Feldbesetzungen gegen Gentechnik

Saures für die Zuckerrübe

Die neunziger Jahre kehren wieder: Wie damals besetzen in diesem Frühling Gegner der Gentechnik an etlichen Orten Felder oder zerstören Versuchspflanzungen.

Sie kamen zu sechst am frühen Morgen und hatten Harken in ihren Händen. Als der Wachschutz am Montag voriger Woche die Mitglieder der Initiative »Gendreck weg« entdeckte, war es aber schon zu spät. Als die Polizei eintraf, hatten die Personen zwei Drittel des Winterweizens ausgerissen, der im Rahmen eines Freisetzungsversuchs auf dem Gelände des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben in Sachsen-Anhalt bereits im zweiten Jahr angebaut wird. Die genetisch veränderten Getreidepflanzen tragen ein Gen aus Ackerbohne und Gerste in sich, das den Eiweißgehalt erhöhen soll, ein weiteres macht die Pflanze resistent gegen ein Herbizid der Firma Bayer.

Der Vorfall gehört zu einer Reihe von Aktivitäten der Gegner der Gentechnik in diesem Frühling. Aber ihm kommt eine besondere Bedeutung zu. Das IPK baut nicht nur genmanipulierte Pflanzen an. Auf dem Gelände befindet sich auch eine der größten Gendatenbanken für Kulturpflanzen in Europa. Damit die Samen nicht ihre Keimfähigkeit verlieren, müssen sie regelmäßig ausgesät werden. Doch dabei könnten die Pflanzenarten, sagen die Kritikerinnen und Kritiker, mit gentechnisch verändertem Material verunreinigt werden und so unwiederbringlich verloren gehen. »Dort sind 150 000 Kulturpflanzen archiviert, darunter über 10 000 alte Weizensorten, deren Kontaminierung hier zumindest fahrlässig in Kauf genommen wird«, sagt Lea Tanja Hinze, die sich gegen Gentechnik engagiert.
Weizen gilt zwar als Selbstbestäuber, je nach Populationsdichte, Typ und Umweltfaktoren wer­den jedoch nach Angaben des Diplomagraringenieurs Andreas Bauer vom Umweltinstitut München immer noch bis zehn Prozent fremdbestäubt. Nach einer 2007 veröffentlichten Studie aus Kanada fand man beinahe drei Kilometer von einem Versuchsfeld entfernt Kreuzungen anderer Sorten mit gentechnisch verändertem Weizen. Der Abstand zu den Feldern in Gatersleben, auf denen die alten Sorten ausgebracht werden, beträgt 500 Meter. »Die Mindestabstände sind nicht ausreichend«, folgert Bauer, »auf dem ganzen Gelände sollte es überhaupt keine Freisetzungsversuche geben.« Was 30 000 Protestbriefe gegen den Versuch 2006 nicht vermochten, scheinen nun die »Feldbefreier« erreicht zu haben. »Nach erster interner Bewertung ist die Freisetzung wissenschaftlich nicht mehr auswertbar«, ließ das IPK verlauten.

Anders gingen Gentechnikgegner in Gießen, Ober­boihingen, im niedersächsischen Northeim, in Forchheim bei Karlsruhe und in Groß-Gerau vor. Dort wurden so genannte Genfelder besetzt, was bereits in den Neunzigern recht beliebt war. Bereits 1993 wurde einmal ein Feld der Klein­wanzlebener Saatzucht AG (KWS) bei Göttingen besetzt. 15 Jahre später sitzt die nächste Generation von Umweltschützern nur wenige Kilo­meter weiter nördlich auf einem Versuchs­acker. Etwa ein Dutzend Personen campiert dort seit Mitte April abwechselnd, um die Aussaat von Zuckerrüben zu verhindern, denen Herbizide nichts anhaben können. »Es gibt einfach zu viele ungeklärte Risiken«, meint Christian Pratz, der wie die meisten auf dem Feld in Witzenhausen Ökologische Landwirtschaft studiert. Durch Auskreuzungen gelangten die veränderten Gene trotz aller Schutzvorkehrungen in die Umwelt. »Damit wird Landwirten und Verbrauchern ihre Wahlfreiheit genommen, denn irgendwann kann man dann keine Produkte mehr kaufen, die nicht gentechnisch verändert sind«, ergänzt seine Mitstreiterin Annabelle Gérard.
Der Saatkonzern hat die so genannte Round-up-Ready-Rübe gemeinsam mit dem führenden Saatgutunternehmen Montsanto entwickelt, bislang ist sie jedoch nur in Nordamerika zugelassen. Nun will die KWS untersuchen, wie die Rü­bensorte mit dem albernen Namen bei den hie­sigen Klima- und Bodenverhältnissen im Vergleich zu konventionellen Sorten abschneidet. Sie soll dann auch hier auf den Markt kommen.

