Krise und Alltag in Zimbabwe

Der Greis will die Macht

Bei den Parlamentswahlen in Zimbabwe hat die Regierungspartei vor vier Wochen ihre Mehrheit verloren. Staatschef Robert Mugabe weigert sich jedoch, das offizielle Wahlergebnis der gleichzeitig abgehaltenen Präsidentschaftswahlen bekannt zu geben. Die Regierung will ihre erste Wahlnieder­lage seit 28 Jahren nicht anerkennen. Trotz großer Frustration in der Bevölke­rung beteiligten sich nur wenige an einem von der Opposition ausgerufenen Generalstreik.

»In Zimbabwe gibt es keine Krise«, lautete das Urteil des südafrikanischen Staatspräsidenten Thabo Mbeki, als er Mitte April auf dem Weg zum Krisentreffen in Lusaka beim Zwischenstopp in Harare kurz mit Robert Mugabe zusammentraf. Mugabe hatte angeblich Besseres zu tun, als zu einem Treffen zu fliegen, wo über die Zukunft Zim­babwes beraten wird. Wenn es nach ihm geht, stellt sich die Frage nach der zukünftigen Führung einen Monat nach der Wahl sowieso nicht. Der 84jährige regierende Staatspräsident verspricht, an der Macht bleiben zu wollen, bis er 100 ist. Für die meisten Bewohner Zimbabwes kommt das einer Drohung gleich.

»Ich habe seit 1980 nicht mehr gewählt, aber Mu­gabe hat schon so viel falsch gemacht, da konnte ich nicht mehr einfach nur zuschauen«, meint George, ein Lehrer aus Harares Vorstadt Chitungwiza.
Vier Wochen liegen die Präsidentschaftswahlen zurück, ein offizielles Wahlergebnis gibt es noch immer nicht. Genauer gesagt, der regierende Staatspräsident hat ein Wahlergebnis angefochten, das der Öffentlichkeit bis heute nicht bekannt ist. Dabei schreibt das Gesetz eine Veröffentlichung innerhalb von einer Woche vor.
Offiziell bestätigt ist bislang nur, dass Mugabes regierende Zimbabwe African National Union-Patriotic Front (Zanu-PF) bei den Wahlen erstmals seit 28 Jahren ihre Mehrheit im Parlament verloren hat. Deshalb hat das Regime in 23 von 210 Wahlkreisen eine Neuauszählung angeordnet. Zur Begründung heißt es, in diesen Wahlkreisen – die fast ausschließlich von der Oppositionspartei Movement for Democratic Change (MDC ) gewonnen wurden – lägen möglicherweise Fälschungen vor. Anfang April, knapp anderthalb Wochen nach der Wahl, hatte die MDC ihren Kandidaten Morgan Tsvangirai mit 50,3 Prozent der Stimmen zum Wahlsieger erklärt.
Mugabe will die Niederlage nicht eingestehen, das amtliche Wahlergebnis dürfte also weiter auf sich warten lassen. Über die Verzögerungstaktik der Regierung beschwert sich auch Vanessa, eine Schriftstellerin aus Harare: »Morgen, morgen, immer nur morgen, aber morgen kommt einfach nie.« Mugabe bleibt zunächst einmal.
Auch das Leben geht weiter wie bisher und nimmt wohl zu viel Energie in Anspruch, als dass Protest organisiert werden könnte. Vielleicht meinte Mbeki das, als er nichts Außergewöhnliches bemerkt haben wollte. Die Krise ist bereits zur Normalität geworden.
Die Menschen müssen irgendwie ihr Überleben sichern und meist viel Zeit und Geld aufwenden, um an die Dinge für den täglichen Bedarf zu kom­men. Vor den Banken stehen regelmäßig lange Schlangen um Bargeld an. Es werden fleißig Bank­noten gedruckt, inzwischen ist ein neuer violetter 50-Millionen-Dollar-Schein im Umlauf. Trotzdem reicht es für die Menschen nicht. Die Infla­tion der Landeswährung (Zim-Dollar) übersteigt mitt­lerweile 100 000 Prozent. In den Supermärk­ten passen die vielen Nullen der Millionen- und Milliardenbeträge gar nicht mehr auf die Etiketten und müssen von Hand hinzugefügt werden. Die Regale sind wegen der schlechten Versorgungs­lage dürftig bestückt, oder es gibt fast nur teure Importprodukte. Dabei ist in Harare das Angebot noch deutlich besser als im Rest des Landes. Vorausgesetzt, man hat das nötige Großgeld, Geduld beim Schlangestehen und Glück, dass es gerade das Gewünschte gibt, ist man hier noch einigermaßen versorgt.
