Popfeminismus braucht eine Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse

Privileg Pop

In der Diskussion über Popfeminismus wird deutlich: Es fehlen die Allianzen. Und das noch nicht mal aus Ignoranz, sondern aus dem Wunsch nach Distinktion und aus Angst vor dem eigenen Abstieg.

Ist Popfeminismus ein Mittel zur Demokratisierung des Feminismus, für eine feministische Gegenöffentlichkeit in der Popkultur oder eines der Abgrenzung? Drei Fragen, drei Antworten.
Pop verspricht Vielseitigkeit, Flexibilität und Neu-Re-Um-Definierung. Ob das Versprechen eingehalten wird, ist eine andere Frage, aber dieser Anschein macht ihn für liberale Bewegungen zunächst sehr attraktiv. Das bedeutet aber auch, dass dort bestimmte Themen keinen Platz mehr haben, die mit dem Anschein dieser Neu-Re-Um-Definierung, die am lustvollsten in der Identitätspolitik vorgenommen werden kann, erst mal nicht mithalten können. Junge Feministinnen haben sich von vielen Themen, die als unsexy gelten, freigestrampelt; von den Problemen allein erziehender Mütter oder vom Problem des Lohndumpings bei deutschen oder migrantischen Putzfrauen hält man sich eher fern.
Diese Entsolidarisierung hat aber nicht nur damit zu tun, dass man, um feministische Positionen massenkompatibel zu machen, gewisse blinde Flecken für die von neoliberalen Verhältnissen zugerichteten Subjekte entwickelt, sondern auch, dass man es sonst plötzlich mit Leuten zu tun hätte, denen man eine Unreflektiertheit in Hinblick auf Geschlecht übel nehmen müsste.

Die alte Frauenbewegung und die Themen, die damit assoziiert werden, werden dementsprechend misstrauisch beäugt. Zwischen jungen und älteren Feministinnen gibt es so gut wie keine Allianzen mehr, die Beschuldigungen gehen hin und her: einerseits unreflektierter Differenzfeminismus und Universitätsdünkel und Entpolitisierung andererseits. Und nach gerade erst überwundenem Biologismus und Essenzialismus riechende »Frauenthemen« wie Gebären und Abtreiben erscheinen da extrem unsexy.
Darüber hinaus hat Sonja Eismann (Jungle World 15/08) natürlich Recht, wenn sie schreibt: »Gerade der Feminismus ist nämlich durch seine omnipräsente Stigmatisierung als ›unsexy‹ das letzte große Kassengift im Kapitalismus.« Viele Frauen wollen sich an bestimmten Forderungen nicht mehr die Finger schmutzig machen, da sie der damit einhergehenden Opferstilisierung entgehen wollen. Stattdessen ist Schönreden oder Schweigen angesagt. Der Popfeminismus scheint die schmerzlosere Variante, um sich der eigenen Stärke zu vergewissern.
Aber wie viele bunte Bändchen soll man denn um ein Thema wie Abtreibungsrechte oder prekäre Mutterschaft binden, damit es attraktiver erscheint, sich damit zu beschäftigen? Oder sogar zu kämpfen? Müssen es Queertheoretikerinnen und -theoretiker doch ertragen, dass man versucht, Mädchen mit rosa eingefärbtem Infomaterial dazu zu bewegen, sich für das Studium der Ingenieurwissenschaften zu interessieren? Andererseits: Bei der Aids-Problematik hat es doch auch geklappt, ein eher unappetitliches Thema in die Partygesellschaft zu integrieren.
Aber neben der Inkompatibilität vieler feministischer Themen mit der erwünschten »Pop-Sexyness« gibt es noch ein weiteres Problem. Der neo­liberale Gedanke hat sich nämlich auch hier eingeschlichen: »Ich habe es doch auch geschafft, mich zu befreien. Hab’ Butler und Foucault gelesen. Und du Idiotin hast dich noch von irgendeinem Typen schwängern lassen und sitzt jetzt da mit Balg und Hartz IV. Deine Schuld.«
Wir hassen das gerade gehypte mediale Konstrukt der »Alphamädchen«, wenn es um schnöden Karrierismus mit viel Kohle geht, während die meisten von uns sich am Existenzminimum eingerichtet haben. Andererseits reproduzieren wir es in unserer Erfolgsgeschichte der eigenen sexuellen Befreiung. Wenn man sich seinen queeren Lebensentwurf selbst erkämpft hat, lässt man die Leute, die es »noch nicht geschnallt haben«, gerne mal hinter sich. Freiheit ist Luxus, und den will man nicht mit jedem Dahergelaufenen teilen. Ich begegne in letzter Zeit andauernd »Linken«, Frauen wie Männern, die mir erzählen, sie wollten niemanden mehr erziehen.
Die Wahrheit tut weh, ist aber einfach. Unsere Generation der Geistes- und Kulturwissenschaftler, von dem Wirtschaftswundergeld unserer Eltern genährt, denkt gar nicht mehr daran, ihren Glamour aufzugeben, wenn sie ihn auch nur im kleinsten Rahmen selbst hergestellt zu fassen bekommen kann. »Man hat der politischen Aktion einen Weg in die Kultur gezeigt, aber wie kommt man da wieder heraus?« fragen Raether und Stakemeier (14/08) und verdeutlichen damit nur, dass der Popfeminismus auch nur eine unter vielen Bewegungen der Linken ist, die allesamt das gleiche Schicksal ereilte.

