Debatte über Antizionismus und Islamismus in der Partei »Die Linke«

Hinterm Tellerrand geht’s weiter

Auch die Partei »Die Linke« hat gemerkt, dass man nur mit antiimperialistischen Soli-Erklärungen außenpolitisch nicht regierungsfähig wird. Aber es gibt auch ernsthaften Widerspruch in der Partei gegen Antizionismus und die Verharm­losung islamistischen Terrors.
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Es gibt Linke, die sitzen morgens Tofu kauend an ihren WG-Tischen zusammen, arbeiten nachmittags in der Siebdruckwerkstatt und gehen abends zur Veranstaltung »Das Prekariat zwischen Popfeminismus und Gentrifizierung«. Einen Anzug haben sie nicht und auch kein Cocktailkleid, niemand siezt sie oder gewährt ihnen Kredit. Wer hingegen in der DDR als Sozialist beschäftigt war, war nicht so jemand. Der war Angehöriger des Staatsapparats und wurde auch als solcher behandelt.
Auch dies ist sicher ein Reiz für Westlinke, bei der SED-Nachnachnachfolgepartei »Die Linke« mitzumachen. Schnell schafft man es zum Abgeordnetenmandat, und bald folgt auch die erste offizielle Einladung. Zum Beispiel nach Caracas: »Als die Präsidentenmaschine landete, wartete die Helikopter-Staffel bereits auf dem Flugfeld«, und zwar nur, um Nele Hirsch, 28jährige Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, direkt in die Arme des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez zu geleiten, der sie in seine Fernsehsendung »Aló Presidente« eingeladen hatte. Wenn einem solch eine Würde zuteil wird, fliegt man gerne mal eben um die halbe Welt, zumal mit der Präsidentenmaschine, quasi der Air Force One des neuen Sozialismus. Stolz, geschmeichelt, mit geschwellter Brust berichtet, nein, verkündet ergeben die Zeitung der Bundestagsfraktion von dieser Reise, dieser Pilgerfahrt, dieser unsagbaren Ehre, vom neuen Máximo líder persönlich empfangen worden zu sein. »Wir warteten in cremefarbenen Sesseln in einem Salon«, dann durchqueren sie »die Präsidentenkabine, dessen weißes Ledermobiliar mit venezolanischen Wappen bestickt ist«. Der »Kanzleramtschef geleitet sie zu ihrem Platz«, wo echte Minister neben Klein-Nele sitzen, dazu, hört, hört, der »Kommandant der Leibgarde« und leibhaftige »Soldaten der Präsidentengarde«.