Damit gehört man aber zur Minderheit in Zimbabwe. Viele haben kein richtiges Einkommen mehr, und der Rest kann nur staunen, mit welcher Geschwindigkeit die Inflation die Kaufkraft auffrisst. Die Preise für Maismehl und Brot, die Hauptnahrungsmittel der Bevölkerung, steigen beinahe wöchentlich. Wie die meisten Menschen überhaupt überleben, bleibt rätselhaft. Sie sind auf allerlei informelle Wege angewiesen. Die Stra­ßenränder sind gesäumt von Leuten, die versuchen, kleine Häufchen von Gemüse, Maputi (zim­babwisches Popcorn) oder Zigaretten zu verkaufen.
Eine andere Möglichkeit ist der »Import« von Gütern aus den Nachbarländern. An der Grenze zu Mozambique in der Nähe von Mutare warten vollbepackte Menschen in langen Schlangen auf die Einreise. Andere umgehen die Einreiseprozedur und laufen mit 50 Kilo schweren Reissäcken auf dem Kopf mehrere Kilometer durch die Eastern Highlands über die grüne Grenze.
Ein großer Teil der an der Grenze Wartenden besteht aus Arbeitsmigranten. Zimbabwer sind in Mo­zambique recht beliebt, da sie oft besser ausgebildet sind. »Das sind alles Brüder und Schwestern«, erläutert Thiago, ein Gemüsehändler aus Mozambique, die grenzüberschreitenden Beziehungen. »Vorher kamen sie zu uns, jetzt kommen wir eben hierher«, meint Edward, ein junger Zimbabwer, der seit knapp einem Jahr in Mozambique lebt und Kunsthandwerkliches aus Drähten und Plastikperlen verkauft.
Für viele ist die Emigration der einzige Weg aus der Perspektivlosigkeit, die zu Hause herrscht. Ophias, der im Auftrag einer zimbabwischen Tele­fongesellschaft viel unterwegs ist und uns in seinem Pick-up mitnimmt, um die Fahrtkosten zu kompensieren, sieht darin jedoch keine Lösung. »Alle gehen in andere Länder, aber die können uns nicht ewig helfen. Die Zimbabwer müssen sich endlich selbst befreien!« meint er aufgebracht. Für ihn ist das Wahlergebnis weiterhin die einzige Hoffnung auf Veränderung.

Anfangs ging man davon aus, dass Mugabe seine Niederlage akzeptieren würde und die Verzögerung der Bekanntgabe der Ergebnisse dazu dienen sollte, einen friedlichen Machtwechsel zu orga­nisieren. Diese Hoffnungen sind aber erloschen, seit die Regierung wieder auf die ihr vertraute Strategie der Einschüchterung durch Drohung und Gewalt zurückgegriffen hat. So gibt es mitt­lerweile jeden Tag Dutzende Berichte von Gewalt­taten, die von Milizen der Regierungspartei und den Green Bombers auf dem Land und in den ärmeren städtischen Wohngegenden verübt werden. Eine Zimbabwerin bezeichnet die Green Bom­bers, den Jugendverband der Zanu-PF, verächtlich als »Mugabes Hitlerjugend«. Insbesondere in den Hochburgen der MDC werden Bewohner versammelt und unter Todesdrohungen instruiert, bei möglichen Stichwahlen die »richtige« Partei zu wählen. Anhänger der Opposition werden verschleppt oder verprügelt. Zehn Menschen sollen bereits getötet worden sein.
