Eine Initiative gegen die Gleichsetzung von Nazis und Kommunisten

Extrem mittig

In Leipzig protestiert eine »Initiative gegen jeden Extremismusbegriff« dagegen, Neonazis mit Antifas gleichzusetzen.

Auf einem Transparent hinter dem Podium steht der Name des Extremismusforschers Eckhard Jesse zusammen mit denen von Jürgen Möllemann und Martin Hohmann. Mitglieder der »Clown’s Army« albern herum. Knapp zwei Drittel der rund 130 Besucherinnen und Besucher der Veranstaltung zum Thema »Politischer Extremismus und seine Wahrnehmung in Deutsch­land« im Leipziger Stasi-Museum am Donnerstag voriger Woche sind offensichtlich keine Fans von Jesses Thesen. Ihre Zwischenrufe und Fragen bringen den Chemnitzer Professor für Politik­wissenschaft aus der Fassung. Es geht um Kontakte zu Horst Mahler und antisemitische Klischees in seinen früheren Publikationen – etwa dem von der »vielfach privilegierten jüdischen Position in der Bundesrepublik«. Mehrmals muss Jesse seinen Vortrag unterbrechen.
Die Veranstaltung versinkt endgültig im Tumult, als die Polizei beginnt, die Clowns abzufüh­ren. Erst als die meisten Kritikerinnen und Kri­tiker gegangen sind, kann Jesse seinen Vortrag be­enden, vor einem nur noch spärlich besetzten Saal.

Die Veranstalter, das »Bürgerkomitee Leipzig« und der »Evangelische Arbeitskreis« der CDU/CSU, hatten offenbar Ort und Zeitpunkt der Veranstaltung schlecht gewählt. Nur wenige Wochen zuvor hatte eine »Initiative gegen jeden Extremismusbegriff« ihre Arbeit aufgenommen und auf ihrer Website auch zur »kritischen Teilnahme« an dem Vortrag von Jesse aufgerufen.
Ende April trat die Initiative mit einem offenen Brief in Erscheinung, in dem sich die Verfasser gegen die weit verbreitete Verwendung des Extremismusbegriffs richteten und mehr Raum für »linke, antifaschistische Politik und Kultur« forderten. Die Kampagne will »die Normalität des Extremismusbegriffs diskreditieren«, sagt ihr Sprecher Till Sommer der Jungle World. Ziel sei, die öffentliche Unterstützung für das dahinter stehende Konzept zu zerstören, indem man das Bewusstsein für die damit verbundenen Probleme schärfe.
Zu diesen Problemen zählt die Initiative vor allem die Konstruktion einer demokratischen »Mitte« der Gesellschaft, die sich von den »extremistischen Rändern« abgrenzen lässt und von ihnen bedroht wird. Institutioneller und alltäg­licher Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus, die sich durch alle Bereiche der Gesellschaft ziehen, würden verharmlost oder ausgeblendet, indem man sie nur an den »Rändern« lokalisiere. Außerdem, so hieß es in dem offenen Brief weiter, würden mit der Extremismus­theorie »linke Gesellschaftskritik und antifaschis­tischer Widerstand mit dem Denken und Handeln von Nazis gleichgesetzt«. Man wolle jedoch nicht hinnehmen, dass auf diese Weise »Antinazi­politik diffamiert und verhindert« und »gegen die linke Szene Stimmung« gemacht werde.