Wenn deutsche Linke Außenpolitik machen, dann in der Regel aus der Opposition oder auf lokaler Ebene. Doch weder im Stadtrat Limbach-Oberfrohna noch im Landtag Mecklenburg-Vorpommerns nimmt jemand die Presse­erklä­run­gen der »Linken«-Abgeordneten gegen den »Nato-Krieg in Afghanistan« oder für die »friedliche Lösung für Westsahara« ernsthaft zur Kenntnis. Im Bundestag ist dies ebenfalls nur Begleitmusik zur großen Politik, die die anderen Parteien machen.
Im kommenden Jahr jedoch sind Bundestagswahlen, kein Mensch kann heute voraussagen, ob nicht doch am Ende die Linkspartei irgendwie mit hineinrutschen wird in eine Regierungskoalition. Gregor Gysi jedenfalls hält es für möglich. Als Joschka Fischer die rot-grüne Koalition auf Bundesebene kommen sah, wusste er, was zu tun war. Die Grünen und er mussten sich »außenpolitisch profilieren«. Sich mal hier mit dem Dalai Lama und mal da mit den Bananenbauern Nicaraguas zu solidarisieren, reichte nicht mehr aus. Das wissen auch die Politiker der Linkspartei. Doch weder ein Partei- noch ein Wahlprogramm hat die neue, aus Wasg und PDS fusionierte Partei bis dato, nur auf »programmatische Eckpunkte« einigte man sich vor einem Jahr. Von den acht Punkten bezieht sich einer auf »internationale Politik« und hat außer ein paar kirchen­tagstaug­lichen Allgemeinplätzen wenig zu bieten: »Eine Umkehr ist nötig. Unsere Außen- und Friedenspolitik hat ihre Grundlage im Völkerrecht, strebt nach globaler Gerechtigkeit und der Verwirklichung der Menschenrechte, verlangt Abrüstung und das weltweite Verbot von Massenvernichtungswaffen. Nur soziale Gerechtigkeit, nachhaltige Entwicklung und Demokratie garantieren Stabilität und friedliche Zusammenarbeit.«
Damit ist kein Staat zu machen, aber genau darum geht es bei der nächsten Wahl. Außenpolitisch ernst genommen zu werden, erfordert von der Linkspartei zweierlei. Erstens programmatische Aussagen, die konkret und im Bedarfsfall sogar realisierbar sind. Zweitens Personal, das glaubhaft diese Positionen vertritt. Außenpolitischer Sprecher in der Bundestagsfraktion ist aber Norman Paech und im Bundesvorstand Wolfgang Gehrcke. Zwei Antiimperialisten der alten Schule, die man kaum zu einem Staatsempfang schicken kann – es sei denn, Chávez oder Lukaschenko werden erwartet.
Gehrcke schritt 2006 in der ersten Reihe einer Demonstration, bei der Parolen wie: »Hizbollah bis zum Sieg!« und »Kein Platz für Israel!« intoniert wurden. Paech erklärte erst kürzlich noch auf einer Veranstaltung in Berlin zur Frage der Legitimität palästinensischen Terrors: Frauen und Kinder, das ginge nicht, aber der Kampf gegen bewaffnete Siedler sei völkerrechtlich Notwehr. Der Bundesarbeitskreis Shalom im Jugendverband der Partei forderte daraufhin den Rücktritt Paechs als außenpolitischer Sprecher – selbstverständlich vergebens.
Doch allein die Existenz eines solchen Arbeitskreises, der sich mitten in der Linkspartei offensiv für Israel und gegen Antizionismus und Antiamerikanismus einsetzt, ist ein bemerkenswertes Phänomen. Und er hat sich erstaunlich schnell etabliert. Eine Veranstaltung des BAK Shalom im Mai in Berlin, an der der Gesandte Israels, Ilan Mor, der Rabbiner Walter Homolka und die Vizepräsidentin des Bundestags, Petra Pau (»Die Linke«), teilnahmen, setzte überaus klare Zeichen gegen jede Form des Antizionismus. »Alle Mitglieder und Akteure der ›Linken‹ müssen sich zur Rede von Gregor Gysi verhalten«, forderte Pau. Sie bezog sich auf Gysis Rede vom 14. April zu »60 Jahre Israel«, in der er sowohl dem Antizionismus als auch dem Anti­impe­rialismus eine Absage erteilt. Wer in der vergangenen Woche die Homepage der »Linken« anklickte, sah als erstes eine große Israel-Fahne und die Dokumentation der Rede Gysis.

Es tut sich also in dieser Hinsicht etwas in der Linkspartei. Die stellvertretende Bundesvorsitzende Katja Kipping, ebenfalls eine Kritikerin des politischen Kurses von Gehrcke und Paech, betonte im Gespräch mit der Jungle World (18/08), es gehe bei der außenpolitischen Positionierung nicht nur um wahltaktische Manöver, und hat damit sicher recht. Es geht um mehr. Tatsächlich ist eine wachsende Zahl von Mitgliedern in der Linkspartei nicht mehr gewillt, allzu plumpe antiimperialistische und antiisraelische Äußerungen hinzunehmen.
Schon als Gehrcke und Paech 2006 einen Vertreter der Hamas zu einem »repräsentativen Treffen von Friedenskräften« einladen wollten, hagelte es Protest. ­Gehrcke verteidigte sich: »Wir haben nicht die Hamas eingeladen. Neben der israelischen Linken, PLO und Fatah wurde auch der Sprecher der palästinensischen Regierung eingeladen, der gehört der Hamas an. Er wird allgemein als moderat dargestellt.« Dieser moderate Hamas-Mann, der also nicht die Hamas ist, sondern nur der Sprecher der Hamas, erklärte ein paar Tage später, Israel müsse »vom Angesicht der Erde getilgt« werden, und fügte hinzu: »Dies ist kein Staat von Menschen. Es sind Tiere und eine Gruppe von Banden.« Mitglieder der Linkspartei verfassten eine geharnischte Resolution gegen die Einladung der Hamas.
Seitdem haben immer mehr in der »Linken« verstanden, dass Außenpolitik nicht nur ein Spielbein der Politik ist, sondern auch etwas über das Politikverständnis allgemein aussagt. Daher wird die laufende Programmdebatte zentral sein für die Entwicklung der Partei. Auf dem Parteitag in Cottbus am kommenden Wochenende wird ein Antrag vorgelegt, in dem u. a. die »gravierenden Menschenrechtsverletzungen im Iran« verurteilt werden und die Bundesregierung aufgefordert wird, »wirtschaftliche Beziehungen mit dem Iran von einer Verbesserung der Menschenrechtslage« abhängig zu machen. Das klingt nicht nur vernünftig, das ist auch ein Seitenhieb gegen Oskar Lafontaine, der 2006 nur mit Mühe von den Genossen an einer Reise nach Teheran gehindert werden konnte, wo er sich Hände schüttelnd mit Ahmadinejad fotografieren lassen wollte. Auch Gysis Israel-Rede muss als Versuch verstanden werden, sowohl einerseits die »Regierungsfähigkeit« der Partei unter Beweis zu stellen, als auch andererseits im anstehenden parteiinternen Richtungskampf zumindest den ärgsten Antiimperialisten einen Riegel vorzuschieben. Bliebe es jedoch bei freundlichen Bekenntnissen zum Existenzrecht Israels, wäre nicht viel gewonnen.
So wie Angehörige der westdeutschen Linken begonnen haben, linken Antizionismus aufzuarbeiten, wird es auch die ehemalige DDR-Nomenklatur tun müssen. Ansätze dazu fanden sich in der Beilage des Neuen Deutschland zum 60. Gründungstag Israels in einem kritischen Artikel von Irene Runge, die unter anderem die »Verbindung aus altem Antisemitismus und neuem Antizionismus« in der DDR nachzeichnete und deren bigotten Antifaschismus thematisierte.