Auch in Hessen regte sich in den Neunzigern großer Widerstand gegen die Gentechnik. Insbesondere in der Wetterau ging es damals hoch her. Dieses Jahr sind in diesem Bundesland Versuche auf drei Feldern genehmigt, angemeldet hat sie alle die Universität Gießen. Professor Wolfgang Friedt wollte in Groß-Gerau und Rauischholzhausen bei Marburg Tests an gentechnisch verändertem Mais vornehmen, zog jedoch nach dem Protest einer Bürgerinitiative den Versuch in Rauischholzhausen zurück. Sein Kollege Karl-Heinz Kogel betreibt in Gießen seit 2006 einen auf drei Jahre angelegten Versuch an gentechnisch veränderter Gerste.
Nachdem das etwa zehn Quadratmeter große Feld auf dem Uni-Campus in den ersten beiden Jahren teilweise von den Gegnern verwüstet worden war, ließen sich dort in einer Nacht Ende März, vom Wachschutz und der benachbarten Po­lizei unbemerkt, etwa 20 Personen nieder. Aus drei Baumstämmen errichteten sie einen Turm, ein etwa 600 Kilo schwerer Betonklotz bot zudem die Möglichkeit, sich im Fall einer Räumung anzuketten. Drei Wochen harrten einige der Besetzer dort bei Wind, Schnee und Regen aus. Stefan Hormuth, der Leiter der Universität, versuchte, den Protest als vergeblich darzustellen. Er teilte mit, man habe dieses Jahr sowieso nicht vorgehabt auszusäen. »Wir verfügen bereits über genügend Ergebnisse aus den Vorjahren und stehen im Kontakt mit anderen Forschungseinrichtungen«, sagte er.
Im Vergleich zu den anderen Gruppen, die kürz­lich Felder besetzt haben, finden sich in der Gießener Gruppe sehr unterschiedliche Menschen, nämlich Berufstätige, Auszubildende und Arbeits­lose von 18 bis 50 Jahren. Über das Feld weiß vor allem Jörg Bergstedt von der Umweltprojektwerkstatt in Saasen Bescheid. »Das Feld ist das einzige seiner Art in ganz Mitteleuropa und dabei eines der teuersten«, gibt er Auskunft. Manche haben sich an dem Protest beteiligt, weil sie die Gentechnik gänzlich als Herrschaftsinstrument ablehnen. »Da wird eine Risikotechnologie einfach so eingeführt, weil bestimmte Eliten sich davon Vorteile erwarten«, regt sich Michel Gohde* auf. Mögliche Folgen, wie der Anstieg der Preise auf dem Agrarmarkt und die Belastung durch Pes­tizide, gingen jedoch zu Lasten der Verbraucher.

Anders als in Oberboihingen, wo die Besetzer einen schnellen Sieg davontrugen, und in Gießen, wo der Rektor einen Versuch mit der genetisch veränderten Gerste in diesem Jahr ausschloss, bleibt abzuwarten, wie sich die KWS verhält. Das Unternehmen schwankt derzeit zwischen dem Versuch der Deeskalation und der Diffamierung der Besetzer. Doch die »Auswärtigen, die mit der lokalen Bevölkerung in keiner Verbindung stehen«, wie es der Sprecher der Firma formulierte, genießen mehr Sympathien, als dem Konzern lieb ist. Denn die Genversuche in der Nachbarschaft werden nicht gern gesehen. Auch der Northeimer Stadtrat hat sich bereits im Dezember vergangenen Jahres mit deutlicher Mehrheit gegen den Versuch ausgesprochen.

*Name von der Redaktion geändert