk vor 30 Jahren haben die beiden Kunst- und Kulturaktivisten Drag­an Ambrozic und Vladan Jeremic aus dem Dom Omladine (Haus der Jugend) in diesem Frühjahr zum Anlass genommen, der Bewegung zum ersten Mal eine Ausstellung zu widmen. Unter dem Titel »Die letzte Revolte« war diese im April im Belgrader Kulturzentrum Magacin zu sehen. In den kommenden Monaten wird sie in Serbien – und hoffentlich auch außerhalb Serbiens – auf Reise gehen.
Neben Fotos von Goranka Matic sind dabei vor allem Fanzines, Flyer und Playlists von selbst kopierten Kassetten zu sehen. Diese wurden vor allem von Djordjo Obradovic Gvido beigesteuert. Er war vor 30 Jahren der erste männliche Jugendliche, der sich in Belgrad die Haare bunt färbte. Die Dokumente lagerten bisher vergessen in privaten Bücherregalen, bis sie jetzt zum ersten Mal ans Licht der Öffentlichkeit gebracht wurden.
Das Ziel der Ausstellungsmacher ist nicht die Pflege nostalgischer Erinnerungen an die besseren Tage. Der 1962 geborene Ambrozic sieht sich beim Rundgang durch das Magacin zwar auch selbst als »Exponat« und erzählt begeistert von den Partys und Konzerten der frühen achtziger Jahre. Aber es sind vor allem kulturpolitische Gründe, warum er für eine neue Anerkennung des Punk als eine wichtige Bewegung plädiert. »In Serbien wird heute vieles verdrängt, was nicht in den nationalistischen Mainstream passt«, erläutert Ambrozic. »Wir wollen mit unserer Ausstellung alternative Sicht­weisen ermöglichen und der Öffentlichkeit deutlich machen, über welche kreativen Potenziale die Jugendbewegung der achtziger Jahre verfügte.«
Dieser Ansatz ist tatsächlich produktiv. Denn die Geschichte des Punk zeigt, dass die nach dem Tod des Staats- und Parteichefs Josip Broz Tito 1980 immer offener zu Tage tretende Krise des Sozialismus keineswegs nur nationalistische Bewegungen hervorgebracht hat, wie das bei der Erklärung des Zerfalls Jugoslawiens oft behauptet wird. »In der Blütezeit des Punk zwischen 1979 und 1981 wurde klar, dass der Sozialismus definitiv am Ende ist. Aber etwas Neues hatte noch nicht begonnen. Man wusste nicht, was kommt«, beschreibt Ambrozic die damalige Stimmung von Krise und Ungewissheit.
Aus heutiger Sicht ist daran interessant, dass die rebellische, gegen das Establishment gerich­tete Jugendkultur des Punk sich dabei nicht gegen eine jugoslawische Identität richtete. Im Gegenteil: Der musikalische Angriff auf den klein­­bürgerlichen Konsumismus der späten Tito-Ära war mit der Affirmation des kulturellen Bezugsrahmens Jugoslawien verbunden. »Eine Band als serbisch zu bezeichnen, gehörte nicht zu unserem Wortschatz«, unterstreicht Ambrozic. »Für uns war unsere Musik jugoslawisch.« Die Bands tingelten durch das ganze Land. Zu großen Konzerten kamen Besucher aus allen Republiken. »Es gab einen ganz normalen Umgang miteinander jenseits jeder Na­tionalität.«
In dieser Hinsicht knüpfte der Punk der achtziger Jahre an die politische Dissidenz der Studentenrevolte von 1968 und die kritische Theater-, Literatur- und Filmszene der späten sechziger und beginnenden siebziger Jahre an. Auch in diesen Aufbrüchen war nicht die Nationalität das zentrale Konfliktthema sondern die Aus­einandersetzung mit dem Widerspruch zwischen den proklamierten Zielen des Sozialismus und einer frustrierenden gesellschaftlichen Realität. Unzufrieden war man mit alternden Parteieliten, Privilegienwirtschaft und sozialen Widersprüchen.