Doch es geht nicht nur um das Verhältnis zu Israel selbst. Das historische Delikt besteht vor allem in der ideologischen und militärischen Unterstützung des terroristischen Kampfs gegen Israel. In den Reihen der Warschauer-Pakt-Staaten war die DDR in dieser Hinsicht eine Pionierin. Die Historikerin Angelika Timm schreibt in ihrem Buch »Hammer, Zirkel, Davidstern«: »Die DDR trug maßgeblich dazu bei, dass die Palästinenserfrage in der internationalen Politik nicht mehr nur als Flüchtlingsproblem behandelt wurde, sondern zunehmend den Stellenwert nationalen Selbstbestimmungsrechts erlangte.«
Das PLO-Büro in Ost-Berlin wurde offiziell als Botschaft geführt, bereits 1973 wurde mit Yassir Arafat ein Abkommen unterzeichnet, das der PLO umfangreiche finanzielle und militärische Unterstützung für den »gemeinsamen Kampf gegen Imperialismus und Zionismus« zusicherte, Waffen wurden geliefert, Kämpfer ausgebildet.
Dass es Ende der siebziger Jahre auch in der BRD – vermittelt über Jürgen Möllemann und Klaus Kinkel – Kontakte zur PLO gab und die inoffizielle PLO-Vertretung in Bonn, »Informations­stelle Palästina«, ebenso wie das Unterbringen von PLO-Kämpfern in der BRD geduldet wurde, darf dabei allerdings nicht verschwiegen werden. In der DDR gehörte die Unterstützung des bewaffneten »Kampfs gegen die israelischen Okkupanten« jedoch ganz offiziell zur Staatsdoktrin. Und nicht nur die Staatspartei selbst war dabei, auch über den Gewerkschaftsverband FDGB zum Beispiel wurde die praktische finanzielle Unterstützung abgewickelt.
Die Unterstützung der PLO hat bis zu den letzten Tagen der DDR nie geendet. Noch im Mai 1990 stellte die SED/PDS einer frisch gegründeten »Islamischen Religionsgemeinschaft« in Ostberlin einen Scheck über umgerechnet 19 Millionen Euro aus, angeblich zum Bau einer Moschee. Der Vorsitzende jenes Vereins, Abdel Younes, soll jedoch vor allem ein Waffenhändler und Verbindungsmann zum militärischen Flügel der PLO gewesen sein. Auch wenn das Geschäft platzte und die Treu­hand das Geld einkassierte, zeigt sich daran, dass es noch viel aufzuarbeiten gilt für die Erben jenes aggressiven Staats-Antizionismus.
Petra Pau erklärte auf die Frage, welches Gremium in der Partei denn für solch eine Aufarbeitung zuständig sei, das müsse dann wohl die »Historische Kommission« sein. Deren Sprecher Jürgen Hofmann sagte der Jungle World: »Wir haben bisher keine entsprechende Anfrage erhalten.«