Selbst sozial engagierte Menschen scheinen verdächtig zu sein. So griffen Beamte des zimbab­wischen Geheimdienstes (CIO) Tafadzwa, den Leiter eines selbst organisierten Aidsprojekts für Waisenkinder, auf der Straße auf und nötigten ihn, mit ihnen ins Büro zu kommen. »Dort lag eine Akte über mich auf dem Schreibtisch«, erzählt er. »Während unseres Gesprächs versuchten sie, mich als Sympathisanten der MDC hinzustellen, obwohl ich mich nie für die MDC engagiert habe. Das von mir geleitete Projekt betätigt sich jenseits von Parteigrenzen.« Erst nach mehreren Stunden konnte Tafadzwa das Büro verlassen, immerhin mit der Zusicherung, sein Projekt weiter betreiben zu können. Doch dafür ist er auf die Hilfe einer internationalen NGO angewiesen, mit der er zusammenarbeitet. »Ihnen habe ich aber geraten, momentan nicht hierherzukommen, das ist zu gefährlich. Im ganzen Bezirk sind Leute vom CIO unterwegs, die alle kontrollieren und versuchen herauszufinden, wer MDC gewählt hat.«
Das Bekenntnis zur »richtigen« Partei kann sogar darüber entscheiden, ob man heil nach Hause kommt. Aber nicht immer, wie George erzählt. »Die Soldaten haben Leute auf der Straße angehalten und sie gefragt, wen sie gewählt haben. Wer Zanu-PF gesagt hat, den haben sie verprügelt und gemeint: ›Wenn so viele Zanu-PF gewählt haben, warum hat sie dann verloren?‹ Wer gewagt hatte, MDC zu sagen, den ließen sie laufen.« George erzählt von mehreren Übergriffen am Wochenende in St. Mary’s, einem Bezirk Chitungwizas, sichtlich verunsichert über den seltsamen Sinn der Sicherheitskräfte für Ironie.
James, ein ehemaliger Gewerkschafter, geht davon aus, dass Mugabe, sollte es zu einer Stichwahl kommen, keine Chance hätte, trotz zu erwartender Wahlfälschung und Einschüchterung. Die MDC, die die Neuauszählung für verfassungswidrig erklärte, lehnt eine Stichwahl jedoch ab. Für sie gibt es bereits einen Wahlsieger, und der heißt Morgan Tsvangirai.

Doch worauf lässt sich hoffen, sollte er tatsächlich Präsident werden? Insbesondere der Westen konzentrierte sich bei seinen Analysen auf die Gräueltaten Mugabes und den Niedergang des Lan­des unter der Regierung der Zanu-PF, sodass die MDC quasi automatisch als die Lösung aller Probleme erschien. Dabei wird Tsvangirai ebenfalls ein autokratischer Führungsstil nachgesagt, der nicht zuletzt zur Spaltung seiner eigenen Partei geführt hat. Ebenso wenig lässt sich derzeit abschätzen, ob er nicht eine ähnliche Klientelpolitik pflegen wird wie Mugabe, nur mit anderen Nutznießern. Kritik musste die MDC Ende vergangenen Jahres auch von diversen Menschenrechtsgruppen einstecken, als sie einer Vereinbarung zustimmte, die zu einer Reform der Verfassung führen sollte. Kritisiert wurde die MDC für ihre Kompromissbereitschaft gegenüber der Zanu-PF, die eine Verfassungsreform von oben durchdrücken wollte.
Auf der anderen Seite ist auch die Zanu-PF kein sicherer Rückzugsort mehr für Mugabe. Die ökonomische Krise der vergangenen Jahre hat auch zu einer Spaltung in seiner Partei geführt. Ein nicht unerheblicher Teil der Mitglieder stemmte sich gegen eine erneute KAndidatur des amtierenden Präsidenten. Höhepunkt dieses Widerstan­des war die parteiinterne Gegenkandidatur von Simba Makoni, der daraufhin von Mugabe aus der Zanu-PF ausgeschlossen wurde und als unabhängiger Kandidat antrat. Inzwischen werden Politiker der MDC sogar von kritischen Anhängern der Zanu-PF vor drohenden Übergriffen gewarnt. Die Frage, wie es mit Zimbabwe weitergeht, hängt auch davon ab, wie sich der partei­interne Konflikt in den nächsten Wochen entwickeln wird.
Weil viele Zimbabwer ihre Hoffnung auf Veränderung und einen Ausweg aus der seit dem Jahr 2000 andauernden Misere in die Wahlen gesetzt haben, ist der gegenwärtige Stillstand, der auf der Verzögerungstaktik der Regierung beruht, sehr frustrierend. Ausländische Beobachter erwarten deshalb, dass es demnächst zu ähnlichen Ausschreitungen kommen könnte wie in Kenia Anfang des Jahres.
Die Frustration äußert sich derzeit kaum in offe­nem Protest. An dem von der MDC ausgerufenen Generalstreik, der Druck auf die Wahlkommission ausüben sollte, beteiligten sich weniger Menschen als erhofft. Bewusst entschied sich die MDC auch für einen Streik statt für eine Demonstration. »Wenn die Leute ihren Protest zeigen, indem sie einfach nicht arbeiten gehen, dann ist das sicherer, als wenn sie auf die Straße gehen«, so Tendai Biti, der Generalsekretär der Partei.
