Das Treffen des »Kameradenkreises der Gebirgsjäger« in Mittenwald

Im Kreis der Mörder

Der »Kameradenkreis der Gebirgsjäger« lädt erneut nach Mittenwald. Auch Politiker besuchen das Treffen von Bundeswehrsoldaten und ehemaligen Wehrmachts­angehörigen. Mehrere Initiativen wollen gegen das Stelldichein der Kriegsverbrecher protestieren.

»Von einer verbrecherischen Geschichte der Gebirgstruppen zu sprechen, ist historisch falsch«, ließ die Bundesregierung im vergangenen Jahr wissen. Ob sie bei dieser Auffassung bleibe, fragte Mitte April die Linkspartei. In einer Kleinen Anfrage hatte sie zahlreiche Massaker aufgelistet. Sie wollte wissen, ob die Bundesregierung weiter­hin glaube, diese seien lediglich »von einzelnen Angehörigen und einzelnen Truppenteilen« begangen worden. Und sie stellte die Frage, wie viele Massaker eine Armee nach Auffassung der Bundesregierung durchführen müsse, um sich einer verbrecherischen Kriegführung schuldig zu machen. Die Antwort steht noch aus.
Jedes Jahr an Pfingsten findet im bayrischen Mittenwald eine Gedenkfeier des »Kameradenkreises der Gebirgsjäger« statt. Trotz abnehmender Teilnehmerzahlen ist es das größte Soldatentreffen Deutschlands. Das Gelände vor dem Mittenwalder Bahnhof wurde 2007 von Polizeiwagen belagert, aus denen die etwa 200 Teilnehmer einer Veranstaltung mit Zeitzeugen, die die Massaker der Gebirgsjäger schilderten, gefilmt wurden. Vorher hatten Beamte Autos durch­sucht und Leibesvisitationen vorgenommen. Polizisten, die schwarze Sturmhauben und gepan­zerte Uniformen trugen, patroullierten. Die Stadt selbst tat sich, gelinde gesagt, immer recht schwer damit, den Gästen der Veranstaltung gegen die Soldatenfeier einen passenden Ort zur Verfügung zu stellen. Selbst die »Sondernutzungserlaubnis« für das Bierzelt auf dem Bahnhofsvorplatz wurde bis kurz vor Pfingsten 2007 nicht erteilt.

Trotz widriger Umstände und des unverhältnismäßigen Polizeieinsatzes: Der Arbeitskreis »Angreifbare Traditionspflege«, die »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund deutscher Antifaschisten« und andere Initiativen organisieren seit 2002 jedes Jahr eine Veranstaltung in Mittenwald, auf der Angehörige von Opfern und Überlebende von Massakern der Gebirgsjäger berichten. Die Einheiten der Gebirgsjäger haben während des Zweiten Weltkriegs in ganz Europa etwa 50 Massaker verübt und griechische Juden deportiert. Hermann Frank Meyer gibt in seinem vor kurzem erschienenen Buch »Blutiges Edelweiß. Die 1. Gebirgs-Division im Zweiten Weltkrieg« an, dass die Soldaten allein auf dem Balkan zwischen 1943 und 1945 mehr als 3 000 unbeteiligte Zivilisten umgebracht haben.
Die diesjährige Gegenveranstaltung findet unter dem Motto statt: »Geben wir ihnen den Rest! Nie wieder Gebirgsjäger in Mittenwald!« Außerdem ist für Pfingstsonntag ein »Kontrollgang mit Antifa-Picknick« auf dem Hohen Brendten geplant. Das so genannte Traditionstreffen selbst findet dieses Mal nicht an Pfingsten, sondern am 3. und 4. Mai statt. Verlegt wurde es wohl auf Betreiben der Gemeinde, die den Touristen an Pfingsten keine Demonstranten und behelmten Polizisten zumuten möchte.
Mittlerweile richtet sich der Protest nicht mehr nur gegen die Gebirgsjäger und ihre »Traditionspflege«, sondern auch gegen die Aufhebung von Grundrechten in Mittenwald. Im vergangenen Jahr verhinderte die Bundeswehr eine Gedenk­kund­gebung für die Opfer des Nationalsozialismus. Der Arbeitskreis »Distomo« war deshalb bis vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Lars Reissmann, der dem Arbeitskreis angehört, sagte zum Beschluss: »Das Bundesverfassungsgericht entschied zu Gunsten der ›Selbsthilfeorganisation von Kriegsverbrechern‹. Das ist ein Schlag ins Gesicht der NS-Opfer. Für eine so ›kriegs­wichtige‹ Veranstaltung ist die Allianz aus Wehrmachtssoldaten und Bundeswehr wichtiger als das Demonstrationsrecht.«