Was wurde eigentlich aus der Poplinken, die in den neunziger Jahren so oft beschworen wurde? Heute nennen sich die Poplinken von damals »Kulturarbeiter« und machen theorielastige Ausstellungen und Bücher über ihre eigene Arbeitslosigkeit und Prekarität. Fragt sich nur, ob sie das als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme tun oder damit sie sich doch noch von Bauarbeiter Hannes distanzieren können, der vor ihnen in der Schlange fürs Arbeitslosengeld ansteht. Auf den Gedanken, in die Fabrik statt in die Universität zu gehen, kommt heute niemand mehr. Pop produzierende Kulturarbeiter interessieren sich für arbeitslose Mittel- und Unterschichtler nur noch, um sie mal für ein vom Hauptstadtkulturfonds gefördertes Theaterstück auf die Bühne zu holen. Mit den Menschen, die es in unserer Verwertungsgesellschaft am härtesten trifft, findet eine Solidarisierung höchstens noch auf dem Papier statt. Das Experimentierfeld Popfeminismus ist in dieser Routine gefangen. Der Ansatz von Eismann, die Themen im Buch »Hot Topic« aus der subjektiven Erfahrungswelt der Autorinnen aufzuschreiben, ging in die richtige Richtung, selbst Stellung zu nehmen, über die eigene Verstricktheit im System. Dies führt bei einigen Texten aber dazu, dass das subjektive Erzählen eine nötige Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse verdrängt.
Aber kann der Popfeminismus nun helfen, Allianzen wieder zu knüpfen? Kann er eine feministische Gegenöffentlichkeit bilden? Oder ist der Pop schlichtweg ein verlorener Posten im Kampf gegen Unterdrückung? Popkultur ist das Medium der Massenmanipulation wie es früher nur Weltreligionen waren. Ein Rollenbild wie Kate Moss hat die gleichen erwünschten Effekte wie früher die Jungfrau Maria, nämlich Frauen dazu zu bringen, ihre Körper zu hassen, zu verachten, sich zu entsolidarisieren, sich dem Anpassungsdruck zu ergeben und über das ganze Elend zu schweigen. Das Gebot der Coolness ist hier fast so stark wie bei Maria das Gebot der Reinheit.
Eine wirkungsvolle feministische Gegenkultur zu schaffen, die versucht, die gleiche Sprache wie die Unterdrücker zu sprechen, um mehr Frauen zu erreichen, ist immer noch begrüßenswert. Die queere Popkuschelecke soll dennoch niemandem verwehrt werden. Es ist nichts Falsches daran, wenn man die eigenen erkämpften Freiräume feiert und sich zum Ausruhen, Lieben, Leben und Weiterentwickeln mal in eine Schutzzone zurückzieht. Man muss sich nur im Klaren darüber sein, dass solche Schutzzonen nur ein Trost sein können und im schlechtesten Fall dazu führen, dass man ihre Aufwertung durch Abgrenzung anstrebt, anstatt, wie Raether und Stakemeier schreiben, den ganzen Laden zu übernehmen.

Das größte Problem des Popfeminismus ist neben der Entsolidarisierung aber ein Mangel an Internationalismus. Die »eigene« Prekarität sieht nämlich im globalen Vergleich immer noch ziemlich albern aus. Auch wenn der Pop sich zunächst den Anschein des Internationalismus gibt, entpuppt er sich doch schnell als extrem beschränkt. Der Zugang zum Pop, das Verstehen und Aneignen von Pop ist bereits ein Privileg, und Allianzen funktionieren global auch nur auf dieser privilegierten Ebene und können zu noch größeren blinden Flecken führen. Queere Bewegungen in »nicht-westlichen Ländern« sind oft sehr elitär. In Südafrika zum Beispiel gibt es keinerlei Allianzen zwischen queerer Bewegung und Frauenbewegung, weil die queere Bewegung dort vor allem weiß und gut ausgebildet/wohlhabend ist und die schwarze Frauenbewegung sich noch mit den rudimentärsten Problemen einer Post-Apartheid-Gesellschaft herumschlagen muss.
Eine Allianz zwischen Pop-Queer-Feminismus und anderen emanzipatorischen Bewegungen, von der Frauenbewegung bis zur Gewerkschaft, zeigt sich andererseits in Polen, wo beide Bewegungen sich erst in der postkommunistischen Ära der Neunziger zusammen entwickeln konnten und dem gemeinsamen Feind, dem aufkommenden katholischen Konservatismus und dem Neoliberalismus, gegenübertraten. Die Allianz funktioniert hier, weil beide Seiten erkannt haben, dass sexuelle, körperliche und ökonomische Selbstbestimmung Hand in Hand gehen. Hier demonstrieren arme und reiche Queere für das Recht von armen und reichen Frauen auf Abtreibung. Wenn Popfeminismus dabei helfen kann, dann let’s go.

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