Für James ist diese Zurückhaltung absolut verständlich: »Die Bevölkerung erinnert sich hier noch ganz genau an die Zeit des Bürgerkrieges. So etwas wollen sie auf keinen Fall wieder erleben.« Doch die Reaktionen anderer Menschen lassen darauf schließen, dass die Angst vor Gewalt nicht nur von den Erinnerungen aus dem Bürger­krieg herrührt. Als wir mit Tafadzwa in der Innenstadt eine Straße entlanggehen und ein Düsen­jäger über uns hinwegdonnert, zuckt er sofort zusammen und schaut sich ängstlich in alle Him­melsrichtungen um. Kurze Zeit später bittet er uns, die Kamera wegzupacken. »Es könnte sein, das ihr deswegen verhaftet werdet«, fügt er verlegen hinzu. Auch wenn dies im konkreten Fall eher unwahrscheinlich scheint, wird doch klar, dass viele Menschen von Mugabes Repressionsapparat eingeschüchtert sind.
Die Regierung bemüht sich, jeder Bedrohung ihrer Macht zuvorzukommen. So ließ sie auch aus Angst vor Ausschreitungen auf dem Campus den bereits für Mitte Februar vorgesehenen Semesterbeginn um zwei Monate verschieben. Die Universität in Harare ist erst seit zwei Wochen wieder geöffnet, doch die Studenten kommen nur langsam zurück.
Die Wohnheime auf dem Campus wurden im Juli vorigen Jahres von der Bereitschaftspolizei eva­kuiert und zerstört, seither waren sie geschlossen. Der Frauenbereich ist inzwischen wieder geöffnet, aber die zehn Milliarden Zim-Dollar Miete für das Semester können sich nur wenige leisten, obwohl die Unterbringung auf dem Campus im Vergleich zum Mietspiegel dieser Wohngegend noch vergleichsweise günstig ist. Wer nicht in der Nähe wohnen kann, muss hohe Fahrtkosten auf sich nehmen. Viele Studierende haben schon längst ihr Studium abgebrochen, da sie es sich nicht mehr leisten können, oder sind ausgewandert.
»In diesem Land gibt es selbst für Leute mit einem Abschluss keine Zukunft«, beschreibt David, ein junger Lektor, die Lage. »Nur korrupte Menschen können in dieser Wirtschaft Geld verdienen«, fügt er hinzu. »Einige Freunde von mir haben bereits das Studium aufgegeben und versuchen nun, auf dem Schwarzmarkt Karriere zu machen«, erzählt er resigniert.
Von der Inflation werden die niedrigen Gehälter aufgefressen, und so haben auch viele Lehrer bereits das Land verlassen. David würde dennoch gerne hier bleiben. »Ich mag Zimbabwe. Ich hoffe nur, dass sich etwas ändert. Wir schätzen, was Mugabe für uns getan hat, aber jetzt muss er gehen. Wir haben hier ein Problem der Führung. Die ist alt und senil. Es ist Zeit, dass die junge Generation drankommt!« fordert er. Mit 84 Jahren hat Mugabe die Lebenserwartung für zimbabwische Männer, die nur 37 Jahre beträgt, tatsächlich schon um mehr als das Doppelte überschritten.
Nicht wenige gehen davon aus, dass Mugabe vor allem an der Macht bleiben will, um sich den drohenden Anklagen wegen Menschenrechtsverletzungen zu entziehen. Für dieses Problem hat James eine eher unorthodoxe Lösung parat. »Man sollte ihn, sobald er abtritt, einfach in Ruhe lassen und neu anfangen, als hätte es diese Ära nie gegeben.« Aber Mugabe weiß, dass nicht alle seiner Landsleute so versöhnlich sind, und erst recht nicht die Uno.
Gleichwohl meinte selbst ein hier ansässiger UN-Mitarbeiter, der ungenannt bleiben will, dass Afrikaner im Umgang mit ihrer Vergangenheit häufig pragmatische Wege gingen. Man solle sich dieser Verfahrensweise offener gegenüber zeigen. Für Lisa, Hausangestellte bei einer weißen Familie, sind diese Fragen lediglich politische Spekulationen. »Kein Mensch ist hier mehr in der Lage, Essen zu kaufen oder am Wochenende mit dem Bus nach Hause zu fahren«, sie holt tief Luft und fügt energisch hinzu: »Seit 1980 ist Zimbabwe unabhängig, doch solange Mugabe nicht weg ist, werden wir Zimbabwer nie wirklich frei sein.«