Zum »Heldengedenken« versammeln sich nicht nur alte und neue Soldaten. Auch Politiker gesellen sich dazu. Für dieses Jahr war Bundesvertei­digungsminister Franz Josef Jung (CDU) angekün­digt, der aber nach Angaben seines Sprechers nicht kommen und auch kein Grußwort schicken wird. Nichtsdestotrotz wird ein Vertreter aus Berlin anreisen. Das Ministerium will anscheinend großes Aufsehen vermeiden. Denn im November 2007 hat der römische Militärstaatsanwalt Antonio Intelisano doch noch ein Ermittlungsverfahren gegen sieben Gebirgsjäger wegen eines Massa­kers auf der griechischen Insel Kephallonia eröffnet. Das kommt zwar spät und ist halbherzig – immerhin hat Simon Wiesenthal bereits 1964 Informationen zu dem Verbrechen vorgelegt, und mindestens zwei Gebirgsjäger haben 1967 der Staatsanwaltschaft Düsseldorf gestanden, am 24. September 1943 entwaffnete italienische Offiziere erschossen zu haben. Aber immerhin ist das Verfahren eine letzte Möglichkeit, den Mord an Tausenden nach der Kapitulation Italiens auf der Insel Kephallonia gefangengenommenen Sol­daten der Division Acqui noch vor ein Gericht zu bringen.
Der Massenmord der Wehrmachtssoldaten wurde in der Bundesrepublik bisher nicht strafrechtlich geahndet. Erst im Herbst des vergan­genen Jahres reichte der Anwalt Michael A. Hofmann, der Enzo und Marcella de Negri, die Kinder des damals von einer Gebirgsjägereinheit ermordeten Francesco de Negri, vertritt, eine Klage beim Oberlandesgericht München ein. Es sollte ein Prozess gegen einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher, den 86jährigen, geständigen ehema­li­gen Gebirgsjäger Othmar Mühlhauser, angestrengt werden. Doch das Gericht lehnte ein Klage­erzwingungsverfahren ab. Nach Ansicht der Zuständigen handele es sich bei dem Massaker nicht um Mord aus niederen Beweggründen, son­dern um Totschlag, der längst verjährt sei, sagt Hoffmann.

Solche Entscheidungen passen auch zum Vorgehen des Bundesverteidigungsministeriums. Der Arbeitskreis »Angreifbare Traditionspflege« kritisiert, dass der »Kameradenkreis der Gebirgsjäger« als gemeinnützig anerkannt sei und vom Bundesverteidigungsministerium hofiert werde. »Es stellt dem Kameradenkreis Einrichtungen der Bundeswehr für Saufabende und andere Versammlungen zur Verfügung, schickt seine Musiker zu den Kriegsverbrecherfeiern auf den Hohen Brendten bei Mittenwald und entsendet den Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Christian Schmidt (CSU), Mitglied im ›Kameradenkreis‹, als seinen offiziellen Vertreter zur Pfingst­feier«, gibt der Arbeitskreis in einer Veröffentlichung an. Im Dezember vergangenen Jahres ließ das Verteidigungsministerium der Abgeordneten Ulla Jelpke (»Die Linke«) mitteilen: »Die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und dem Kameradenkreis der Gebirgsjäger ist nicht zu beanstanden.« Im Gegensatz dazu hat der ös­terreichische Verteidigungsminister Norbert Da­ra­bos im Jahr 2007 Angehörigen des Bundesheers und seines Ressorts untersagt, an dem Gebirgsjägertreffen teilzunehmen, weil das Veteranentreffen wegen der fehlenden Distanzierung von der NS-Ideologie massiv kritisiert werde.
Andere haben da geringere Berührungsängste. Im vergangenen Jahr feierten der bayrische Wissenschaftsminister Thomas Goppel (CSU) und Staatssekretär Schmidt den Gedenkgottesdienst gemeinsam mit dem Kriegsverbrecher Joseph Scheungraber. Im September 2006 war dieser vom Militärgericht La Spezia wegen eines Massakers im italienischen Falzano di Cortona in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Seine Einheit hatte 15 Zivilisten in ein Bauern­haus gesperrt und es gesprengt. Alle im Haus bis auf einen 15jährigen Jungen starben.
Wohl aufgrund des großen Drucks nach dem Urteil in Italien hat im Januar dieses Jahres auch die Staatsanwaltschaft München I Anklage wegen Mordes in 14 Fällen gegen den in Ottobrunn bei München lebenden Scheungraber erhoben. »Momentan tut sich aber nichts«, sagt Oberstaats­anwalt Anton Winkler. Vor Juni sei nicht mit einem Gerichtstermin zu rechnen. Die Verteidigung Scheungrabers habe weitere ärztliche Gutachten angekündigt, die die Verhandlungsunfähigkeit des 1918 geborenen Mannes belegen sollen. Mög­licherweise werde das Gericht aber auch eigene Gutachten in Auftrag geben, sagt Winkler. Sicher wird sich Scheungraber dieses Jahr gut überlegen, ob er die Reise nach Mittenwald antritt.