Die »faulen Kredite« der Westdeutschen Landesbank

Der Osterhase bringt die Schulden

Wie erwirtschaftet man 1,6 Milliarden Euro Schulden? Die Westdeutsche Landesbank hat es vorgemacht: Man vergibt Kredite an Fernseherverleiher, kauft die falschen Aktien und verzettelt sich im Im­mo­biliengeschäft. Dann braucht man eine Mülldeponie für »faule Kredite«.

Die Westdeutsche Landesbank (WestLB) bekommt diese Woche einen neuen Vorstandsvorsitzenden. Am 1. Mai löst Heinz Hilgert den vorübergehenden Leiter Alexander Stuhlmann ab. Dieser hatte das Amt seit dem vergangenen Sommer inne. Sein Auftrag war es, eine Landesbank zu fin­den, die bereit ist, mit der WestLB zu fusionieren, damit die Verluste leichter zu tragen sind. Doch weder die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) noch die Landesbank Hessen-Thürin­gen (Helaba) war interessiert, sich mit der »Zockerbank am Rhein« (Zeit) zu verbinden.
Hilgert ist schon der sechste Vorstandsvorsitzende seit 2001. In den 32 Jahren von 1969 bis 2001 war die Bank mit nur vieren ausgekommen. Was unterscheidet die WestLB von der Deut­schen Bank oder der Commerzbank? Auf den ersten Blick nicht viel. Sie steht in Konkurrenz zu privaten Geschäftsbanken, berät Unternehmen beim Börsengang oder bei Übernahmen und spekuliert auf eigenes Risiko. Der Unterschied besteht darin, daß im Fall einer Staatsbank der Staat haftet, wie auf einer Baustelle die Eltern für die Kinder haften, was die WestLB dazu ermuntert, stets extrem hohe Risiken einzugehen.

Viel Geld verlor die WestLB etwa mit dem britischen Kunden Boxclever. Dieser hatte die Ge­schäfts­idee, Fernseher zu verleihen. Ohne zu zögern, gab die WestLB Boxclever einen Kredit von 1,35 Milliarden Euro. Leider erlebte die Fernseher­verleihbranche gerade eine Phase der Wachstums­schwäche, was sich ungünstig auf das Kerngeschäft von Boxclever auswirkte und die Pleite zur Folge hatte. Der Schaden für die WestLB wird auf 500 Millionen Euro geschätzt. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der WestLB, der frühere Handballnationaltorwart Jürgen Sengera (Spitzname: »Serengeti«), muss sich derzeit vor Gericht gegen den Vorwurf der schweren Untreue im Zusammenhang mit dem Boxclever-Projekt verteidigen.
Auch mit Aktienspekulationen hatte die WestLB immer wieder Pech, von 2002 bis 2004 verlor sie fast vier Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr kam dann noch die Immobilienkrise hinzu. Obwohl bisher jeder Immobilienboom mit einem Crash endete, kam er für die WestLB irgendwie überraschend.
Ihr Slogan lautet: »WestLB – Bank der neuen Antworten«. Tatsächlich hat der Vorstand stets neue Antworten parat, wenn jemand fragt, wie hoch die Verluste der Bank sind. Bis November 2007 behauptete er, man werde für das gesamte Jahr einen Gewinn erwirtschaften. Das Jahr neig­te sich dem Ende zu, die Gewinne wollten sich nicht einstellen, sodass die Verantwortlichen kurz vor dem ersten Advent zugeben mussten: »In Folge der anhaltend schwierigen und sich in den letzten Wochen noch verschärfenden Marktentwicklungen geht der Vorstand nicht mehr davon aus, in 2007 ein positives Konzernergebnis zu erreichen (…) Aus heutiger Sicht ist im Konzern mit einem Verlust vor Steuern im niedrigen dreistelligen Millionenbereich zu rechnen.« Man hatte also nicht etwa viel Geld auf eine falsche Sache gesetzt, die Umstände hatten sich bloß schwie­rig gestaltet und mit der Zeit noch verschärft. Selbst nach diesem Eingeständnis ging es nicht unbedingt aufwärts: Das Jahr 2007 war längst zu Ende, aber die Verluste für 2007 stiegen weiter. Aus dem Minus im »niedrigen dreistelligen Millionen­bereich« wurde über Weihnachten ein Verlust von einer Milliarde.