Diese Kritik am Extremismusbegriff, der wegen seiner theoretischen Unzulänglichkeit in der Wis­senschaft als umstritten gilt, ist nicht neu . Er wird heutzutage vor allem von konservativen Politikern und Wissenschaftlern verwendet. Eckhard Jesse ist einer der prominentesten Vertreter dieser Szene, die sich zwischen Verfassungsschutz­ämtern, Bundes- und Landeszentralen für poli­tische Bildung, Hochschulen und konservativen Think Tanks verorten lässt.
Dass sich eine »Initiative gegen den Extremismusbegriff« gerade in Sachsen gegründet hat, ist kein Zufall. Denn bereits in der Verfassung des Freistaats werden die »leidvollen Erfahrungen na­tionalsozialistischer und kommunistischer Gewaltherrschaft« gleichgesetzt. Hier regierte die CDU, deren hiesiger Landesverband zu Recht als besonders konservativ gilt, jahrelang mit absoluter Mehrheit.
An diesen Verhältnissen hat sich nicht viel geändert, seit die CDU die Macht mit einer schwa­chen SPD teilen muss. Obwohl die Neonazis in Sachsen so stark sind wie sonst nirgendwo in der Republik, vermittelt das Innenministerium regelmäßig den Eindruck, das größte Problem seien die »Linksextremisten«. Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) findet nicht nur, dass die nationalsozialistische Volksgemeinschaft ein »deutlich marxistisch durchsetztes« Konzept gewesen sei, wie er in der Antwort auf eine Anfrage des grünen Landtagsabgeordneten Johannes Lichdi schrieb. Er versuchte auch, Linke in die Auseinan­dersetzungen in der Leipziger Türsteherszene (Jungle World 13/08) hineinzuziehen. In einem offenen Brief an Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) sprach Buttolo in diesem Zusammenhang von »Gewaltexzessen beispielsweise der links­extremistischen Szene« bei Naziaufmärschen und führte sie letztlich auf die »Untätigkeit der Stadtverwaltung hinsichtlich der Stützpunkte links­extremistischer Gewalttäter in Connewitz« zurück.
In Connewitz verstand man, wer gemeint war. Dem Kulturzentrum Conne Island sollte bereits vor vier Jahren die Gemeinnützigkeit aberkannt werden, weil dort in jedem Eintrittspreis eine »Antifa-Mark« für Initiativen gegen Nazis enthalten war. Es verwundert also nicht, dass auch das Conne Island den »Offenen Brief gegen jeden Extremismusbegriff« unterzeichnet hat. »Wir sehen uns da ganz direkt betroffen und letztlich auch existenziell bedroht«, sagt Sebastian Kirschner, Mitarbeiter des Kulturzen­trums. »Momentan mehren sich die Stimmen, vor allem aus dem Innenministerium, die soziokulturellen Zentren, welche auch mit Antifa, Anti­rassismus oder Anti-Antisemitismus zu tun haben, die Fördermittel streichen zu wollen, indem man sie für gefährlich erklärt.«
In Leipzig leistet man immerhin solchen Vorschlägen nicht gleich Folge, was wohl auch der alten Rivalität zwischen der SPD-Stadtregierung und der CDU-Landesregierung in Dresden zuzuschreiben ist. Anders sieht die Lage dagegen auf dem Land aus. In Mügeln ließ Bürgermeister Gott­hard Deuse (FDP) nach der berüchtigten Hetzjagd auf Inder erst einmal den einzigen nicht-rech­ten Jugendclub schließen. In Mittweida, wo die rechten Schläger des »Sturm 34« herkommen, verbot der Oberbürgermeister den »Antifaschistischen Ratschlag«. Und in Colditz untersagte die Stadtverwaltung alle weiteren Veranstaltungen in jener Konzerthalle, die vorher von Nazis angegriffen worden war.

Doch selbst Antifas und die Mitglieder bürgerlicher Initiativen gegen Rechts sprechen von »Extremismus«. Monika Lazar, grüne Bundestags­abgeordnete und Fraktionssprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus, hat den offenen Brief ebenfalls unterzeichnet. Obwohl sie es wich­tig findet, den Begriff zu vermeiden, gibt sie zu: »Manchmal lässt er sich kaum umgehen, damit die Leute auch verstehen, was man meint.« Wohl deshalb plant die Initiative nicht nur Demonstra­tionen, sondern auch Vorträge und einen Kongress zum Thema.
Fraglich bleibt, ob die Kampagne mit ihrer theo­retischen Kritik konservative Bürgermeister in sächsischen Kleinstädten dazu bringt, politisch anders zu handeln als bisher. Ist die Extremismustheorie da, wo man sich »gegen jeden Extremismus« ausspricht, wenn Neonazis wieder Ausländer verprügelt haben, sowieso nur Mittel zum Zweck? Till Sommer meint: »Die Grund­elemente des Extremismusansatzes haben sie einfach verinnerlicht – die Konstruktion einer nor­malen Mitte, zu der sie gehören, ihre Kritikerinnen und Kritiker dagegen nicht.«