Der Nationalismus dagegen wurde nicht zuletzt von Angehörigen der kommunistischen Parteibürokratie in die politischen Auseinandersetzungen eingespeist, wo er bei bestimmten intellektuellen Zirkeln und sozialen Gruppen freilich auch auf Resonanz stieß. Zentrale Zäsuren waren dabei der so genannte Kroatische Frühling von 1971 und die »anti-bürokratische Revolution« von Slobodan Milosevic am Ende der achtziger Jahre. In beiden Fällen instrumentalisierten Fraktionen des Bundes der Kommunisten die »nationale Frage« für politische Machtprojekte und zersetzten damit die Gesell­schafts­entwicklung.
In der Wiedergewinnung der Geschichte der rebellischen Jugendkultur von vor 30 Jahren sehen Ambrozic und Jeremic einen Ansatzpunkt nicht nur für eine Differenzierung der Sichtweise auf die Phase des beginnenden Staatszerfalls in den achtziger Jahren, sondern auch für heutige kulturpolitische Auseinandersetzungen. »Der Nationalismus der neunziger Jahre war mit einer kulturellen und musikalischen Konterrevolution verbunden, die bis heute andauert. Während Jugo-Rock, New Wave und eben Punk seit Ende der achtziger Jahre verdrängt wurden, setzten sich mit Turbofolk und Narodnjaci Musikstile durch, die besser zum Nationalismus passten«, erklärt Vladan Jeremic.
Turbofolk und Narodnjaci mischen Ethnomelodien mit Popelementen. Die meist weiblichen Interpreten präsentieren sich als mit Silikonbrüsten aufgepeppte Sexbomben, die einen patriarchalen und nationalistischen Wertekanon transportieren. Als Ikone dieser Bewegung galt in den neunziger Jahren Svetlana Raznatovic. Die unter dem Künstlername Ceca auftretende 35jährige Witwe des 1999 erschossenen legendären Belgrader Mafiabosses und Paramilitärs Arkan zieht bis heute bei Konzerten Hunderttausende Fans an. Durchgesetzt haben sich Turbo­folk und Narodnjaci als Soundtrack eines mentalen Kriegszustandes aufgrund einer gezielten Kulturpolitik der politischen Eliten. Instrumentell war dabei das von Milosevic etablierte Privatfernsehen und der Sender Pink.
Jeremic warnt allerdings vor zu einfachen Schwarzweiß-Bildern. »Auch aus der Punk-Bewegung gingen Nationalisten hervor, die sich als Freiwillige sogar den Paramilitärs angeschlossen haben«, sagt er. Andererseits hält Jeremic Turbofolk und Narodnjaci nicht für ausschließlich reaktionär. »Es gibt durchaus interessante Experimente, die Techno beimischen und alle möglichen Grenzen sprengen«, erläutert er. Die Sängerin Jelena Karleusa, eine der derzeit populären Königinnen des Turbofolks, avancierte aufgrund ihres androgynen Stils sogar zu einem Star in der Schwulen- und Lesbenszene.
Dennoch kann die Ausdifferenzierung von Turbofolk und Narodnjaci nicht verdecken, dass diese Musikströmung ein Supplement zur antiurbanen und antimodernen Ideologie des Ethnonationalismus ist. »Wenn wir heute vom Punk reden, dann geht es uns um einen Angriff auf diese auch von den ›Demokraten‹ fortgesetzte kulturelle Konterrevolution«, sagt daher Vladan Jeremic.
»Zentrale Bedeutung hat dabei eine neue Affirmation von Individualität und Nonkonformismus, die hinter jedem emanzipatorischen Projekt stehen müssen«, fügt Ambrozic hinzu. »In der Punkszene der achtziger Jahre wollte niemand gleich sein«, erzählt er. »Alle wollten sich irgendwie voneinander unterscheiden.« Es ging um Protest, Auflehnung und Widerstand, auch wenn dieser sich nicht in einem ausgefeilten politischen Programm manifestierte. »Es war mehr eine Haltung als eine Ideologie«, meint Ambrozic.
Besonders freut ihn, dass sich in der Belgrader Szene derzeit ein neuer musikalischer Aufbruch ankündigt. Mit Stuttgart Online oder Repetitor tauchen junge Gitarrenbands mit einer nervösen Ausstrahlung auf, die an den Belgrader Sound der achtziger Jahre anknüpfen.