Offenbar glaubt man, dass man den Bürgern, die für diese Verluste aufkommen sollen, die Wahrheit scheibchenweise und somit schonend beibringen müsse. Man verfiel deshalb auf die Variante: »Wir haben eine gute und eine schlechte Nachricht!« Die Pressemitteilung von Anfang April, in der von einem Fehlbetrag in Höhe von nun 1,6 Milliarden die Rede war – über Ostern war wohl noch was dazugekommen –, trug nicht etwa die Überschrift »Immer tiefer in den Miesen« oder »WestLB, auweia!«, sondern: »Risikoschirm befreit WestLB weitgehend von Risiken der Kreditkrise«. Der »Schirm« besteht aus fünf Milliarden Euro Staats­geldern. Um die Summe aufzubringen, wird eigens das nordrhein-westfälische Haushaltsgesetz geändert. Einspringen müssen außer dem Bundesland die Sparkassenverbände und die Landschaftsverbände.
Die WestLB, die damit wirbt, dass ihre »neuen erstklassigen Finanzdienstleistungen« die »Antwort auf die wachsenden Herausforderungen« für ihre Kunden seien, muss die wachsenden Herausforderungen bewältigen, vor denen sie selbst steht. 1 500 Angestellte sollen entlassen werden, das ist etwa jeder vierte. Keine andere Bank weltweit entlässt gemessen an der Gesamtbelegschaft so viele Mitarbeiter.
Außerdem sollen Kreditrisiken in eine neue »Zweckgesellschaft« in Irland ausgelagert werden. Marktwertschwankungen der Papiere machten sich somit nicht mehr in der Bilanz der Landesbank bemerk­bar, heißt es. Der nordrhein-west­fälische Finanzminister Helmut Linssen (CDU) er­klärte dies dem Landtag wie folgt: Die »Zweck­gesellschaft« bezahlt den Kaufpreis von 23 Mil­liarden Euro mit der Ausgabe von Schuldverschrei­bungen, die von der WestLB übernommen werden. Diese Konstruktion sei eine vorübergehende Lösung für die kommenden sechs Monate. Damit werde auch die Forderung der EU erfüllt, dass die gesamte Transaktion rückgängig gemacht werden kann.

Also noch mal: Die WestLB hat »faule Kredite«, die sie gern loswerden möchte. Darum gründet sie eine Firma, deren einziger Zweck es ist, der WestLB als Mülldeponie zu dienen, und die darum »Zweckgesellschaft« heißt. Sie wird in Irland ihren Sitz haben, weil dort weniger Steuern anfallen als in Nordrhein-Westfalen. Da die WestLB eine staatliche Bank ist, legt sich der Staat hier selbst herein. Nun braucht die »Zweckgesellschaft« Geld, um der WestLB die »faulen Kredite« abkaufen zu können. Dieses leiht sie sich bei der WestLB. Irgendwie scheint es auch Finanzminister Linssen zu dämmern, dass mit dem Plan etwas nicht stimmt, weswegen er stolz darauf ist, dass das Vorhaben sich notfalls wieder rückgängig machen lässt. Immerhin hätte man dann sechs Monate Zeit gewonnen. Oder verloren? Egal. Auf der Inter­netseite der WestLB heißt es, ihr »Tun« sei »geprägt« von »ganzheitlichem Denken«. Das hatte man irgendwie schon geahnt: Die WestLB ist die Waldorfschule unter den Banken.