Die türkische Tageszeitung Hürriyet feiert ihren 60. Geburtstag

Die »Bild« der Türken

Die türkische Tageszeitung Hürriyet feiert ihren 60. Geburtstag.

Am 1. Mai 1948 erschien die erste Ausgabe der Zeitung Hürriyet (Freiheit). Ihr Herausgeber Sedat Simavi, eine der herausragenden Figuren der türkischen Mediengeschichte, war von Haus aus Karikaturist. Ein angesehener Berufsstand, Satire hatte seit der Jahrhundertwende zu den interessantesten Mitteln der Publizistik gehört. Schließ­lich ließen sich die ideologischen Flügel­kämpfe der Zeit in einem Land mit hoher Analphabetenrate zeichnerisch besonders wirksam auf den Punkt bringen. Simavi unterstützte während des türkischen Befreiungskriegs gegen die europäischen Besatzer nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg mit der Herausgabe der Satirezeitschrift Güleryüz (lachendes Gesicht) die Truppen um den späteren Staatsgründer Mus­tafa Kemal Atatürk.
Das politische Ethos war ein auf Unabhängigkeit zielender, türkischer Nationalismus, der ideologisch rigoros mit der osmanischen Vergangenheit abschloss und sich gleichzeitig als türkische Alternative zu anderen Gesellschaftsmodellen wie dem bolschewistischen Kommunismus verstand. Der Titel »Hürriyet« ist weniger im Sinne individueller Freiheit zu verstehen, er betont vielmehr die nationale Unabhängigkeit. Bis heute befindet sich neben dem Schriftzug »Hürriyet« in weißer Schrift auf schwarz-rotem Grund ein Bild des Staatsgründers Atatürk und das Motto »Türkiye Türklerindir«, »die Türkei gehört den Türken«.
Sedat Simavi, der insgesamt fast 50 Zeitungen und Zeitschriften verlegt, einen Roman geschrieben und den ersten türkischen Spielfilm, »Das Fenster und der Spion«, gedreht hat, rieb sich an dem Projekt der Tageszeitung auf. Obwohl die Türkei im Zweiten Weltkrieg neutral blieb, war das Land aufgrund der Weltwirtschafts­lage völlig verarmt. Jeweils mehrere Haushalte teilten sich eine Zeitung. Der Karikaturist Semih Balcıoglu berichtet in seinen Memoiren von einem Gespräch mit Simavis Sohn Erol, der sich an die von Hürriyet verursachte finanzielle Misere der Familie erinnert. Sein Vater habe selbst die Villa am Bosporus verkauft, um die Zeitung zu halten. Ein Fläschchen Zyanid sei in den letzten Jahren sein ständiger Begleiter gewesen. Simavi starb mit nur 57 Jahren an einem Herzinfarkt, in nur fünf Jahren hatte er mit vollem Einsatz die auflagenstärkste türkische Tageszeitung geschaffen.
Das Erfolgsrezept der Zeitung war von Anfang an eine Mischung aus politisch-ideologischer Agitation, Sensation und einer auf den Massengeschmack zugeschnittenen Aufmachung. Hürriyet setzte bereits in den sechziger Jahren auf Farbdruck und große Bildflächen.
Das Blatt eroberte seinen Platz als eine der zwei größten Zeitungen der Türkei und hält ihn seit Jahrzehnten. Mit täglich 550 000 gedruckten Exemplaren ist sie die auflagenstärkste Tageszeitung. Von den deutschen großen Medienkonzernen sind sowohl der Axel-Springer-Verlag als auch der Burda-Verlag an der Dogan-Holding beteiligt. Bild-Chef Kai Diekmann sitzt sogar im Beirat von Hürriyet, zuweilen veröffentlicht er dort auch Kommentare. Hürriyet wird häufig wegen der bunten Aufmachung und den Pin-ups mit der Bild verglichen.
Die Zeitung verfügt in der Türkei über großen politischen Einfluss, denn jahrelang war sie ein vor allem von Angehörigen des Militärs beeinflusstes Medium zur Steuerung der politischen Agenda. Wichtige Kolumnisten wie Oktay Eksi, Ahmet Hakan und Chefredakteur Ertugrul Özkök sind bis heute einflussreiche Meinungsmacher.
Heute gehört Hürriyet wie auch das liberale Massenblatt Milliyet (Die Nation) und die links-intellektuelle Radikal zur Dogan Holding, die auch am Nachrichtensender CNN Türk beteiligt ist. Die Monopolisierung der türkischen Medien in den Händen von Aydin Dogan wird oft kritisiert, doch steht ihnen ein wachsender Medienblock gegenüber, der der gemäßigt islamischen AKP des Premierministers Tayyip Erdogan verbunden ist. In gewisser Weise kann man von einer »Gewaltenteilung« in der Medienwelt sprechen, die stark ideologischen Linien folgt.
Unter dem jetzigen Chefredakteur Özkök hat sich Hürriyet dennoch stark gewandelt. Özkök versucht, Hürriyets Image einer nationalistischen und dem Militär verbundenen Zeitung zu verändern, auch wenn er selbst immer wieder provokative Kolumnen verfasst. An so manches in seinem Blatt ausgeschlachtete Vorurteil, wie das, wonach »Ehrenmorde« in der Türkei vor allem von Kurden verübt würden, scheint Özkök tatsächlich selbst zu glauben.
Die Zeitung erscheint außerhalb der Türkei in 23 Ländern, darunter Österreich, Irland, USA, Luxemburg, Großbritannien und Deutschland. Am bedeutendsten ist der deutsche Markt, dort verkauft sie täglich rund 40 000 Stück, im gesamten übrigen Auslandsmarkt 13 000. Bereits 1965 war Hürriyet erstmals auch in Deutschland für die wachsende türkische Gemeinde in Druck gegangen. In Berlin, Köln, Frankfurt und Stuttgart hatten sich die ersten so genannten Gastarbeiter – als Fabrikarbeiter bei Daimler, Ford, Opel – niedergelassen. Damit sie die vertraute Stimme aus der Heimat nicht missen mussten, folgte die Zeitung ihren Lesern nach Deutschland und ist längst deren Leitmedium. In der Nähe von Frankfurt, wo sich inzwischen auch Konkurrenzzeitungen wie das Schwesterblatt Milliyet oder Sabah niedergelassen haben, sitzt die Kommandozentrale der Deutschland-Ausgabe. Hürriyet ist in der 2,7 Millionen Menschen zählenden türkischen Gemeinde eine solche Macht, dass auch deutsche Kanzler das Einvernehmen mit der Redaktion suchen. Zu ihrem Leserkreis zählt die Zeitung 565 000 Personen.
Irgendwann, heißt es im Dogan-Verlag, werde Hürriyet auch zweisprachig erscheinen. Das hat nicht zuletzt praktische Gründe: Immer weniger junge Deutsch-Türken beherrschen das Türkische. Fernsehen und Internet machen der Zeitung die Vormachtstellung streitig.
Der Deutschland-Teil beschränkt sich zumeist auf Lokal- und Sportnachrichten. Aber als vor mehr als zwei Monaten ein von türkischen Aleviten bewohntes Haus in Ludwigshafen abbrannte und der Brand neun Todesopfer forderte, da schürte Hürriyet mit einer mit antideutschen Ressentiments gespickten Kampagne den türkischen Nationalismus. Zur Steigerung der Auflagen schaukelten Bild und Hürriyet im Wechselspiel die nationale Stimmung hoch. Ein interkultureller Dialog im Boulevard-Format.